Выбрать главу

»Maria und Karla. Bitte kommt sofort zu der Stelle zurück, wo wir uns getrennt haben.«

Wenige Minuten später gelangten sie zu der Gabelung des Grabens. Ito wartete schon auf sie. Er sagte, er habe etwas gefunden, das er ihnen zeigen müsse, und führte sie durch den Graben dorthin, wo die beiden anderen Männer vor einem Teil der Böschung standen, der aussah, als sei er mit Dynamit aufgesprengt worden.

»Jemand hat hier gegraben«, sagte Sergei und stellte damit fest, was jeder mit eigenen Augen erkennen konnte.

»Wer könnte so etwas gemacht haben?«, fragte Sato.

»Hält sich noch jemand anderer auf der Insel auf?«, fragte Karla.

»Wir glauben nicht«, antwortete Ito. »Ich dachte, ich hätte vor ein paar Tagen abends irgendein Licht gesehen, aber ganz sicher war ich mir nicht.«

»Es scheint, als seien Ihre Augen bestens in Ordnung«, sagte Sato. »Wir sind nicht alleine auf der Insel.«

»Elfenbeinjäger«, folgerte Sergei. Er hob einen Knochensplitter vom Boden hoch, der mit Tausenden Bruchstücken übersät war. »Ich hatte keine Ahnung, dass sie diese Stelle gefunden haben. Es ist eine Sünde. Das hier hat nichts Wissenschaftliches. So wie es aussieht, ist jemand den Schätzen mit Hammer und Meißel zu Leibe gerückt.«

»Wenn Sie es genau wissen wollen, wir benutzen dazu einen tragbaren Presslufthammer.«

Die Worte kamen aus dem Mund eines untersetzten Mannes, der auf einem Vorsprung der Grabenwand stand und auf sie herabschaute. Sein breites Gesicht, seine schmalen, verhangenen Augen und seine hohen Wangenknochen verrieten seine mongolische Herkunft. Ein dünner Schnurrbart verlief zu beiden Seiten des Mundes, der zu einem dünnlippigen Grinsen verzogen war, abwärts. Karla hatte während ihres Aufenthaltes in Fairbanks Russisch gelernt und verstand im Wesentlichen, was er sagte. Die Schrotflinte in seiner Armbeuge war allerdings um einiges lauter und eindeutiger als irgendwelche Worte.

Er stieß einen Pfiff aus, und eine Sekunde später erschienen vier Männer im Graben. Sie kamen von beiden Seiten und waren mit ähnlichen Waffen ausgerüstet. Sie hatten brutal aussehende unrasierte Gesichter mit grinsenden Mündern und harten Augen.

Sergei mochte überheblich und unerträglich sein, doch er demonstrierte unerwarteten Mut, geboren aus wissenschaftlichem Zorn. Er deutete auf die zerbrochenen Knochen. »Ist das Ihr Werk?«

Der Mann zuckte die Achseln.

»Wer sind Sie?«

Der Mongole ignorierte die Frage und blickte an Sergei vorbei.

»Wir suchen die Frau namens Karla Janos.«

Der Mann starrte Karla an, und sie erschrak, als sie ihren Namen aus dem Mund des Fremden hörte. Sergei blickte reflexartig zu ihr hinüber, besann sich aber dann.

»Hier ist niemand, der so heißt.«

Der Mongole zischte einen kurzen Befehl, und der Mann, der Karla am nächsten stand, packte mit seinen schmutzigen Fingern brutal ihren Arm und zerrte sie von ihren Kollegen weg.

Sie wehrte sich. Er drückte ihren Arm so kraftvoll, dass sich ein Bluterguss bildete. Er grinste, als sich ihre Miene vor Schmerz verzerrte, und drückte sie an sich, so dass ihre Gesichter sich beinahe berührten. Der Gestank seines ungewaschenen Körpers und sein fauliger Atem ließen sie würgen.

Sie blickte über die Schulter. Die anderen Wissenschaftler wurden durch den Graben getrieben. Der Mann auf dem Vorsprung war verschwunden. Während sie weggezerrt wurde, hörte sie Maria aufschreien und dann laute Rufe männlicher Stimmen.

Schüsse fielen, deren Lärm von den Grabenwänden widerhallte. Sie versuchte, zu ihren Kollegen zurückzurennen, doch der Mann packte sie bei den Haaren und riss sie zurück. Zuerst war da nur ein betäubender Schmerz, dann nackte Wut. Sie wirbelte herum und versuchte, ihm die Augen auszukratzen. Er zog den Kopf zur Seite, und ihre Fingernägel schabten harmlos über seinen verfilzten Bart.

Er holte mit der Hand aus und schlug zu. Karla wurde von dem Schlag betäubt und bot wenig Gegenwehr, als er einen Fuß hinter ihre Beine stemmte und sie niederstieß. Ihr Hinterkopf schlug auf dem Erdboden auf, und vor ihren Augen explodierten ganze Sternengalaxien. Dann klärte sich ihr Blick, und sie sah, wie der Mann amüsiert auf sie herabstarrte und lustvolle Gier in seinen Schweinsaugen funkelte.

Er hatte sich entschlossen, sich mit seinem reizenden Opfer noch ein wenig zu vergnügen. Er legte sein Gewehr außer Reichweite auf die Erde und begann, seine Hose aufzuknöpfen. Karla versuchte auf allen vieren, ihm zu entkommen. Er lachte und stellte einen Fuß auf ihren Hals. Sie schlug mit den Fäusten gegen seinen Fußknöchel und bäumte sich verzweifelt auf. Sie konnte kaum atmen.

Der Mann hustete plötzlich, und das Grinsen auf seinem Gesicht verwandelte sich in eine Fratze des Schocks. Ein Blutfaden sickerte aus seinem Mundwinkel. Er drehte sich langsam wie in Zeitlupe um, sein Schuh rutschte von Karlas Hals, und sie sah den Griff eines Jagdmesser zwischen seinen Schulterblättern aus seinem Rücken ragen. Dann gaben seine Beine nach, und er brach zusammen.

Karla rollte sich zur Seite, um von dem fallenden Körper nicht erdrückt zu werden. Ihre Erleichterung dauerte nur kurze Zeit. Ein anderer Mann kam auf sie zu.

Er war hochgewachsen und humpelte. Die Sonne, die in den Graben schien, stand in seinem Rücken, und sein Gesicht lag im Schatten und war nicht zu erkennen. Sie wollte aufstehen, aber sie war immer noch benommen und nach dem Sturz auf den Hinterkopf zu keiner gezielten Handlung fähig.

Der Mann rief sie bei ihrem Vornamen. Es war eine Stimme, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte.

Dann verlor sie das Bewusstsein.

Als sie wieder zu sich kam, beugte der Mann sich über sie, hielt ihren Kopf in den Händen und benetzte ihre schmerzenden Lippen mit Wasser aus einer Feldflasche. Sie erkannte das energische Kinn und die blassblauen Augen, die sie voller Sorge musterten. Sie lächelte, obgleich ihre aufgesprungenen Lippen das mit einem heftigen Schmerz quittierten.

»Onkel Karl?«, fragte sie wie in einem Traum.

Schroeder legte seine Fuchspelzmütze als Kissen unter ihren Kopf, dann entfernte er sich, um sein Messer zurückzuholen, und wischte anschließend die Klinge am Mantel des Toten ab. Er hob seine Schrotflinte auf und hängte sie sich über die Schulter. Dann nahm er seine Mütze an sich, schob die Arme unter ihren Körper und hob sie hoch wie ein Feuerwehrmann, der sich um ein Brandopfer kümmert.

Stimmen näherten sich im Graben.

Ein Schmerz strahlte von seinem Fußknöchel in sein Bein, doch Schroeder achtete nicht darauf. Mit vorsichtigen Schritten trug er Karla in die entgegengesetzte Richtung und verschwand um eine Biegung, kurz bevor der Mongole und der Rest seiner Bande ihren Gefährten fanden. Sie brauchten nur Sekunden, um zu erkennen, dass er tot war. Geduckt schlichen sie sich an der Grabenwand entlang, die Waffen gespannt und schussbereit.

Schroeder rannte um sein Leben. Und um das Leben Karlas.

24

Weniger als zehn Stunden nach Verlassen Washingtons sank der türkisfarbene NUMA-Firmenjet vom Himmel über Alaska herab und landete auf dem Flughafen in Nome. Austin und Zavala tauschten den Jet gegen eine zweimotorige Propellermaschine der Bering Air und starteten bereits nach einer Stunde mit Ziel Providenya auf der russischen Seite der Beringstraße.

Der Flug über die Meerenge dauerte weniger als zwei Stunden. Der Flughafen von Providenya lag in einer malerischen Bucht, die von zerklüfteten grauen Bergen umgeben war. Die Stadt war während des Zweiten Weltkriegs eine Zwischenstation für Flugzeuge gewesen, die nach dem Lend-Lease Act von den Vereinigten Staaten nach Europa geflogen wurden, aber diese glorreichen Zeiten waren lange vorbei. Im Flughafen standen nur ein paar Charterflugzeuge und ein Militärhubschrauber, als das Flugzeug auf das kombinierte Flugkontroll- und Verwaltungsgebäude zurollte, ein müde dreinschauendes, zweistöckiges Bauwerk aus gewelltem Aluminiumblech, das aussah, als stamme es noch aus der Zeit Peters des Großen.