»Es erscheint total verrückt, nicht wahr?«, sagte Trout mit einem schiefen Grinsen. Er wandte sich an Hibbet. »Sie sind der Fachmann für Elektromagnetismus. Was halten Sie davon?«
Hibbet betrachtete den Bildschirm. »Ich hatte keine Ahnung, dass die Anomalien im südlichen Ozean so schnell gewachsen sind.« Er überlegte, dann, indem er seine Worte sehr sorgfältig wählte, fuhr er fort: »Lazio Kovacs beschäftigte sich unter anderem auch mit den Eigenschaften von Materie und Energie. Er stellte fest, dass Materie zwischen den Zuständen von Materie und Energie hin und her schwankt. Energie unterliegt nicht den Regeln von Raum und Zeit, daher ist der Wechsel von der einen Phase zur anderen eine Momentangelegenheit. Und Materie macht es der Energie nach. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die elektromagnetischen Verhältnisse der Erde ansehen. Wenn sich die elektromagnetische Energie auf eine bestimmte Art und Weise verändert, kann Materie — in diesem Fall die Erdkruste — sich ebenso verändern.«
»Das heißt, Sie halten einen geologischen Polsprung für möglich«, sagte Gamay.
»Ich sage damit, dass ein vom Menschen ausgelöster magnetischer Polsprung mit seinen tiefgreifenden, kurzfristigen Begleitumständen eine irreversible geologische Bewegung auslösen kann, zumal sich ein natürlicher Polsprung ankündigt. Alles, was nötig ist, dürfte ein leichter Schubser sein. Ein Hinzufügen oder Abzapfen elektromagnetischer Energie, wodurch das Feld verändert wird, könnte Reaktionen auf Materienebene auslösen. Orkanartige Störungen des Erdkerns oder des Magnetfeldes könnten für die Monsterwellen und den Strudel verantwortlich sein. Es wäre keine langsame Verschiebung tektonischer Platten. Die Struktur des gesamten Planeten könnte sich in einem winzigen Moment verändern.«
»Mit welchem Ergebnis?«, fragte Gamay.
»Einem katastrophalen.Falls die Kruste sich über dem flüssigen Kern verschiebt, würden ungeheure Trägheitskräfte wirksam. Die Verschiebung würde Tsunamis erzeugen, die über ganze Kontinente hinwegspülen würden, und Stürme, gegen die Hurrikane ein laues Lüftchen wären. Erdbeben und Vulkanausbrüche mit unendlichen Lavaströmen wären eine weitere Folge. Hinzu kämen drastische klimatische Veränderungen und massivste Strahlung.« Er hielt kurz inne. »Die Auslöschung ganzer Arten wäre im Bereich des Möglichen.«
»Während der letzten Jahrzehnte hat die Häufigkeit heftiger Naturerscheinungen deutlich zugenommen«, sagte Gamay. »Ich frage mich, ob man sie als Warnzeichen ansehen soll.«
»Vielleicht«, sagte Hibbet.
»Ehe wir uns irgendwelchen Ängsten hingeben, sollten wir lieber zu den Fakten zurückkehren«, empfahl Trout.
»Ich habe die Polsprung-Simulationen der Caltech und aus Los Alamos als Grundlage genommen. Dann habe ich die Daten hinzugefügt, die Dr. Adler über die ozeanischen Störungen zusammengetragen hat, sowie das von Al gelieferte Material über die Anwendung niederfrequenter elektromagnetischer Impulse. Wir haben außerdem das Strömungsverhalten des flüssigen Erdkerns an den Stellen simuliert, wo die Magnetfelder erzeugt werden. Die Kovacs-Papiere sind sozusagen der letzte Teil der Gleichung. Wen wir jetzt alle bereit sind …« Er gab auf dem Keyboard einen Befehl ein.
Die Erdkugel verschwand vom Bildschirm und machte einer Botschaft Platz.
HALLO, PAUL, WIE GEHT ES DEM BESTANGEZOGENEN MITGLIED DES SPEZIALTEAMS FÜR SONDEREINSÄTZE?
Max hatte ihn an seinem Passwort erkannt. Trout rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her und sehnte sich nach der Zeit zurück, als Computer nicht mehr als reichlich dumme Maschinen waren. Er tippte ein:
HALLO, MAX, WIR SIND BEREIT FÜR DIE COMPUTER-SIMULATION.
IST DAS EINE AKADEMISCHE ÜBUNG, PAUL?
NEIN.
Max hielt mehrere Sekunden lang inne. Es war eine ungewöhnliche Reaktion von einem Hochgeschwindigkeitscomputer.
ZU EINEM SOLCHEN VORFALL DARF ES NICHT KOMMEN.
Trout starrte auf die Worte. Bildete er es sich nur ein, oder schien Max es tatsächlich mit der Angst zu tun zu bekommen? Er tippte die Frage:
WARUM NICHT?
DIE FOLGE WIRD DIE TOTALE VERNICHTUNG DER ERDE SEIN.
Trouts Adamsapfel machte einen krampfhaften Hüpfer. Er tippte nur ein Wort:
WIE?
SO.
Der Globus erschien wieder auf dem Bildschirm, und die goldenen Flecken auf den Ozeanen gerieten in Bewegung. Der rote Fleck im Südatlantik verband sich mit anderen Flecken der gleichen Farbe, bis der gesamte Ozean unterhalb von Südamerika und Südafrika rot leuchtete. Dann begannen die Kontinente, ihre Lage zu verändern. Nord- und Südamerika vollführten eine Drehung um einhundertachtzig Grad, so dass sie auf der Seite lagen. Die Punkte, die vorher den Äquator angedeutet hatten, verwandelten sich in Nord- und Südpol. Heftige Veränderungen der Oberfläche breiteten sich wie eine Seuche über den Globus aus.
Trout gab eine weitere Frage ein und hielt den Atem an:
GIBT ES EINE MÖGLICHKEIT, DIESEN PROZESS ZU NEUTRALISIEREN?
JA. LASS NICHT ZU, DASS ER BEGINNT. ER KANN NICHT UMGEKEHRT WERDEN.
GIBT ES EINE MÖGLICHKEIT, DIE UMKEHRUNG AUFZUHALTEN?
ICH VERFÜGE NICHT ÜBER GENUG DATEN, UM DIESE FRAGE ZU BEANTWORTEN.
Trout wusste, dass er so weit gegangen war, wie er konnte. Er wandte sich an die anderen. Adler und Hibbet sahen aus, als hätte man ihnen soeben Gratistickets für eine Bootsfahrt auf dem Charon geschenkt.
Gamay war ähnlich betroffen, jedoch zeigte ihre Miene einen gelassenen Ausdruck, während ihre Augen entschlossen funkelten. »Da ist etwas, das keinen Sinn ergibt. Warum sollte jemand etwas in die Wege leiten, das sowohl das Ende der Welt als auch seinen eigenen Untergang zur Folge hätte?«
Paul Trout kratzte sich am Kopf. »Vielleicht passt hier dieses alte Bild vom mit dem Feuer spielen. Es könnte sein, dass sie gar nicht wissen, wie gefährlich ihr Vorhaben ist.«
Gamay schüttelte den Kopf. »Irgendwie kann mich die Fähigkeit unserer Spezies, mit offenen Augen in ihr Verderben zu rennen, schon gar nicht mehr verblüffen.«
»Kopf hoch«, sagte Trout. »Verzeih mir meinen Galgenhumor, aber wenn diese Sache durchgezogen wird, wird es überhaupt keine Spezies mehr geben.«
29
Die meisten Amerikaner, die Kapitän Ivanov bisher kennen gelernt hatte, waren Touristen auf Abenteuerreise durchs Neusibirische Meer gewesen. Sie waren gewöhnlich wohlhabend und mittleren Alters, ausgerüstet mit Kameras und Ferngläsern und unerschrocken, wenn es darum ging, den ein oder anderen seltenen Vogel zu verfolgen. Aber die beiden Männer, die vom Himmel herabgekommen waren und sein Schiff bestiegen hatten, als ob es ihnen gehörte, waren aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.
Das Wasserflugzeug mit Austin und Zavala an Bord hatte den russischen Eisbrecher Kotelnynordwestlich der Wrangelinsel eingeholt und war dann ein paar hundert Meter vom Schiff entfernt gelandet. Kapitän Ivanov befahl, ein Boot zu Wasser zu lassen, um die Passagiere des Wasserflugzeugs abzuholen. Er wartete an Deck neugierig auf diese Amerikaner, die über den politischen Einfluss verfügten, sein Schiff als privates Taxi zu benutzen.
Der Erste, der die Jakobsleiter heraufkam, war ein breitschultriger Mann mit hellem Haar und hellblauen Augen, die in einem braun gebrannten Gesicht zu leuchten schienen. Ihm folgte ein schlankerer, dunkelhäutiger Mann, der sich mit jener kraftvoll lässigen Eleganz bewegte, die ein Überbleibsel aus seiner Zeit in der Boxriege seines Colleges war. Sie winkten dem Wasserflugzeug zum Abschied zu, als es zum Heimflug startete.
Der Kapitän trat vor, um sich vorzustellen. Trotz seiner Verärgerung hielt er sich strikt an die Sitten und Gebräuche der Seefahrt. Ihr Händedruck war kräftig, und hinter ihrem freundlichen Lächeln erahnte der Kapitän eine kühle Selbstsicherheit, die ihm verriet, dass diese beiden keine Vogelkundler waren.