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Sie deckt den milchig weißen Esstisch, kehrt in die Küche zurück und trinkt einen Schluck Wein. Er hat das Prickelnde verloren, da er nicht mehr so kalt ist. Sie unterdrückt den Impuls, sich auf den lackierten Holzfußboden zu setzen und vorzuschlagen, auf dem Boden zu essen, mit den Händen, wie Kinder, unter dem Tisch.

»Ich bin eingeladen worden«, sagt sie stattdessen.

»Eingeladen?«

Sie nickt erfüllt von dem flüchtigen Gefühl, ein bisschen gemein zu sein und es eigentlich nicht sein zu wollen.

»Erzähl«, sagt Joona ruhig und trägt das Tablett mit Sushi zum Tisch.

Disa greift erneut zu ihrem Glas und sagt leichthin:

»Nur jemand im Museum, der mich seit einem halben Jahr fragt, ob ich mit ihm essen gehen will.«

»Macht man das heutzutage so? Lädt man Damen zum Essen ein?«

Disa lächelt.

»Bist du neidisch?«

»Ich weiß nicht, ein bisschen«, antwortet Joona und geht zu ihr. »Es ist nett, zum Essen eingeladen zu werden.«

»Ja.«

Disa fährt mit den Fingern kräftig durch seine dichten Haare.

»Sieht er gut aus?«, erkundigt sich Joona.

»Um ehrlich zu sein, ja.«

»Wie gut.«

»Aber ich will nicht mit ihm ausgehen«, sagt Disa lächelnd.

Joona sagt nichts, steht mit abgewandtem Gesicht ganz still.

»Du weißt, was ich will«, sagt Disa sanft.

Sein Gesicht ist plötzlich seltsam blass, und sie sieht, dass sich auf seiner Stirn Schweißperlen gesammelt haben. Langsam hebt er den Blick, und es ist etwas mit seinen Augen, sie sind schwarz, hart und abgründig tief.

»Joona? Vergiss es«, sagt sie hastig, »entschuldige …«

Joona öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen, und macht einen Schritt auf sie zu, als seine Beine plötzlich nachgeben.

»Joona«, ruft Disa und schlägt vor Schreck ihr Glas vom Tisch.

Sie sinkt neben ihm zu Boden, umarmt ihn und flüstert, dass es bald vorbeigeht.

Nach einiger Zeit verändert sich Joonas Gesicht, und seine schmerzverzerrte Miene glättet sich, Schleier für Schleier.

Disa fegt die Scherben zusammen, und sie setzen sich schweigend an den Tisch.

»Du nimmst deine Medikamente nicht«, sagt sie nach einer Weile.

»Sie machen mich schläfrig. Ich muss denken können, im Moment ist es wirklich wichtig, dass ich glasklar denken kann.«

»Du hast mir versprochen, dass du sie nimmst.«

»Das werde ich auch tun«, erklärt er.

»Du weißt genau, dass es gefährlich ist«, flüstert sie.

»Sobald ich diesen Fall gelöst habe, nehme ich die Tabletten.«

»Und wenn du ihn nicht löst?«

Aus der Ferne gleicht das Nordische Museum einem aus Elfenbein geschnitzten Schmuckgegenstand, aber es ist natürlich aus Kalksandstein erbaut. Ein verschnörkelter Renaissancetraum mit zahllosen Zinnen und Türmchen. Das Museum sollte eine Huldigung an die Souveränität der nordischen Völker sein, aber als es an einem verregneten Tag im Sommer 1907 eingeweiht wurde, war die Union Schwedens mit Norwegen aufgelöst worden, und der König lag im Sterben.

Joona eilt durch das riesige Museumsfoyer, und erst als er die Treppen hinaufgestiegen ist, bleibt er stehen, sammelt sich, blickt längere Zeit zu Boden und geht anschließend langsam an den hell erleuchteten Vitrinen vorbei. Nichts in ihnen zieht seinen Blick auf sich. Umhüllt von Erinnerungen und schmerzlicher Sehnsucht eilt Joona an allem vorbei.

Der Museumswärter hat für ihn bereits einen Stuhl vor die Vitrine gestellt.

Joona Linna setzt sich und betrachtet die samische Brautkrone mit ihren acht Spitzen, die wie die Finger zweier ineinandergeflochtener Hände aussehen. Sie leuchtet sanft im Licht hinter dem dünnen Glas. Joona hört eine innere Stimme, sieht ein Gesicht, das ihn anlächelt, während er am Steuer sitzt an jenem Tag, an dem es geregnet hat und die Sonne auf der Straße in den Pfützen glitzert, als würden sie unterirdisch brennen. Er wendet sich zur Rückbank um, weil er sich vergewissern will, dass Lumi richtig angeschnallt ist.

Die Brautkrone sieht aus, als wäre sie aus hellen Zweigen, Leder oder geflochtenen Haaren gefertigt. Er betrachtet ihr Versprechen, ihre Verheißung von Liebe und Freude, und denkt an den ernsten Mund seiner Frau, die sandfarbenen Haare, die ihr ins Gesicht fielen.

»Wie geht es Ihnen?«

Joona sieht den Wärter erstaunt an, der seit vielen Jahren in dem Museum arbeitet. Ein Mann mittleren Alters mit Bartstoppeln und Augen, die zu oft gerieben wurden.

»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht«, murmelt Joona und steht auf.

Beim Verlassen des Museums spürt er die Erinnerung an Lumis kleine Hand als schmerzliche Sehnsucht in seinem Körper. Er hatte sich nur umgewandt und kontrolliert, ob sie auch wirklich sicher saß, und auf einmal ihre Hand gespürt, die seine Finger berührten.

49

Das undeutliche Gesicht

Joona Linna und Saga Bauer sind auf dem Weg zum Firmensitz von Silencia Defence, um mit Pontus Salman zu sprechen. Sie haben das Foto dabei, das die Kriminaltechniker der Landeskriminalpolizei beschädigt haben. Schweigend fahren sie auf der Landstraße 73, die wie eine schmutzige Spur nach Nynäshamn führt, in südliche Richtung.

Zwei Stunden zuvor hatte Joona die scharfe Aufnahme von den vier Personen in der Loge betrachtet: Raphael Guidis ruhiges Gesicht, sein schütteres Haar; Palmcronas schlaffes Lächeln, die Brille mit den stählernen Bügeln; Pontus Salman mit seinem wohlerzogenen, jungenhaften Aussehen und Agathe al-Haji mit den faltigen Wangen und einem schweren, intelligenten Blick.

»Mir ist da eine Idee gekommen«, sagte Joona danach langsam und begegnete Sagas Blick. »Wenn wir die Bildqualität verschlechtern und das Foto so bearbeiten, dass Pontus Salman nicht mehr zu erkennen ist …«

Er verstummte und verfolgte den Gedankengang schweigend weiter.

»Was erreichen wir damit?«, fragte Saga.

»Er weiß nicht, dass wir im Besitz eines scharfen Originals sind, oder?«

»Nein, das kann er nicht wissen, er nimmt garantiert an, dass wir alles getan haben, um die Schärfe zu verbessern und nicht umgekehrt.«

»Genau, wir haben nichts unversucht gelassen, um die vier Personen auf dem Bild zu identifizieren, es aber nur bei dreien geschafft, denn die vierte steht ein wenig abgewandt und das Gesicht ist einfach zu unscharf.«

»Du meinst, dass wir ihm die Möglichkeit geben sollen, uns anzulügen«, sagte Saga. »Zu lügen und zu behaupten, dass er nicht dort war, sich nicht mit Palmcrona, Agathe al-Haji und Raphael Guidi getroffen hat.«

»Denn wenn er leugnet, dass er dort war, ist das Treffen an sich der heikle Punkt.«

»Und wenn er erst einmal anfängt zu lügen, sitzt er in der Falle.«

Kurz hinter der Ortschaft Handen fahren sie ab, nehmen die Straße Richtung Jordbro und kommen in ein Industriegebiet, das von einem stillen Wald umsäumt wird.

Der Firmensitz von Silencia Defence ist ein mattgrauer und anonymer Betonbau mit einem sterilen, nahezu keuschen Aussehen.

Joona betrachtet das riesige Gebäude, lässt den Blick sachte über die schwarzen Fensterreihen und die getönten Scheiben schweifen und denkt nochmals an die Aufnahme von den vier Personen in der Loge, das Foto, das eine Kette von Gewalt ausgelöst hat, an deren Ende eine getötete Frau und eine trauernde Mutter stehen. Möglicherweise sind auch Penelope Fernandez und Björn Almskog wegen dieses Bilds gestorben. Er steigt aus dem Wagen, spürt, wie sich die Muskeln in seinem Kiefer anspannen, als er daran denkt, dass sich Pontus Salman, eine der Personen auf dem rätselhaften Foto, in diesem Augenblick in dem Gebäude vor ihm aufhält.

Die Fotografie ist kopiert und das Original an das Staatliche Kriminaltechnische Labor in Linköping geschickt worden. Tommy Kofoed hat die Kopie so bearbeitet, dass sie alt und abgewetzt aussieht. Eine Ecke fehlt, und an einer zweiten sieht man die Reste eines Klebestreifens. Kofoed hat dafür gesorgt, dass Pontus Salmans Gesicht und eine Hand verwischt sind, er sich scheinbar im Moment der Aufnahme bewegt hat.