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Ossian wirft Björn eine Kusshand zu und gibt ihm mit einer Geste zu verstehen, dass sie später telefonieren sollen.

Björn klatscht wieder in die Hände, pfeift lauter, klatscht weiter und sieht, dass Penelope den gusseisernen Feuerhaken aus dem Ständer am Kamin nimmt.

Die Ascheschaufel gerät in Schwingung und klirrt leise gegen die große Zange.

Ossian tanzt hüpfend in seiner goldglitzernden Paillettenunterhose.

Penelope hält den Feuerhaken mit beiden Händen und nähert sich Ossian Wallenberg von hinten. Er schwingt vor Björn die Hüften.

»Auf die Knie«, flüstert er Björn zu. »Runter, runter mein Schönling!«

Penelope hebt den schweren Gegenstand und schlägt Ossian mit aller Kraft auf den Oberschenkel. Es klatscht, und Ossian Wallenberg fällt um und schreit auf. Er hält sich den Schenkel, windet sich vor Schmerzen und brüllt. Penelope geht schnurstracks zur Stereoanlage und zertrümmert sie mit vier schweren Schlägen, bis es endlich still wird.

Ossian liegt mittlerweile regungslos, atmet sehr schnell und wimmert. Sie geht zu ihm, und er blickt ängstlich zu ihr hoch. Sie bleibt einen Moment stehen. Der schwere gusseiserne Feuerhaken pendelt langsam in ihrer rechten Hand.

»Herr Flusspferd hat mir zugeflüstert, dass du mir jetzt das Handy und den PIN geben wirst«, sagt sie ruhig.

55

Die Polizei

Es ist sehr heiß und drückend schwül in Ossian Wallenbergs Sommerhaus. Björn steht immer wieder von seinem Stuhl auf, stellt sich ans Fenster und schaut zum Wasser und zum Bootssteg hinunter. Penelope sitzt mit dem Handy in der Hand auf der Couch und wartet auf den Rückruf der Polizei. Die Zentrale hat ihren Notruf aufgenommen und versprochen, sich unter derselben Nummer zu melden, sobald das Boot der Wasserschutzpolizei unterwegs ist. Ossian sitzt mit einem großen Glas Whisky vor sich in einem Sessel und beobachtet die beiden. Er hat Schmerztabletten genommen und beteuert mit gedämpfter Stimme, dass er überleben wird.

Penelope wirft einen Blick auf das Telefon und sieht, dass der Empfang zwar schwächer geworden, aber immer noch ausreichend ist. Die Polizei wird jeden Moment zurückrufen. Sie lehnt sich auf der Couch zurück. Es ist schrecklich schwül. Ihr T-Shirt ist schweißnass. Sie schließt die Augen und denkt an Darfur, an die Hitze im Bus, als sie nach Kubbum reiste, um sich Jane Oduya und der Action Contre la Faim anzuschließen.

Sie hatte den Weg zu den Baracken eingeschlagen, in denen die Verwaltung der Organisation untergebracht war, als sie auf einmal stehen blieb. Ihr waren ein paar Kinder aufgefallen, die ein seltsames Spiel spielten. Offenbar stellten sie Tonfiguren auf die Straße und hofften, dass diese von einem Auto zertrümmert würden. Vorsichtig näherte Penelope sich ihnen, um zu verstehen, was sie da machten. Sobald eine der Tonfiguren überfahren wurde, lachten die Kinder.

»Ich habe noch einen getötet! Es war ein Mann!«

»Ich habe einen Fur umgebracht!«

Eines der Kinder lief erneut auf die Straße und stellte rasch zwei weitere Lehmfiguren auf. Eine große und eine kleine. Als ein Karren die kleinere umkippte und unter seinem Rad zermalmte, jubelten die Kinder:

»Der Kleine ist gestorben! Der Hurensohn ist gestorben!«

Penelope ging zu den Kindern und fragte, was sie da trieben, aber sie antworteten ihr nicht, sondern liefen davon. Sie blieb stehen und starrte die Tonscherben auf der rot verbrannten Straße an.

Die Fur sind das Volk, das der Region Darfur ihren Namen gegeben hat. Dieser uralte afrikanische Stamm droht durch den Terror der Dschandschawid unterzugehen.

Da die afrikanischen Stämme traditionell Bauern sind, gibt es seit Urzeiten Konflikte zwischen ihnen und dem nomadisierenden Teil der Bevölkerung. Doch der wahre Grund für den Völkermord ist das Öl. Man hat Öl auf Land gefunden, das von den alten afrikanischen Stämmen bewohnt wird, und will die Dörfer aus dem Gebiet entfernen.

Obwohl der Bürgerkrieg offiziell beendet ist, setzen die Dschandschawid ihre systematischen Überfälle fort, vergewaltigen die Frauen, töten die Männer und Jungen und brennen anschließend die Behausungen nieder.

Penelope sah die arabischen Kinder fortrennen, sie hob die letzten heil gebliebenen Tonfiguren von der Straße auf, als jemand sie rief:

»Penny! Penny!«

Furchtsam zuckte sie zusammen, wandte sich um und sah Jane Oduya, die ihr zuwinkte. Jane war korpulent und klein, trug eine verwaschene Jeans und eine gelbe Jacke. Penelope erkannte sie kaum wieder. Janes Gesicht war im Laufe weniger Jahre zerfurcht und alt geworden.

»Jane!«

Sie umarmten sich.

»Rede nicht mit diesen Kindern«, murmelte Jane. »Sie sind wie alle anderen, sie hassen uns, weil wir schwarz sind, es ist nicht zu fassen. Sie hassen schwarze Haut.«

Jane und Penelope gingen zum Flüchtlingslager. Hier und da sammelten sich Menschen, um zu essen und zu trinken. Der Geruch von angebrannter Milch vermischte sich mit dem Gestank der Latrinen. Überall sah man die blauen Plastikplanen der Vereinten Nationen, die für alles Mögliche benutzt wurden, als Vorhänge, Windschutz, Laken. Hunderte weißer Zelte des Roten Kreuzes schlugen in dem Wind, der über die Ebene strich.

Penelope begleitete Jane in das große Zelt, in dem sich die Krankenstation befand. Das Sonnenlicht schien grau durch den weißen Stoff. Jane schaute durch ein Plastikfenster in die chirurgische Abteilung.

»Meine Krankenschwestern sind tüchtige Chirurgen geworden«, sagte sie leise. »Sie führen vollkommen eigenständig Amputationen und leichtere Operationen durch.«

Zwei schmale Jungen von etwa dreizehn Jahren trugen einen großen Karton mit Verbandsmaterial ins Zelt und stellten ihn vorsichtig neben einigen anderen Kartons ab. Sie kamen zu Jane, die sich bei ihnen bedankte und sie anwies, den Frauen zu helfen, die gerade eingetroffen waren und Wasser zum Auswaschen der Wunden benötigten.

Die Jungen gingen und kehrten kurz darauf mit Wasser in großen Plastikflaschen zurück.

»Sie haben zur arabischen Miliz gehört«, erläuterte Jane in Richtung der Jungen nickend. »Aber im Moment herrscht Ruhe. Weil es an Munition und Waffenteilen fehlt, gibt es eine Art Waffenstillstand, und die Leute wissen nicht recht, was sie tun sollen, viele haben angefangen, sich hier nützlich zu machen. Wir haben eine Jungenschule mit mehreren jungen Männern aus der Miliz in der Klasse.«

Auf einer der Pritschen wimmerte eine Frau, Jane eilte zu ihr und strich ihr über Stirn und Wangen. Sie schien noch keine fünfzehn Jahre alt zu sein, war aber trotzdem hochschwanger und hatte durch eine Amputation einen Fuß verloren.

Den ganzen Tag über arbeitete Penelope an Janes Seite, machte alles, was die andere Frau ihr sagte, stellte keine Fragen, sprach über nichts, tat nur alles dafür, dass Janes ärztliches Wissen möglichst optimal genutzt und möglichst vielen Menschen geholfen werden konnte.

Ein etwa dreißigjähriger Afrikaner mit einem schön geschnittenen Gesicht und muskulösen Schultern eilte mit einer kleinen weißen Schachtel zu Jane.

»Dreißig neue Dosen Antibiotika«, erklärte er strahlend.

»Sicher?«

Er nickte lächelnd.

»Gute Arbeit.«

»Ich ziehe gleich noch mal los und mache bei Ross weiter Druck, er hat davon gesprochen, dass wir diese Woche eine Kiste mit Blutdruckmessgeräten bekommen können.«

»Das ist Grey«, sagte Jane. »Eigentlich ist er Lehrer, aber ohne ihn würde ich es nicht schaffen.«

Penelope streckte die Hand aus und begegnete dem lebhaften Blick des Mannes.

»Penelope Fernandez«, sagte sie.

»Tarzan«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand zu einem losen Händedruck.

»Als er herkam, wollte er unbedingt Tarzan genannt werden«, kommentierte Jane lachend.

»Tarzan und Jane«, sagte er lächelnd. »Ich bin ihr Tarzan.«

»Am Ende habe ich mich darauf eingelassen, ihn Greystoke zu nennen«, erzählte Jane. »Aber das finden hier alle zu umständlich, sodass er sich mit Grey zufrieden geben muss.«

Plötzlich hupte vor dem Zelt ein Lastwagen, und sie liefen alle drei hinaus. Rund um das rostige Fahrzeug wirbelte rötlicher Straßenstaub auf. Auf der offenen Ladefläche lagen sieben Männer mit Schussverletzungen. Sie kamen von Westen, aus einem Dorf, in dem es wegen eines Brunnens zu einem Feuergefecht gekommen war.