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»Was für ein Albtraum«, murmelt Pollock.

»Was hast du gesagt?«, fragt Joona und blickt auf.

»Ich dachte nur, dass es wie ein Albtraum ist«, antwortet Pollock. »Er tut alles für die Zukunft seines Sohnes, und dann überlebt der Sohn seinen Vater am Ende nur um drei Tage und erfährt nicht einmal, wer sein Vater gewesen ist.«

60

Etwas mehr Zeit

Als Axel Riessen ins Schlafzimmer kommt, liegt Beverly schon in seinem Bett. In der vorherigen Nacht hat er nur zwei Stunden geschlafen und deshalb ist er vor Müdigkeit ganz benommen.

»Wie lange braucht Evert, um hierherzufahren?«, fragt sie mit klarer Stimme.

»Du meinst, dein Vater? Ungefähr sechs Stunden.«

Sie verlässt das Bett und geht zur Tür.

»Was hast du vor?«, fragt Axel.

Sie dreht sich um.

»Ich dachte, dass er vielleicht im Auto sitzt und auf mich wartet.«

»Du weißt, dass er nicht nach Stockholm fährt«, sagt Axel.

»Ich will nur sicherheitshalber aus dem Fenster sehen.«

»Wir könnten ihn anrufen – sollen wir das tun?«

»Das habe ich schon versucht.«

Er streckt eine Hand aus und streichelt behutsam ihre Wange, und sie setzt sich wieder ins Bett.

»Bist du müde?«, fragt sie.

»Ich fühle mich vor Müdigkeit ganz krank.«

»Möchtest du, dass wir zusammen schlafen?«

»Ja, bitte.«

»Ich glaube, dass Papa morgen mit mir reden will«, sagt sie leise.

Axel nickt:

»Das wird sich morgen sicher machen lassen.«

Ihre großen glänzenden Augen lassen sie jünger aussehen denn je.

»Nun leg dich schon hin«, sagt sie. »Leg dich hin, dann darfst du schlafen, Axel.«

Er blinzelt sie müde an und sieht, dass sie sich vorsichtig auf ihre Seite des Betts legt. Ihr Nachthemd riecht nach sauberer Baumwolle. Als er sich hinter sie legt, will er einfach nur laut losweinen. Er will ihr sagen, dass er vorhat, einen Psychologen für sie zu finden, sie aus dieser Phase herauszuholen, es wird besser werden, das wird es immer.

Sachlich greift er nach ihrem Oberarm, legt die andere Hand um ihren Bauch und hört sie kurz jammern, als er sie an sich zieht. Er presst das Gesicht in ihren Nacken, atmet feucht gegen ihren Kopf, hält sie ganz fest. Nach einer Weile spürt er ihre schnellen Atemzüge leichter werden. Sie liegen vollkommen still, werden warm und schwitzen, trotzdem lässt er sie nicht los.

Am nächsten Morgen wacht Axel früh auf, er hat vier Stunden geschlafen, und seine Muskeln schmerzen. Er steht am Fenster und betrachtet die dunklen Fliederdolden.

Als er an seinem neuen Arbeitsplatz eintrifft, ist er immer noch müde und verfroren. Am Vortag ist er eine Sekunde davon entfernt gewesen, seinen Namen unter den Kontrakt eines toten Mannes zu setzen. Er hätte beinahe seine eigene Ehre in die Hände eines erhängten Mannes gelegt, auf sein Urteil vertraut und vom eigenen abgesehen.

Er ist sehr erleichtert über seinen Entschluss, noch zu warten, aber vielleicht war es ein wenig albern, ein Strichmännchen in den Vertrag zu zeichnen.

Er weiß, dass er im Laufe der nächsten Tage die Ausfuhr von Munition nach Kenia genehmigen muss. Er öffnet die Mappe mit den Unterlagen und beginnt, über die schwedischen Handelsbeziehungen in der Region zu lesen.

Eine Stunde später wird die Tür zu Axel Riessens Büro aufgestoßen, und Jörgen Grünlicht kommt herein, zieht einen Stuhl zum Schreibtisch und setzt sich. Er öffnet die Mappe, zieht den Kontrakt heraus, blättert bis zur Unterschriftszeile und begegnet anschließend Axels Blick.

»Hallo«, sagt Axel Riessen.

Jörgen Grünlicht kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, weil das Strichmännchen mit den zerzausten Haaren tatsächlich Axel Riessen ähnelt und in der Sprechblase genau das steht: Hallo!

»Hallo«, sagt Jörgen Grünlicht.

»Es war noch zu früh«, erläutert Axel.

»Ich habe den Wink verstanden, es war nicht meine Absicht, Sie unter Druck zu setzen, auch wenn die Sache wirklich eilt«, erwidert Jörgen Grünlicht. »Der Handelsminister hat mir wieder Stress gemacht, die Leute von Silencia Defence rufen mehrmals täglich an. Aber Sie sollen wissen, dass ich Sie verstehe. Sie sind ganz neu hier und … wollen gründlich vorgehen.«

»Ja.«

»Und das ist natürlich gut so«, fährt Grünlicht fort. »Aber Sie wissen auch, dass sie die Angelegenheit auch der Regierung überlassen könnten, falls Sie unsicher sein sollten.«

»Ich bin nicht unsicher«, erwidert Axel. »Ich bin nur noch nicht fertig, das ist alles.«

»Es ist nur … von deren Warte aus ist unangemessen viel Zeit vergangen.«

»Ich stelle alle anderen Projekte zurück und kann immerhin so viel sagen, dass bisher alles sehr gut aussieht«, antwortet Riessen. »Ich habe nicht vor, Silencia Defence davon abzuhalten, das Schiff zu beladen, aber ich bin einfach noch nicht fertig.«

»Ich richte allen Betroffenen aus, dass Sie der Sache positiv gegenüberstehen.«

»Tun Sie das, ich meine, wenn ich nichts Auffälliges finde, dann …«

»Das werden Sie nicht, ich habe die Akten persönlich studiert.«

»Umso besser«, sagt Axel sanft.

»Ich werde Sie nicht länger stören«, erklärt Jörgen Grünlicht und steht von seinem Stuhl auf. »Können Sie schon abschätzen, wann Sie mit der Bewertung fertig sein werden?«

Axel betrachtet erneut das Material.

»Rechnen Sie mit zwei Tagen, da ich unter Umständen selber Informationen in Kenia einholen muss.«

»Selbstverständlich«, sagt Jörgen Grünlicht und verlässt den Raum.

61

Woran er immer denkt

Schon gegen zehn verlässt Axel Riessen die Kontrollbehörde wieder, um zu Hause weiterzuarbeiten. Die Akten zur Ausfuhrgenehmigung nimmt er mit. Die Müdigkeit lässt ihn frieren und macht ihn hungrig, sodass er zum Grand Hotel fährt und für einen Brunch für zwei Personen einkauft. Axel geht ins Haus und trägt die Lebensmittel in die Küche. Beverly sitzt mitten auf dem Küchentisch und blättert in dem Brautmodenmagazin »Amelia Braut & Hochzeit«.

»Hast du Hunger?«, fragt er.

»Ich weiß nicht, ob ich bei meiner Hochzeit ein weißes Kleid tragen soll«, sagt Beverly. »Vielleicht lieber hellrosa …«

»Mir gefällt weiß«, murmelt er.

Axel füllt ein Tablett, und die beiden gehen zu der kleinen roten Rokokositzgruppe an der großen Fensterfront im Salon hinauf. Zwischen ihnen steht ein achteckiger Tisch aus dem achtzehnten Jahrhundert, dessen Platte die Vorliebe für Intarsien in dieser Epoche bezeugt. Das Motiv ist ein Garten mit Pfauen und einer Frau, die auf einer chinesischen Zither spielt.

Axel deckt den Tisch mit seinem Familienporzellan mit dem silberfarbenen Wappen, grauen Leinenservietten und schweren Weingläsern. Er gießt Coca-Cola in Beverlys Glas und Mineralwasser mit Limettenscheiben in sein eigenes.

Beverlys Hals ist schmal, das Kinn zierlich und schön. Da ihre Haare so kurz sind, sieht man die gesamte Rundung ihres Hinterkopfs. Sie leert ihr Glas und streckt anschließend träge den Oberkörper. Eine schöne und kindliche Geste. Er denkt, dass sie als erwachsene Frau die gleiche Bewegung machen wird, vielleicht sogar noch als alter Mensch.

»Erzähl mir noch mal von der Musik«, bittet sie ihn.

»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragt Axel und richtet die Fernbedienung auf die Stereoanlage.

Alexander Malters überaus sensible Interpretation von Arvo Pärts »Alina« ertönt aus den Boxen. Axel schaut in sein Glas, wo die Bläschen im Mineralwasser platzen, und wünscht sich intensiv, wieder trinken zu können, wünscht sich, Champagner zum Spargel zu trinken und anschließend vor dem Schlafengehen Propavan und Stesolid zu nehmen.

Axel schenkt ihr noch etwas Cola ein. Sie blickt auf und bedankt sich wortlos. Er schaut unverwandt in ihre großen, dunklen Augen und merkt erst, dass ihr Glas überschäumt, als die Limonade auf die Tischplatte läuft. Das chinesische Motiv verdunkelt sich, als wäre die Sonne hinter Wolken verschwunden, eine feuchte Haut lässt den Park mit den Pfauen glänzen.