»Und verschwindet«, seufzt Carlos.
»Aber durch Petter Näslunds geschickte Einsatzleitung konnte Penelope Fernandez gerettet werden«, erklärt Joona und sieht, dass Pollock sich interessiert Petter zuwendet.
»Der exakte Ablauf muss natürlich noch detailliert untersucht werden«, sagt Petter mit einer Schroffheit in der Stimme, die seine Freude über das Lob nicht übertünchen kann.
»Das wird verdammt lange dauern«, sagt Kofoed.
»Aber was ist mit dem Foto? Es muss doch eine Bedeutung haben«, sagt Carlos.
»Es ist nur ein verdammtes Bild«, seufzt Petter.
»Sieben Menschen sind wegen dieses Fotos gestorben«, sagt Joona ernst. »Und weitere werden wahrscheinlich sterben, wenn wir nicht …«
Joona verstummt und blickt aus dem Fenster.
»Vielleicht ist dieses Foto wie ein Schloss, für das man einen Schlüssel braucht«, sagt er.
»Was denn für einen Schlüssel?«, fragt Petter.
»Den Fotografen«, antwortet Saga.
»Ist Penelope Fernandez die Fotografin?«, erkundigt sich Pollock.
»Das würde die Jagd auf sie erklären«, platzt Carlos heraus.
»Sicher«, bestätigt Saga zögernd.
»Aber?«, fragt Carlos.
»Was spricht dagegen?«, sagt Benny.
»Joona glaubt nicht, dass Penelope Fernandez die Fotografin ist«, antwortet Saga.
»Was zum Teufel«, ruft Petter.
Carlos schaut auf den Tisch und ist klug genug, sich jedes Kommentars zu enthalten.
»Penelope Fernandez steht natürlich unter Schock, sodass wir noch nicht wissen, welche Rolle sie in dem Ganzen spielt«, berichtet Saga.
Nathan Pollock räuspert sich und verteilt Kopien von Carl Palmcronas Testament.
»Palmcrona hat ein Konto bei einer Bank auf Jersey«, erzählt er.
»Die Steueroase«, kommentiert Petter Näslund und holt den Portionsbeutel Kautabak unter seiner Lippe hervor. Er wischt seinen Daumen am Tisch ab, ohne Carlos’ genervten Blick zu bemerken.
»Können wir herausbekommen, wie viel auf dem Konto ist?«, fragt Verner.
»Wir haben keine Möglichkeit, seine Transaktionen einzusehen«, sagt Joona, »aber laut Testament handelt es sich um neun Millionen Euro.«
»Seine finanziellen Verhältnisse sind ziemlich schlecht gewesen, und es ist nicht zu erklären, wie er solche Summen auf legale Art verdient haben soll«, sagt Pollock.
»Wir haben uns mit Transparency International in Verbindung gesetzt, der global agierenden Organisation, die Korruption bekämpft, aber denen liegt nichts gegen Carl Palmcrona oder jemand anderen bei der Staatlichen Kontrollbehörde vor, nicht einmal der Hauch eines Verdachts.«
»Das Vermögen wird einem sechzehnjährigen Jungen namens Stefan Bergkvist vermacht, bei dem es sich um Palmcronas Sohn handelt. Er ist ihm allerdings nie begegnet. Der Sohn kommt nur drei Tage nach Palmcronas Selbstmord bei einem Brand in Västerås ums Leben.«
»Der Junge hat nie erfahren, wer sein richtiger Vater ist«, fügt Saga hinzu.
»Dem vorläufigen Polizeibericht zufolge handelt es sich um einen Unfall«, sagt Carlos.
»Mag sein, aber glaubt hier wirklich jemand, dass das Feuer, das Carl Palmcronas Sohn drei Tage nach dessen Selbstmord getötet hat, ein Zufall ist?«, fragt Joona.
»Wie sollte es das sein?«, sagt Carlos.
»Aber das ist doch alles vollkommen krank«, sagt Petter. »Warum sollte jemand Palmcronas Sohn ermorden, dem der selbst nicht einmal begegnet ist?«
»Verdammt, worum geht es hier eigentlich?«, fragt Verner.
»Wer immer wieder auftaucht, ist Palmcrona«, sagt Joona und klopft mit dem Finger auf den lächelnden Mann auf dem Foto. »Er ist auf dem Bild, er wird erpresst, er wird erhängt aufgefunden, sein Sohn stirbt, und er hat neun Millionen Euro auf einem Bankkonto.«
»Das Geld ist interessant«, bemerkt Saga.
»Wir haben uns sein Leben angesehen«, erklärt Pollock. »Er hat keine Familie, keine Interessen, hat nichts investiert, besitzt keine Aktien …«
»Wenn dieses Geld sich wirklich auf seinem Bankkonto befindet, müssen die Einnahmen irgendwie mit seinem Posten als Generaldirektor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde zusammenhängen«, sagt Joona.
»Er könnte über Strohmänner Insidergeschäfte getätigt haben«, sagt Verner.
»Oder doch Schmiergelder angenommen haben«, schlägt Saga vor.
»Follow the money«, flüstert Pollock.
»Wir müssen mit Axel Riessen, Palmcronas Nachfolger, sprechen«, sagt Joona und steht auf. »Sollte es Unregelmäßigkeiten bei Palmcronas Entscheidungen geben, müsste er inzwischen darauf gestoßen sein.«
68
Ein Grund zum Feiern
In der Ferne, bei der Technischen Hochschule, hört Joona Trompeten röhren, Trillerpfeifen schrillen, und es wird dumpf und schnell auf große Trommeln geschlagen. Ein Demonstrationszug kommt die Odengatan hinunter. Es scheinen etwa siebzig junge Leute mit antifaschistischen Symbolen zu sein. Sie tragen Transparente, auf denen sie dagegen protestieren, wie der Staatsschutz die Mitglieder der Brigade behandelt. Joona sieht ein buntes Tuch mit dem Regenbogensymbol und Hammer und Sichel in der Luft flattern und hört die Jugendlichen mit jungen, hellen Stimmen skandieren:
»Der Staatsschutz stinkt faschistisch, der Staat handelt terroristisch!«
Die erregten Geräusche von der Odengatan verschwinden langsam, während Joona Linna und Saga Bauer den idyllischen Bragevägen hinaufgehen, einen kurvigen Anstieg, der bis zur Engelbrektskirche führt. Sie haben sich mit der Staatlichen Kontrollbehörde in Verbindung gesetzt und erfahren, dass der Generaldirektor an diesem Vormittag zu Hause arbeitet.
Linkerhand steht der schöne Privatpalast, in dem die Gebrüder Riessen in zwei separaten Wohnungen leben. Eine massive Fassade: dunkle, handgefertigte Ziegel, Fensterscheiben mit Bleieinfassungen, kunstvolle Schnitzereien und mit Grünspan überzogene Kupferarbeiten rund um Erker und Schornsteine.
Sie gehen zu der dunkel glänzenden Haustür mit einem Messingschild, auf dem der Name Axel Riessen steht. Saga betätigt den Knopf der Türklingel. Kurz darauf wird die schwere Tür von einem großen sonnengebräunten Mann mit freundlichem Gesicht geöffnet.
Saga stellt sich als Kommissarin beim Staatsschutz vor und erklärt kurz ihr Anliegen. Axel Riessen mustert sorgsam ihren Ausweis und blickt dann auf:
»Ich bezweifle, dass ich Ihnen irgendwie nützlich sein kann, aber …«
»Es ist uns trotzdem immer ein Vergnügen, vorbeizuschauen«, sagt Joona Linna.
Axel Riessen wirft ihm einen erstaunten Blick zu, lächelt dann jedoch anerkennend über den ironischen Kommentar. Er bittet sie in den hellen, hohen Flur. Axel Riessen trägt eine dunkelblaue Anzughose und ein hellblaues Hemd mit offenem Kragen, seine Füße stecken in Pantoffeln. Er holt zwei weitere Paare Pantoffeln aus einem flachen, glänzenden Schrank und bietet sie Saga und Joona an.
»Ich schlage vor, dass wir uns in die Orangerie setzen, dort ist es ein wenig kühler.«
Sie folgen Axel Riessen durch die große Wohnung, vorbei an der breiten Mahagonitreppe, dunklen Wandvertäfelungen und zwei großen Salons.
Die Orangerie erweist sich als verglaste Veranda zum Garten hin, in dem die hohe Hecke grüne Schatten wirft und eine Wand aus Blättern und Bewegung erschafft. Geruchslose Orchideen und würzige Kräuter stehen säuberlich aufgereiht auf Kupfertischen und gekachelten Flächen.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagt Axel Riessen und zeigt auf die Sitzmöbel. »Ich wollte mir gerade Tee und Crumpets gönnen. Es wäre nett, wenn Sie mir Gesellschaft leisten würden.«
»Crumpets habe ich nicht mehr gegessen, seit ich auf einem Sprachkurs in Edinburgh war«, erwidert Saga lächelnd.
»Na also«, sagt Axel zufrieden und verlässt den Raum.
Wenige Minuten später kehrt er mit einem Metalltablett zurück. Er platziert die Kanne, den Dessertteller mit Zitronenschnitzen und die Zuckerdose auf dem Tisch. Die warmen Pfannkuchen liegen in einem Leinentuch neben einer Butterdose. Axel deckt sorgfältig für alle drei, stellt Teetassen und Teller auf den Tisch, legt neben jedes Gedeck eine Leinenserviette und gießt anschließend Tee ein.