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Lehrer Nunley hatte pflichtbewusst seine Zeitung gelesen, aber zu meinem Pech blickte er genau in dem Moment auf, als Sloan seinen Namen nannte. »Äh? Ja? Mm-hmm.«

Die anderen Erwachsenen drehten sich zu mir um. Ich wusste, dass sie mir niemals glauben würden, selbst wenn ich ihnen die Wahrheit erzählen könnte.

Ich riss Springflut aus meiner ramponierten Jeans, rief Tyson zu: »Komm mit!«, und sprang durch das klaffende Loch in der Seitenwand.

Wir winken dem Taxi der ewigen Qualen

Annabeth wartete in einer Seitenstraße der Church Street auf uns. Sie zog Tyson und mich von der Straße, als ein Löschzug in Richtung Meriwether Prep vorüberjagte.

»Wo hast du den denn aufgegabelt?«, fragte sie und zeigte auf Tyson.

Unter anderen Umständen wäre ich einfach glücklich über dieses Wiedersehen gewesen. Wir hatten im vergangenen Sommer Frieden miteinander geschlossen, trotz der Tatsache, dass ihre Mutter Athene sich mit meinem Dad nicht gut verstand. Annabeth hatte mir vermutlich mehr gefehlt, als ich zugeben mochte.

Aber ich war soeben von riesigen Kannibalen angegriffen worden, Tyson hatte mir drei- oder viermal das Leben gerettet und Annabeth starrte ihn nur wütend an, als ob er hier das Problem wäre.

»Er ist mein Freund«, sagte ich zu ihr.

»Ist er obdachlos?«

»Was spielt das denn für eine Rolle? Übrigens kann er dich hören. Warum fragst du ihn nicht selbst?«

Sie sah überrascht aus. »Er kann sprechen?«

»Ich sprech«, gab Tyson zu. »Du bist hübsch.«

»Iih, wie peinlich!« Annabeth wich einen Schritt von ihm zurück.

Ich konnte es nicht fassen, dass sie so grob war. Ich untersuchte Tysons Hände, die von den Kugeln böse verbrannt sein mussten, doch sie sahen nicht weiter schlimm aus. Verdreckt und narbig, mit schmutzigen Fingernägeln groß wie Kartoffelchips, aber so sahen sie immer aus.

»Tyson«, sagte ich fassungslos. »Deine Hände sind ja gar nicht verbrannt.«

»Natürlich nicht«, knurrte Annabeth. »Ich kann gar nicht fassen, wie die Laistrygonen den Nerv haben konnten, dich anzugreifen, während er in der Nähe war.«

Tyson schien von Annabeths blonden Haaren fasziniert zu sein. Er versuchte, sie zu berühren, aber sie schlug ihm auf die Hand.

»Annabeth«, sagte ich. »Wovon redest du da? Laistri-was?«

»Laistrygonen. Die Ungeheuer in der Turnhalle. Das ist eine Sippe von Riesenkannibalen, die im hohen Norden leben. Odysseus ist ihnen mal über den Weg gelaufen, aber so weit südlich wie in New York habe ich bisher noch nie welche gesehen.«

»Laistr… – ich kann das nicht mal aussprechen. Haben sie noch einen anderen Namen?«

Sie dachte einen Moment nach. »Kanadier«, entschied sie. »Und jetzt komm, wir müssen machen, dass wir hier wegkommen.«

»Die Polizei wird mich suchen.«

»Das ist unser geringstes Problem«, sagte sie. »Hattest du auch die Träume?«

»Die Träume … von Grover?«

Sie erbleichte. »Grover? Nein, was ist mit Grover?«

Ich erzählte ihr von meinem Traum. »Warum? Was hast du geträumt?«

Ihre Augen sahen stürmisch aus, ihr Herz schien zu klopfen, als wäre sie tausend Kilometer gerannt.

»Vom Camp«, sagte sie endlich. »Haufenweise Probleme im Camp.«

»Das hat meine Mom auch schon gesagt. Aber was für Probleme?«

»Ich weiß es nicht genau. Irgendwas stimmt da nicht. Wir müssen sofort hin. Auf dem ganzen Weg von Virginia hierher haben mich Ungeheuer angegriffen, um mich aufzuhalten. Bist du oft überfallen worden?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das ganze Jahr noch nicht. Erst heute.«

»Kein einziges Mal? Aber wieso …« Ihre Blicke wanderten zu Tyson. »Oh!«

»Was soll das heißen, oh

Tyson meldete sich, wie im Klassenzimmer. »Kanadier in der Turnhalle haben Percy irgendwas genannt … Sohn von Meeresgott?«

Annabeth und ich wechselten einen Blick.

Ich wusste nicht, wie ich das erklären sollte, aber ich fand, Tyson hatte ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Schließlich war er fast ums Leben gekommen.

»Großer«, sagte ich. »Hast du je die alten Geschichten über die griechischen Götter gehört? Ich meine Zeus, Poseidon, Athene …«

»Ja«, sagte Tyson.

»Also … diese Gottheiten leben noch. Sie folgen sozusagen der abendländischen Zivilisation und dabei wohnen sie in allerlei seltsamen Ländern und jetzt sind sie in den USA. Und manchmal haben sie mit Sterblichen Kinder. Und die werden Halbblute genannt.«

»Ja«, sagte Tyson und schien noch immer darauf zu warten, dass ich endlich zur Sache kam.

»Also, Annabeth und ich sind Halbblute«, sagte ich. »Wir sind … sozusagen … Helden in der Ausbildung. Und wenn Monster unsere Witterung aufnehmen, dann greifen sie uns an. So was waren die Riesen in der Turnhalle. Monster.«

»Ja.«

Ich starrte ihn an. Er wirkte nicht überrascht oder verwirrt von dem, was ich erzählte, und das überraschte und verwirrte mich. »Also … du glaubst mir?«

Tyson nickte. »Aber du bist … Sohn von Meeresgott?«

»Ja«, gab ich zu. »Mein Dad ist Poseidon.«

Tyson runzelte die Stirn. Jetzt sah er verwirrt aus. »Aber dann …«

Eine Sirene heulte auf. Ein Streifenwagen jagte vorbei.

»Wir haben jetzt keine Zeit«, sagte Annabeth. »Wir reden im Taxi weiter.«

»Ein Taxi für die ganze Fahrt zum Camp?«, fragte ich. »Weißt du, was das kos…«

»Verlass dich auf mich.«

Ich zögerte. »Was ist mit Tyson?«

Ich stellte mir vor, wie ich meinen überdimensionalen Freund mit ins Camp Half-Blood brachte. Wenn er schon auf einem normalen Spielplatz mit normalen Machomackern ausrastete, wie würde er sich dann in einem Trainingslager für Demigottheiten machen? Andererseits war mit Sicherheit die Polizei hinter uns her.

»Wir können ihn nicht hier zurücklassen«, entschied ich. »Sonst kriegt er auch noch Ärger.«

»Ja.« Annabeth sah grimmig aus. »Wir müssen ihn auf jeden Fall mitnehmen. Aber jetzt komm.«

Die Art, wie sie das sagte, gefiel mir nicht, es klang, als wäre Tyson eine schreckliche Krankheit, die wir ins Krankenhaus schaffen mussten, aber ich lief hinter ihr her die Straße hinunter. Zusammen schlichen wir drei uns durch das Viertel, während hinter uns eine gewaltige Rauchsäule aus meiner Schulturnhalle quoll.

»Hier.« Annabeth ließ uns an der Ecke Thomas und Trimble anhalten. Sie wühlte in ihrem Rucksack. »Ich hoffe, ich habe noch eine.«

Sie sah schlimmer aus, als ich im ersten Augenblick bemerkt hatte. Ihre Wange war zerschrammt und Zweige und Grashalme steckten in ihrem Pferdeschwanz, als ob sie mehrere Nächte unter freiem Himmel verbracht hätte. Die Risse unten in ihrer Jeans sahen verdächtig nach Krallenspuren aus.

»Was suchst du denn?«, fragte ich.

Überall um uns herum heulten Sirenen. Sicher würden bald noch mehr Cops vorbeifahren, auf der Suche nach jugendlichen Turnhallenbombenlegern. Bestimmt hatte Matt Sloan inzwischen seine Aussage gemacht. Und die Geschichte so verdreht, dass Tyson und ich als die blutrünstigen Kannibalen dastanden.

»Da ist eine. Den Gottheiten sei Dank.« Annabeth zog eine Goldmünze hervor, die ich als Drachme erkannte, die Währung des Berges Olymp. Auf der einen Seite war Zeus’ Gesicht eingeprägt, auf der anderen das Empire State Building.

»Annabeth«, sagte ich. »Taxifahrer in New York nehmen die nicht an.«

»Epeche«, rief sie auf Altgriechisch. »Harma diaboles!«

Wie immer konnte ich sie irgendwie verstehen, als sie die Sprache des Olymps benutzte. Sie hatte gesagt: Halt an, Kutsche der Verdammnis!

Was mich für ihren Plan, wie immer der aussehen mochte, nicht gerade mit Begeisterung erfüllte.

Sie warf ihre Münze auf die Straße, doch statt klirrend auf dem Asphalt aufzuschlagen, versank die Drachme im Boden und war verschwunden.