Ich drehte mich um, um sie anzuflehen, mit mir zu kommen, aber als sie die anderen den Gang entlanghasten hörte, versetzte sie mir einen Stoß und bedeutete mir energisch, zu fliehen.
16. Kapitel
Blinde Wut lenkte meine Schritte. Der Zorn über meine eigene Dummheit verwandelte sich in Zorn auf Anne. Dass sie auch nur daran denken konnte, jemand anderen zu heiraten, war schon schlimm genug. Aber ausgerechnet meinen schlimmsten Feind George!
Ich wünschte, ich hätte George getötet, als ich ihn mit seinem Winkelhaken geschlagen hatte. Die Mordlust hatte man mir wohl angesehen, als ich nach Smithfield rannte, denn die Menschen pressten sich an die Hauswände, um mir auszuweichen.
Als ich am Half Moon Court vorbeikam, fiel mir etwas ein, dass Anne mir erzählt hatte, und ich wandte mich zum Haus. Ich hatte noch eine Chance. Die Tür war verschlossen, aber ich wusste, unter welchem Stein der Schlüssel versteckt war. Ich blieb stehen. Der Tisch war für das Hochzeitsmahl gedeckt: Wildpastete, ein ganzer Karpfen, eine Gans am Spieß, von der das Fett heruntertropfte, eingemachte Früchte und Fässer voll Bier und Wein. Ich rannte in die Druckerei.
»Sa…rah?«, rief Mr Black von oben. »Bist … du da?«
Er war also immer noch zu krank, um zur Kirche zu gehen. Schuldgefühle, weil ich ein Grund für seine Krankheit war, mischten sich mit der wachsenden Hoffnung, dass mein Plan funktionieren könnte.
Ich rannte in die Druckerei. Die Maschinen glänzten, Rahmen, Keile und Hammer lagen ordentlich auf dem polierten Stein, bereit für das nächste Ausschießen. Was immer sich über George sagen ließ, seine Arbeit genügte stets den höchsten Ansprüchen. Der Titel eines Stapels mit Flugschriften ließ mich wieder an Georges säuerliche, Unheil verkündende Stimme denken. Die sieben Schritte des Sünders zur Hölle. Der Sünder in mir wusste, dass er damit nicht viel Geld verdienen würde. Kaum, dass er das Papier damit würde bezahlen können. Gleichwohl strahlte die ganze Werkstatt Wohlstand aus, ganz zu schweigen von dem Hochzeitsmahl.
Ich ging ins Papierlager. Dort fand ich die Quelle des Reichtums: ein Stapel royalistischer Traktate, in Bündeln verpackt und bereit zur Auslieferung. Ich riss ein Bündel auf und nahm ein Blatt heraus. Kämpft für den Königlichen Frieden! Das Impressum behauptete, es sei im White Horse, Oxford, dem Hauptquartier des Königs, gedruckt worden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mr Black, wie Anne mir erzählt hatte, davon wusste.
Doch als ich die Treppe emporrannte, wurde es nur zu offensichtlich, dass er kaum irgendetwas wusste. Er glaubte immer noch, ich sei Sarah, denn er hing halb aus dem Bett und tastete nach einer Feder, die er fallen gelassen hatte. Rund um das Bett lagen Papiere verstreut. Er hatte sich bemüht, seinen Namen zu schreiben, doch seine feine schräge Handschrift hatte er verloren, und die Unterschrift war nicht mehr als ein spinnenartiges Gekritzel.
»S…arah. Hebe …«
Ich schob meine Hände unter seine Arme und versuchte, ihn hochzuheben. Mein verletzter Arm protestierte, und Mr Black rutschte noch weiter aus dem Bett. Noch einmal versuchte ich ihn hochzuwuchten. Wenn er noch sein früheres Gewicht gehabt hätte, hätte ich es niemals geschafft, doch die faltige Haut schien über seine Knochen zu rutschen, als ich ihn in die Kissen zerrte. Er starrte mich an, oder zumindest eine Hälfte von ihm tat es. Die eine Hälfte, die rechte, schien dem alten Mr Black zu gehören. Dasselbe dunkle Auge musterte mich streng, die halbe Lippe bebte, als wollte sie einen Befehl erteilen. Die linke Wange glich einem erstarrten Wirbel aus Fleisch, das Auge war halb geschlossen und bewegte sich nicht.
Ich verbarg mein Gesicht. Ich konnte den Anblick dessen, was ich getan hatte, nicht ertragen. Wenn ich an jenem Tag nicht mit ihm gekämpft hätte und davongelaufen wäre, wäre das alles nie geschehen. Jetzt erkannte ich, warum Anne ihm geschworen hatte, mich nie wieder zu treffen.
»N… näher.«
Das Wort kam so verstümmelt und gelallt aus seinem Mund, dass es einen Moment dauerte, ehe ich ihn verstand. Ich fürchte mich, näher an ihn heranzutreten. Er war die Verkörperung meiner Sünden, ein Monster, das ich kaum durch die Lücken zwischen meinen Fingern ansehen konnte.
»Näher!«
Ein wütendes, verbittertes Knurren. Es musste ein paar Überreste des alten Mr Black enthalten haben, denn widerstrebend schob ich mich, immer noch sitzend, gehorsam auf der Bettkante auf ihn zu, ohne indes die Hände vom Gesicht zu nehmen.
»Lass … dich sehen.«
Ich zuckte zusammen, als seine rechte Hand in einem Bogen auf mich zukam, doch ich zog meinen Kopf nicht zurück. Ich erwartete einen Schlag, und tatsächlich sehnte ich mich plötzlich nach meiner alten Bestrafung. Doch stattdessen berührte seine Hand die meine und löste die Finger von meinem Gesicht. Seine Berührung war so sanft, so unerwartet und stand in so einem Widerspruch zu dem Stirnrunzeln, dass auf ewig in seinem Gesicht eingebrannt schien, dass ich in Tränen ausbrach.
»O Sir, vergebt mir, vergebt mir für das, was ich getan habe!«
Zu meinem Erstaunen legte der Mann, den ich stets als unnachgiebig hart und starrsinnig gekannt hatte, seine Arme um mich, oder, um genau zu sein, seinen guten Arm.
»Hätte … dir … sagen … müssen.« Zwischen den einzelnen Worten lag eine lange quälende Pause, während der die beiden Hälften seines Gesichts miteinander zu ringen schienen. Doch die strenge verurteilende Seite war erstarrt, während die Seite, die mir zugelächelt hatte, nachdem wir zusammen die Große Remonstranz entziffert hatten, und die ich im Grunde erst kurz vor meinem Weglaufen entdeckt hatte, befreit wirkte. Sein rechtes Auge strahlte vor Lebendigkeit, dass es für beide reichte, während er sich bemühte, mit den Lippen ein Lächeln zu formen. »Hätte … dir … viele … Dinge … sagen … sollen … viele …« Erschöpft hielt er inne.
»Sie darf George nicht heiraten«, sagte ich.
»Sie … nichts … für … dich«, brachte er heraus.
»Ich … ich liebe sie, Sir!«
»George … guter … Mann«, sagte er.
Nichts hatte sich geändert. Ich spürte die Wut in mir aufsteigen, genau wie damals, als er versucht hatte, mich in die Form zu prügeln, in der sie mich haben wollten. »Ich hätte nie gedacht, dass George Euch dazu bringt, Partei für den König zu ergreifen«, sagte ich verbittert.
»König …?«
Ich hielt die Flugschrift in die Höhe. Langsam begann er zu lesen, dann ließ er es fallen. Sein Gesicht war gerötet, so dass ich fürchtete, er würde einen erneuten Anfall erleiden.
»Sie darf George nicht heiraten, Sir!«, flehte ich. »Wenn Ihr Eure Erlaubnis verweigert, kann es noch verhindert werden, selbst jetzt noch!«
Die Kirchenglocken hörten auf zu läuten. In der durchdringenden Stille öffnete er bebend den Mund und schloss ihn wieder.
»Verweigert Ihr Eure Erlaubnis? Mr Black?«
Er starrte mich an, der geschlossene Mund bebte. Ich hob ein Blatt Papier und eine Feder von Boden auf und tauchte sie in die Tinte.
17. Kapitel
Ich rannte an dem Gedenkstein vorbei, wo Anne sich an den Nesseln gebrannt hatte. Stolperte die Kirchenstufen hinauf. Fiel in der Vorhalle der Länge nach hin. Hörte die Worte des Pfarrers nachhallen: »… in Krankheit und in Gesundheit, Treue zu schwören …« Voller Panik, dass sie »Ich will« sagen könnte, rappelte ich mich auf und rannte in die Kirche.
»Ich will.«
Es war George, der gesprochen hatte, ein George, der sein Gesicht geschrubbt hatte, bis es glänzte, ein George, der sich selbst zu diesem freudigen Anlass in einen schwarzen Leibrock und Kniehosen gezwängt hatte und dessen Worte unheilvoll durch die Kirche hallten. Annes einfaches, schmuckloses Kleid hob den Kontrast zwischen ihnen nur noch stärker hervor.