Der Pfarrer, Mr Tooley, wandte sich ihr zu. »Anne, willst du diesen Mann zu deinem angetrauten Gatten nehmen, mit ihm in Gottes Sakrament leben …«
»Das wird sie nicht!«, schrie ich. »Ich meine, sie darf nicht! Ihr Vater verbietet es!«
Nach meinem Auftauchen in Turvilles Studierzimmer war dies das zweite Mal, dass ich erlebte, welche Macht darin lag, ein Edelmann zu sein oder zumindest wie einer auszusehen. Selbst ein reicher Kaufmann wie Benyon zögerte zu widersprechen, vor allem als er hörte, wie ich Mr Tooley von Mr Blacks Verärgerung berichtete, weil George aufwieglerische Pamphlete gedruckt hatte. Inzwischen herrschte das Parlament über die Stadt, und solcherlei Schriften waren ein ernstes Vergehen. Benyon schickte einen seiner Diener los, der sich verstohlen aus der Kirche schlich. Die Gemeinde war in Aufruhr. Mr Tooley rief: »Dies ist ein Gotteshaus, keine Schaubühne!«, während er mich zusammen mit George, Anne und Mrs Black in die Sakristei führte.
Anne weigerte sich, mich anzuhören. Sobald ich den Mund aufmachte, unterbrach sie mich mit den Worten: »Du hast dein Versprechen gebrochen.«
»Ich musste! Du kannst ihn nicht heiraten! Er hat deinen Vater betrogen!«
»Du hast dein Versprechen gebrochen, mich nie wieder aufzusuchen!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Du hast es versprochen, versprochen!«
»Ich habe deinen Vater besucht.«
»Meinen Vater! Du hast ihn besucht? Du wirst ihn noch töten!«
Sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Er hat die Hochzeit verboten«, rief ich aus.
»Verboten?« Sie nahm die Hände vom Gesicht und blickte mich wütend an.
In der trostlosen Enge der Sakristei, mit den schwarzen Roben an den Wänden und Notizen von Gemeindeversammlungen, erholte George sich von seinem Schreck. »Wie kann das wahr sein?« Seine Stimme überschlug sich beinahe vor Empörung. »Haben wir nicht mit ihm gesprochen, ehe wir gingen? Hat er uns nicht seinen Segen gegeben?«
»Ist das wahr, mein Kind?«, frage Mr Tooley streng.
Anne wickelte ihre schlanken Finger umeinander, bis ich dachte, sie müssten brechen. »Ja. Ja. Soweit er eben sprechen konnte.« Ihre Mutter kam herüber, um den Arm um sie zu legen, aber Anne stieß sie fort und fuhr mich an. »Warum glaube ich dir immer noch? Ich kann nicht ein Wort glauben von dem, was du sagst. Du hast versprochen, mich nicht wiederzusehen, und jetzt, jetzt … ausgerechnet an diesem Tag …!«
Unter Tränen brach sie zusammen, und ihre Mutter führte sie zu einer Bank in der Ecke. Ich konnte nicht anders und versuchte, zu ihr zu gelangen, doch Mr Tooley packte mich an der einen Seite und George an der anderen. »Schlimmer als ein Dieb ist ein Lügner, Mr Tooley, denn er stiehlt die Wahrheit aus Eurem Mund«, sagte George.
Das Zitat aus seinem Lieblingsbuch Jesus Sirach rief mir all die scheinheiligen Predigten ins Gedächtnis, die er über die Jahre in mich hineingeprügelt hatte und die mich stärker verletzt und in Rage gebracht hatten als sein Winkelhaken. Ich bemühte mich, meine Wut unter Kontrolle zu halten, und zog ein Stück Papier aus der Tasche. »Ich kann es beweisen.«
George versuchte, es sich zu schnappen, aber Mr Tooley streckte die Hand aus, und ich reichte ihm das Blatt. Er las laut vor: »Ich widerrufe die Einwilligung zur Heirat meiner Tochter, Anne Black, mit George Sawyer. Gezeichnet Robert Black.« Er runzelte die Stirn. »Warum sollte er das tun? So spät?«
Noch einmal erklärte ich ihm, dass ich Flugblätter gefunden hatte, die den König unterstützten. Hitzig bestritt George, solche Pamphlete gedruckt zu haben.
»Was geht da vor sich, Mutter?«, sagte Anne und zeigte plötzlich wieder Tatkraft.
»Nichts!«, rief Mrs Black, sah jedoch zunehmend unbehaglicher aus. »Ich habe an nichts anderes als an dich gedacht und wollte dich in Sicherheit wissen!«
George nahm das Blatt Papier. »Der Lehrjunge hat das geschrieben! Denn das ist er immer noch, trotz seiner gestohlenen Kleider! Dank ihm ist der arme Mr Black nicht imstande zu schreiben.«
»Er kann!«, mischte Anne sich ein. »Lass mich sehen!«
»Es hat keinen Zweck, dass du es dir ansiehst, Kind«, sagte ihre Mutter. »Genau so wenig, als wenn ich es täte.«
»Aye«, stimmte George zu. »Gepriesen sei der Herr, dass du solch eine garstige Betrügerei nicht lesen kannst.«
»Ich kann lesen!«, rief Anne, dann geriet ihre Stimme ins Wanken. »Ein wenig. Und ich lerne schreiben.«
»Nachdem ich es verboten habe?«, sagte George mit frostiger Stimme.
Sie starrte zu Boden. Mr Tooley blickte zur Seite. Es war, als wären sie bereits verheiratet, und was immer der Pfarrer dachte, er würde sich nicht zwischen Mann und Weib stellen. In seinen Predigten pflegte er die Tugenden einer gehorsamen Gattin zu loben, die genug Lesen und Schreiben konnte, um ihre Pflichten im Haushalt zu erfüllen, aber nicht genug, um die Bibel zu lesen, denn das war gefährlich, da sie einen Mann brauchte, der die Heilige Schrift für sie auslegte. Ich begann zu erahnen, was seit meinem Fortgang im Half Moon Court geschehen war. George hatte die Kontrolle über das Geschäft übernommen, und Mrs Black, voller Angst vor der Zukunft, hatte ihn nur allzu bereitwillig gewähren lassen. Anne war die Hauptlast bei der Pflege ihres kranken Vaters zugefallen, und sie schien eine engere Beziehung zu ihm entwickelt zu haben, als die beiden gemerkt hatten.
»Nein, im eigentlichen Sinn habe ich nicht Schreiben gelernt«, stammelte sie. »Aber mein Vater muss es wie ein Kind neu lernen, und ich habe das eine oder andere aufgeschnappt. Das ist alles.«
»Lass uns allein«, sagte George, kaum weniger abschätzig ihr gegenüber als er sich mir gegenüber verhalten hatte, als ich noch Lehrjunge war. Ärger brodelte in mir, als sie still zu ihrer Mutter zurückkehrte. Ihre Schritte waren langsam und kontrolliert. Ich konnte nicht fassen, dass dies dieselbe Person war, die noch vor zwei Monaten mit mir über Gloomy George gelacht hatte.
»Warte!«, rief Mr Tooley und zeigte ihr das Stück Papier. »Ist das Mr Blacks Handschrift?«
»Ich habe aufgeschrieben, was er zu sagen wünschte, und er hat es unterzeichnet«, sagte ich. »Nachdem ich als Beweis das Pamphlet gezeigt habe, das George heimlich für die Partei des Königs gedruckt hatte.«
»Es gibt kein solches Pamphlet«, sagte George. Er schaute Mrs Black an. »Oder?«
»Ich habe keines gesehen«, sagte sie.
»Ist das Mr Blacks Unterschrift, Anne? In seinem derzeitigen Zustand?«, fragte Mr Tooley.
»Sie sieht so aus.« Sie zögerte und flüsterte schließlich: »Ich weiß es nicht.«
»Tom!« Mr Tooley feuerte die Frage auf mich ab wie die Kugel aus einer Muskete, so dass ich erschreckt zusammenzuckte. »Hat Mr Black dies unterzeichnet?«
»Das sind die Worte, die er zu mir gesagt hat.«
»Beantworte meine Frage! Du befindest dich in einer Kirche, vor dem Gericht Gottes, das mehr zählt als jedes weltliche Gericht.«
Außerhalb der Sakristei war es plötzlich still, bis auf ein Wispern und Scharren, das sich anhörte wie die Ratten, die in meinem wiederkehrenden Albtraum im Keller über mich krochen. Diese Frage war der krönende Abschluss meiner Kindheit. Fragende Gesichter zogen verschwommen an mir vorbei. Der alte Edelmann, nachdem ich mich mit Pech verbrannt hatte. Wer bist du? Susannah, wie sie die Bibel aufschlägt. Was stand darin? Mr Black, streng und redlich. Hast du deine Lettern? Ihnen allen wollte ich eine Gegenfrage zurückschleudern. Wer von Euch hat mir die Wahrheit gesagt? Weder Susannah, noch Mr Black oder Lord Stonehouse, obwohl jeder einen Teil davon kannte. In dieser schäbigen Sakristei, mit dem knarrenden Tisch und den wackeligen Stapeln abgegriffener Gebetsbücher, hatte ich das Gefühl, als habe sich eine Lüge auf die andere gehäuft, gleich einem Stein auf den anderen, und ich hatte Angst, eine weitere hinzuzufügen, aus Furcht, die Lichtspalten, die ich enthüllt hatte, würden erneut verschwinden, und ich wäre auf ewig im Keller der Falschheit eingemauert.