Unter den Blicken der Constables schritt ich geradewegs ins Papierlager. Kein Zeichen von Kämpft für den Königlichen Frieden! Oder irgendwelchen anderen royalistischen Pamphleten. Ebenso wenig gab es eine Spur von den Druckformen, mit denen sie erstellt worden waren.
Nur mit Mühe gelang es mir, Ruhe zu bewahren. Ich konnte Anne nicht in die Augen blicken. George beobachtete mich, den Kopf leicht geneigt, die Arme verschränkt.
»Sie waren hier! Ich schwöre, dass sie hier waren!«
Anne wandte sich ab. George schloss die Arme um sie. Ich spürte, wie Mr Tooleys Blick mir folgte, als ich jedes Regal und jede Bank absuchte. Ich erinnerte mich, dass Benyon seinen Diener aus der Kirche geschickt hatte. »Sarah! Waren Mr Benyons Männer hier?«
»Aye. Mit einer Kutsche. Um mir zu sagen, dass die Feier erst später anfangen würde.«
»Haben sie etwas mitgenommen?«
»Ich weiß nicht. Ich war oben, bei Master Black.«
»Sie waren hier!«, sagte ich zu Anne. »Du musst mir glauben!«
Ich konnte den Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht ertragen. Sie wandte sich von mir ab. Sie sah aus, als hätte man ihr gerade mitgeteilt, dass ihr Liebster gestorben sei. Obwohl Sarah Miss Etepetete wenig Liebe entgegenbrachte, erkannte sie Trauer, wenn sie sie sah.
»Kommt schon. Ihr werdet heiraten. Schon vergessen?«
Anne schien nicht zu wissen, wo sie war oder was geschehen war. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. Die Worte waren kaum zu hören. Ob es ihr um mich leid tat, ob sie mich damit ansprach oder eher allgemein alle Anwesenden, vermochte ich nicht zu sagen, doch George fasste es als eine an ihn gerichtete persönliche Entschuldigung auf. Er zeigte sich großherzig, vergebend und bekümmert zugleich. »Das ist eine ihrer besten Qualitäten, Mr Tooley, dass sie stets versucht, das Gute in allen Menschen zu sehen. Mr Black und ich haben uns jahrelang bemüht, es in ihm zu finden. Aber Ihr habt gerade demonstriert, mein Lieber, beredter als ich es je gekonnt hätte, dass dort nichts ist.«
Er dachte kurz nach. »Nein, schlimmer als nichts.« Er hatte sein dünnes Haar über die Narbe an der Stirn gekämmt, wo ich ihn geschlagen hatte. Aber der Wind hatte es zerzaust, und jetzt leuchtete die Narbe rot auf, als George mit dem Finger auf mich zeigte und sprach: »Er ist ein Besessener … vom Teufel besessen!«
Es waren nicht die Worte, denn die hatte ich schon viele Male zuvor gehört, wenn auch noch nie so drastisch und ungestüm. Es war nicht einmal die Wirkung, die sie auf Anne hatten, die ein entsetztes Gesicht machte. Es war Georges Geste, als er mit offenen Armen auf sie zutrat, die mich dazu brachte, mich auf ihn zu stürzen. Jeder wurde davon überrascht, sogar ich selbst. Mein Schwung stieß Mr Tooley beiseite und schleuderte George gegen die Druckerpresse. Als er zu Boden fiel, schlossen sich meine Hände, die plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln schienen, um seinen Hals. Es war meine volle Absicht, ihn zu töten. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, was mit mir geschehen würde, denn in meiner Vorstellung würde ich ohnehin hängen. Doch was immer geschehen würde, er durfte Anne nicht heiraten. Er durfte sie nicht berühren, ihren Verstand vergiften … Die Worte dröhnten in meinem Kopf, als ich darum kämpfte, Georges Hals zu umklammern, während die Constables versuchten, mich fortzuziehen. Ich glaubte wirklich, ich sei besessen. Als sie es schließlich schafften, mich wegzuzerren, war George nicht tot, weit gefehlt, aber zumindest war er nicht imstande zu sprechen. Das war doch immerhin etwas.
Die Druckerei sah aus, als sei ein Sturm hindurchgefegt. Blöcke, Typen und Papier waren über den ganzen Boden verstreut. Man band mir die Hände fest auf dem Rücken zusammen. Selbst dann schlichen sie vorsichtig um mich herum, als sei ich ein tollwütiger Hund, der womöglich unvermittelt zubiss. Die Lippe des einen Constables schwoll an, und in seinem Mundwinkel hing ein Tropfen Blut. Ich sah es in den aufblitzenden Bildern, als ich langsam wieder zu Bewusstsein kam. Nur ansatzweise war ich mir der Prügel bewusst, die ich eingesteckt hatte. Wie lange Mrs Black schon dort stand, wusste ich nicht, aber sie sagte zu Mr Tooley, dass Mr Black mich oben zu sehen wünsche. Er wollte, dass ich zu im hochkomme! Dabei konnte ich kaum die Stufen erklimmen. Mr Tooley lehnte ab. Er wollte Mr Black keiner weiteren Aufregung mehr aussetzen.
Ein heftiges Klopfen ertönte aus der Kammer über uns, Putz rieselte auf uns nieder. Ehe Mr Tooley sie aufhalten konnte, war Anne bereits den halben Weg die Treppe hinauf zu ihrem Vater. Der Pfarrer faltete die Hände und schloss die Augen, während seine Lippen sich bewegten und er, wie ich mir vorstellte, Gott bat, diese Trauung, der längsten, der er je beigewohnt hatte, so oder so zu Ende zu bringen. Mrs Black schüttelte etwas Putz von ihrem Hut.
»Schur…ke«, bellte Mr Black über uns, in einem Geheul aus verstümmelten Silben, das Mr Tooley aus seinem Gebet riss und mich auf die Beine brachte. Er mochte lallen, aber er hatte nichts von seiner rachsüchtigen Macht verloren, die sowohl er als auch George aus dem Alten Testament ableiteten. Sie erweckte alte Schauder zum Leben und gab George die Stimme zurück, obwohl ein leichtes näselndes Rasseln in seiner Kehle mitklang, um die er vorsichtig einen seidenen Schal schlang. »Es ist Mr Blacks gutes Recht, den Übeltäter zu sehen, Mr Tooley. Ich habe den armen Herrn gewarnt, als wir den Jungen von da draußen herholten, dass wir den Teufel in die Stadt bringen.«
Mr Tooley, der nun ebenso rachdurstig dreinblickte wie George, nahm den Brief, auf dem ich Mr Blacks Unterschrift gefälscht hatte, und ging voran nach oben. In diesem Moment, glaube ich, wäre ich lieber die Leiter zum Galgen in Paddington Fair emporgestiegen als diese Stufen. Als ich die Kammer betrat, war ich wieder acht Jahre alt. Mr Black bot einen furchterregenden Anblick. Erschöpft davon, mit seinem Stock auf den Boden zu pochen, hatte er die Augen fast geschlossen, das Kinn ruhte auf der Brust. Sein Haar, immer noch verschwenderisch dicht, aber größtenteils grau, hing in Strähnen herunter, bis auf ein Büschel, das vom Schweiß an seiner Stirn klebte. Er wurde teils von den Kissen abgestützt, teils von der Hand, die den Stock umklammert hielt. Es war der Nachfolger vieler solcher Stöcke, doch für mich sah er genauso aus wie jener, mit dem er mich am ersten Tag geschlagen hatte, als ich ihn auf der Werft kennengelernt hatte.
Mr Tooley näherte sich Mr Black, blieb verlegen stehen und hustete. Mr Black riss die Augen auf, ließ den Blick über das Gesicht des Pfarrers gleiten und starrte schließlich mich direkt an. Ich wäre auf die Knie gefallen, wenn die beiden Constables mich nicht festgehalten hätten. Wie hatte ich diesen aufrechten Mann nur so weit bringen können? Wie konnte ich es wagen, die Hochzeit seiner Tochter zu ruinieren? Wahrhaftig, der Teufel steckte in mir! George trat vor, nahm seinen Hut ab und deutete auf mich.
»Hier ist er, Master«, sagte er.
»Aye.« Mühsam richtete Mr Black sich in seinen Kissen auf, seine Stimme klang einen Moment lang fast normal. »Da ist er.« Anne eilte zum Bett und richtete die Kissen. Mit einem Seufzer ließ er sich zurücksinken und behielt sie die ganze Zeit im Blick. »Du wolltest … mir nicht gehorchen …«
Sie fiel auf die Knie. »Nein, Vater, nein! Ich dachte … ich dachte …« Während seine Stimme klarer geworden war, als er sie anblickte, wurde ihre von Schluchzern verwischt, so dass sie kaum imstande war, Worte zu formen. »Ich … wollte … sichergehen, was Ihr wünscht. Tom … er … brachte einen Brief.«
»Diesen hier«, sagte Mr Tooley und zog den Brief hervor.
Ich schloss die Augen, als Mr Black auf das Gekritzel blickte, das ich geschrieben hatte, während Mr Tooley die Zeilen über die zurückgezogene Erlaubnis vorlas. Als er unvermittelt aufhörte zu lesen, öffnete ich die Augen. Mr Black streckte seine gute Hand aus, nahm den Brief und las ihn. Ich begann zu zittern und konnte nicht wieder aufhören. Ich war nicht nur ein Schurke und Betrüger, ich war der dümmste aller Schurken: jemand, der etwas so unfassbar Närrisches getan hatte, dass man es unweigerlich herausfinden würde.