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»Warum gehst du mit ihm fort?«, flüsterte sie mit einem Seitenblick auf Eaton. »Wollt ihr nach dem Anhänger suchen?«

Ich lachte. Im Sommer hatte ich ihr alles erzählt, was ich von Turville erfahren hatte. Doch damals hatte ich es als Phantasiegespinst abgetan, als ein Märchen, das Eaton und Turville sich ausgedacht hatten, was zum Teil ja der Wahrheit entsprach. Der Anhänger und die Stonehouses selbst wirkten wie einer Geschichte aus einem Flugblatt entsprungen. Jetzt, wo die »Geschichte« Wirklichkeit geworden war, empfand ich ein merkwürdiges Unbehagen, Anne davon zu erzählen. Und ich spürte Eatons spöttischen Blick auf mir, während er beim Pferd den Gurt anzog. Ich wusste, was er dachte – was für ein großartiger Witz es sei, dass ich ihretwegen die Aussicht auf eine bedeutende gesellschaftliche Stellung und einen der größten Landsitze Englands aufgeben wollte.

»Es ist ein militärischer Auftrag«, sagte ich. »Ich bin nicht befugt, dir etwas darüber zu sagen.«

»Du bist ein miserabler Lügner, Tom! Mylord!« Spöttisch deutete sie eine Verbeugung an. Der Duft der Damaszenerrose betäubte mich, als sie dicht zu mir trat und mir ins Ohr flüsterte: »Sag es mir. Sag mir die Wahrheit.«

Zweige knackten, als Eaton ein paar Äpfel vom Baum pflückte. Ich machte mich von ihr los. »Ich habe es dir gesagt!«

»Fass den Baum an!«, verlangte sie.

Es war ein Spiel, das wir in unserer kurzen gemeinsamen Kindheit zu spielen pflegten, ehe Eaton Mr Black angewiesen hatte, uns voneinander zu trennen. Indem man den Baum berührte, schwor man feierlich, die Wahrheit zu sagen. Gereizt schickte ich mich an, den Fuß in den Steigbügel zu stellen.

Sie stieß einen Schrei aus. »Verlass mich nicht auf diese Weise, Tom«, rief sie und packte mich am Arm. Ich stolperte zurück, warf sie beinahe um, und wir lagen einander in den Armen. »Ich werde dich immer lieben, was auch geschehen wird«, sagte sie.

Ich küsste sie. »Ich werde dich immer lieben, was auch geschehen wird«, wiederholte ich.

Ich berührte den Baum, und sie legte ihre Hand auf meine. Als Eaton mein Pferd festhielt, damit ich aufsteigen konnte, pfiff er leise.

Nächtlicher Regen hatte etwas von dem Gestank fortgewaschen, und immer wieder kam stellenweise die Sonne durch, als wir hinunter nach Aldgate galoppierten. Ich empfand eine plötzliche Aufwallung von Glück. Ich hatte keine Ahnung, was mich auf dem vor mir liegenden Weg erwartete, und ich scherte mich auch nicht drum, denn ich hatte das Gefühl, die Antwort auf alles zu haben. In diesem Moment kümmerte ich mich nicht einmal mehr um die Worte, die die Welt verändern würden. Es gab eine große Sache, die sich nicht zu ändern brauchte. Und die sich niemals ändern würde. Überall sah ich Liebe: in einer Mutter, die ein weinendes Kind tröstete, in einem Mann, der mit einem Mädchen scherzte, das Äpfel verkaufte; selbst in einem alten Mann und einer alten Frau, die sich zankten, wie sie es vielleicht schon seit Jahren taten. Die graue Stute schien meine Stimmung aufzunehmen, ihre Unrast legte sich, als ich sie tätschelte.

»Habt Ihr das Mädchen gevögelt?«

Ich tat, als hätte ich Eaton nicht gehört und drängte die Stute voran, doch Eaton überholte mich mit vollendeter Leichtigkeit. Seine Narbe zuckte wieder und schien zu lächeln, bis sie zeitweilig in seiner Wange verschwand. »Also nein. Habe mir schon gedacht. Ich kannte auch einmal eine solche Frau.«

Erstaunt starrte ich ihn an. Nie zuvor hatte er Gefühle für irgendeine Kreatur gezeigt, für Frauen zuallerletzt. »Stolz«, fuhr er fort, die Lippen schmal, den Blick starr gerade aus. »Sie wollen dich und niemanden sonst. Sie wollen dich, aye, und das ist sehr gut, aber diese Sorte will dich, wie ein Mann ein Weib will, und das ist schlecht, sehr schlecht. Unnatürlich.« Er fiel in Schritt, als ein Trupp der Bürgergarde die Straße nach Lothbury kreuzte, vorneweg wehte die Sturmfahne Gott ist mit Uns – wer kann gegen Uns sein?

»Ihr habt recht getan, ihr nichts zu erzählen. Aber macht nicht den Fehler, sie nicht zu nehmen, Mr Tom. Sie ist reif wie die Äpfel am Baum. Schiebt es nicht zu lange auf. Pflückt sie jetzt – bevor sie erfährt, dass sie Euch nicht heiraten kann.« Er bedachte mich mit einem lüsternen Grinsen.

Er widerte mich an. Ich war kein Puritaner. Wenn Luke oder Will solche Dinge gesagt hätten, wäre es etwas anderes gewesen. Doch es war, als hätte er meine hoffnungsfrohe Stimmung genommen und sie in den Dreck geschleudert, den die Pferde um unsere Stiefel herum aufwarfen. Brutal gab ich der Stute die Sporen und löste damit einen unerwarteten Energieschub bei dem erschrockenen Pferd aus, das vor wenigen Sekunden noch ebenso friedlich gewesen war wie ich.

Ein paar umherschweifende Soldaten pressten sich gegen die Hauswand, als ich unvermittelt auf sie zu galoppierte. Ich hüpfte und rutschte im Sattel auf und ab, verlor beinahe die Zügel und bekam sie gerade eben noch zu fassen, als die Stute mit furchterregender Geschwindigkeit um die Ecke in die Broard Street einbog, schnurstracks auf ein paar Marktstände zu. Ich schloss die Augen. Das Tier schien entschlossen, über die Stände hinwegzuspringen, wich indes im letzten Moment aus. Eine Frau kreischte. Kinder jauchzten, riefen »Ausreißer!« und warfen mit Gemüse.

An der nächsten Ecke wurde ich erst in die eine, dann in die andere Richtung geschleudert. Ich verlor einen Steigbügel und dann erneut die Zügel. Vor mir näherte sich eine Mietkutsche. Die Bremsen quietschten ohne Unterlass, und ich sah nur noch den zu einem Schrei aufgerissenen Mund des Kutschers. Ich klammerte mich verzweifelt an den Sattel. Ich rutschte. Die Pflastersteine rasten auf mich zu. Eine Hand packte mich und zerrte mich zurück in den Sattel. Dann schnappte sie sich die Zügel meines Pferdes und riss das Pferd seitlich neben die Mietkutsche. Es war nicht genügend Platz, um vorbeizureiten, und Eaton zog das sich aufbäumende Pferd nach unten und beruhigte es. Die Kutsche war zum Stehen gekommen, und augenblicklich stieg der Kutscher vom Bock herab und brüllte mich an. Eaton warf ihm einen Blick zu, und der Mann verzog sich murmelnd. Dann wandte er sich mit bebender Stimme an mich.

»Macht das nie wieder!«, sagte er.

Ich hatte nicht genug Atem, um ihm antworten zu können, und kaum genug Kraft, um den Kopf zu heben. Ich hoffe, ich war niemals so hart und grausam zu einem Pferd wie Eaton, aber er war es, der mir auf jenem Ritt nach Poplar beibrachte, wie man ein Pferd lenkte. Ich vergaß zu zählen, wie oft er mich anbrüllte, die Zehen nach außen und die Knie nach innen zu drehen, bis ich mich auf unerklärliche Weise im Einklang mit den Bewegungen des Pferdes hob und senkte, zeitweilig eins mit diesem Wesen wurde, als besäße ich seine Beine und seine Kraft. Die Stute hatte eine weiße Blesse auf der Stirn, und ich fing an, sie Patch zu nennen. Ein naheliegender Name, den möglicherweise auch der Stalljunge benutzte, da sie sofort darauf reagierte. Nachdem wir der Mietkutsche entronnen waren, hatte ich den Eindruck, wir wären nicht länger einfach nur Pferd und Reiter, sondern Gefährten.

Direkt vor Poplar erstreckte sich ödes, einsames Marschland. Wir ritten in einer Gangart, die ich für Galopp hielt, als Eaton plötzlich ohne Vorwarnung seinem Pferd die Peitsche gab und davonschoss. Patch setzte ihm nach, wobei sie mich beinahe abwarf. Ich vergaß alles, was Eaton mir beigebracht hatte, und klammerte mich an Patch fest. Die Pferde schienen sich einander zu nähern. Mein Hut flog davon, meine Haare flatterten. Eaton blickte sich überrascht um, als ich begann, ihn einzuholen. Ich ließ Patch die Peitsche spüren. Eaton hatte eine kindliche Wildheit in mir wachgerufen, die ich genau hier, in Poplar, an mir gehabt hatte. Schreiend und jauchzend war ich ebenso ungestüm wie er. Kopf an Kopf flogen wir dahin, bis er allmählich langsamer wurde und eine Länge vor mir zum Stehen kam.