Er grinste. »Das ist es. Gebt ihr die Peitsche. Zeigt ihr, wer der Herr ist.« Er nahm einen Apfel, den er im Half Moon Court gepflückt hatte, und biss hinein. »Gerade richtig.« Er hielt ihn mir hin. Ich schüttelte den Kopf und sah ihn nicht an. Er aß den Apfel, wie er jede Mahlzeit zu sich nahm, als wüsste er nie, wann es das nächste Mal etwas zu essen gibt. Hin und wieder lachte er, doch ich beendete die Reise in dickköpfigem Schweigen.
Eaton hatte zu niemandem Vertrauen, weshalb er nur das Nötigste preisgab, und auch das nur, wenn er musste. Erst als wir uns Poplar näherten, erzählte er mir, was in Matthews Akte stand, die Richard gestohlen hatte. Sie hatten Matthews Spur bis in die Gegend von Oxford verfolgt, wo er sich mehr schlecht als recht als Hellseher und Heiler durchschlug. Lord Stonehouse’ Netzwerk aus Spionen und Zuträgern hatte zwei Briefe abgefangen, adressiert an K B J Ingram, Pfarrer in St. Dunstan’s Without, denn sie waren in Oxford abgeschickt worden, einer Hochburg der Royalisten. Man glaubte, sie bezögen sich auf Juwelen, die für die Royalisten aus London herausgeschmuggelt wurden, bis Lord Stonehouse die Briefe las und begriff, dass es darin um den Anhänger ging.
Soweit Eaton sich erinnerte, hieß es in einem der Briefe, der Anhänger könne nicht zerstört werden, da »Mächte dagegen standen«. Er war mit einem roten Kreuz unterzeichnet.
»Matthews Zeichen«, sagte ich und erinnerte mich an seinen makabren Humor, der ihn seinen Namen mit dem Pestkreuz versehen ließ. »Aber warum schreibt er Mr Ingram etwas über den Anhänger?«
»Das hat er gar nicht. Er schreibt an KB, die bei Mr Ingram wohnt.«
»KB?«
»Kate Beaumann.«
»Kate – die Gesellschafterin meiner Mutter?«
»Genau die.«
Und jetzt war es an ihm, schweigend weiterzureiten.
25. Kapitel
Ich zeigte ihm den Weg durchs Moor, hinter St. Dunstan’s vorbei. Auf Susannahs Grab stand ein Topf mit frischen Wildblumen, Primeln und Sumpfiris. Ich schickte mich an, abzusteigen, doch Eaton packte meinen Arm und deutete auf eine Reihe Armenhäuser. Von allen Menschen, die ich je traf, hatte er die schärfsten Augen. Ich konnte nichts Auffälliges entdecken. Die kleinen Häuser wirkten ruhig und friedlich. Doch es war ungewöhnlich, dass niemand zu sehen war. Unsere Pferde suchten sich ihren Weg zwischen den Gräbern hindurch. Als wir zu den Häusern hinunterritten, sah ich, was Eaton aus der Ferne erkannt hatte: aufgewühlte Erde unter einigen Bäumen, wo eine Gruppe Pferde über Nacht angebunden war.
Die Tür zum größten Haus, in dem Mr Ingram lebte, stand halb offen. Mit der Stiefelspitze stieß Eaton die Tür ganz auf. Der Boden der Diele war mit schmutzigen Fußabdrücken bedeckt. Er bedeutete mir, leise zu sein, und spitzte lauschend die Ohren. Außer dem ständigen Rauschen des Windes über dem Marschland vernahm ich nichts. Es gab ein kleines Kontor, in dem Mr Ingram die Gemeindemitglieder empfing. Überall verstreut lagen Papiere, und in einer kleinen Kleiderkammer lagen Röcke und Umhänge auf einem Haufen.
Als wir uns der Wohnstube näherten, nahm ich einen Geruch wahr, der mich an den Brand im Haus meiner Mutter erinnerte. Ehe Eaton mich aufhalten konnte, riss ich mich von ihm los und rannte ins Zimmer. Einige Bücher lagen verstreut auf dem Fußboden, doch sonst war alles in Ordnung. Dann sah ich im Schlafzimmer nach. Ausgestreckt auf dem Bett, einen Arm an der Seite herunterhängend, lag John Ingram. Eaton stieß mich beiseite und hielt sein Ohr an Ingrams Mund.
»Immerhin haben sie ihn am Leben gelassen«, sagte er. Er zog die Bettdecke fort. Ich wandte mich ab. Wenn das der Preis war, um den Anhänger zu bekommen, wollte ich ihn nicht haben.
»Kommt her! Hebt ihn hoch! Wenn Ihr noch nichts Schlimmeres als das gesehen habt, könnt Ihr Euch glücklich schätzen!«
Ingram war mit dem groben Leinenhemd bekleidet, das er gewöhnlich trug. Darunter war er nackt. An den Fußsohlen, den Knöcheln und den Innenseiten seiner Beine hatte er Brandmale. Er hatte sich nass gemacht, und der intensive bittere Geruch vermengte sich mit dem Gestank verbrannten Fleisches, der an ihm haftete. Eaton wirkte ungerührt angesichts dieses Gräuels. Doch sein verzweifeltes Verlangen, Auskünfte von Mr Ingram zu erhalten, half dem armen Mann mehr als mein Mitleid. Wir zogen das Bett ab und drehten die Matratze um. Dabei stieß ich mit dem Fuß gegen ein Schüreisen. Jemand hatte es fallengelassen, als es noch heiß war, denn der Boden, von dem ich es aufhob, war verkohlt. Während ich nach frischem Bettzeug suchte, knirschten meine Stiefel auf erkalteten Kohlen und Asche. Bei diesem Geräusch schlug Mr Ingram die Augen auf. Voller Entsetzen blickte er uns an, und Eaton zerrte mich in sein Blickfeld. »Redet mit ihm! Er will keinen hässlichen Rohling wie mich sehen.«
Ich versuchte es, aber er schien mich nicht wiederzuerkennen, drehte sich weg, stammelte, er habe uns alles gesagt, was er wisse, bis ihm die Augen zufielen und er erneut das Bewusstsein verlor. Vielleicht sah ich in meinem Lederwams den Männern zu ähnlich, die ihn gefoltert hatten. Ich ging in die Küche, um etwas zu finden, das ich ihm geben könnte. Es war eine große Küche mit einem Backofen, da sie allen Häusern in der Reihe zur Verfügung stand. Ich öffnete einen Schrank. Der kräftige Geruch von Gewürzen stieg mir in die Nase, doch bis auf ein gelbes Pulver fand ich nur wenig. Ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern, welche Kräuter Matthew bei solchen furchtbaren Verbrennungen benutzt hatte. Ich öffnete die Speisekammer und schreckte zurück, als ich eine geisterhafte Gestalt erblickte. Als ich mein Messer zückte, stieß sie einen Schrei aus, und ich begriff gerade noch rechtzeitig, wen ich vor mir hatte.
»Mutter Banks!«
In der Speisekammer wurde Mehl gelagert, und in ihrer Hast, sich zu verstecken, hatte sie einen Sack umgestoßen, voller Angst, die Männer wären zurückgekommen. Ich ging zu ihr, um sie zu umarmen, doch sie wich mit unvermindertem Entsetzen zurück. »Ich bin es. Tom!«
»Ich weiß, wer du bist.«
»Ich habe Euch für einen Geist gehalten.«
»Ich glaubte, du würdest mich zu einem machen«, gab sie bitter zurück.
Sie war kalt und distanziert, ganz anders als beim letzten Mal, als ich sie gesehen und sie mich nach Susannahs Tod getröstet hatte. Sie sah mich weiterhin an, als sei ich ein Fremder, und als sie Eaton erblickte, musste ich sie anflehen, zu bleiben. Zuerst dachte ich, sie würde mich meiner Uniform wegen mit den Männern in Verbindung bringen, die hier gewesen waren, aber dann sank mein Mut, als ich begriff, was es war. Sie wich mir aus, genau wie Anne mir vor Jahren ausgewichen war, nachdem Eaton ihr erzählt hatte, ich sei ein Pestkind. Sie würde mich nicht berühren oder auch nur in meine Nähe kommen. Als ich es tat, bewegten sich ihre Lippen in einem stummen Gebet. Ich war ein Wesen, das Unheil brachte. Zuerst hatte ich Susannah den Tod gebracht. Und jetzt dies.
Ich überredete Eaton, sie allein zu lassen, während sie John Ingram behandelte. Aus Kräutern, Seife und Rosenöl stellte sie eine Salbe her und vermischte sie mit Eiweiß. Eaton durchsuchte die Papiere im Kontor, fand indes nichts.
Ich brachte etwas Ordnung in die winzige Kleiderkammer, hob einen Hut auf, der von einem schmutzigen Stiefel eingetreten worden war. Es war ein spitzer Hut, und es war höchst unwahrscheinlich, dass Mr Ingram so etwas jemals tragen würde. Daneben lag ein grauer Frauenumhang. Er war kurz, sehr kurz. Kate Beaumann musste in aller Eile aufgebrochen sein, wenn sie ihn hiergelassen hatte. Vielleicht hatte sie die Männer kommen sehen und war geflohen. Müßig setzte ich mir den Hut auf, schaute mich im Spiegel an und erstarrte. Dann legte ich mir den Umhang um die Schultern. Ich sah genau das, was ich für ein Irrlicht gehalten hatte. Es könnte auch eine Hexe sein. Genau so eine Gestalt hatte ich als Kind in den Nebelschwaden verschwinden sehen, als ich versucht hatte herauszufinden, wer meinen Kuchen brachte.