Выбрать главу

Ich kehrte in die Küche zurück und schnupperte an den Gewürzen und dem safranfarbenen Mehl. Es war noch nicht September, aber trotzdem waren sie da … alle Zutaten, um einen Osterkuchen zu backen.

»Vielleicht hat Mr Ingram ihnen nichts erzählt«, sagte ich, als ich zu Eaton zurückkehrte.

»O doch, das hat er.«

»Woher wollt Ihr das wissen?«

»Weil sie aufgehört haben. Wir sollten ihm etwas von derselben Medizin verabreichen.« Er klapperte mit dem Feuereisen auf dem Rost. John Ingram schreckte auf, Sirup tropfte von seinem Kinn herab.

»Nein!«, schrie ich.

»Ich habe einen Witz gemacht.«

Dessen war ich mir gar nicht so sicher. Eaton behauptete zwar, er habe ein Gewissen, genau wie jeder andere auch, und wollte dem Mann die Eisen nur zeigen. Was schadete das schon? Er würde mit dem herausrücken, was er wusste und uns eine Menge Ärger ersparen. Ich warnte ihn, dass ich, wenn er John Ingram auch nur anrührte, auf der Stelle verschwände und er keine weitere Hilfe von mir erwarten könne. Er war wie ein Topf mit kochendem Wasser, den man vom Feuer genommen hatte und der langsam sprudelnd weiterbrodelte.

Er tippte sich an den Hut »Sehr wohl, Mylord. Wir werden es also auf den aufrichtigen und ehrlichen Weg erledigen?«

»Ja.«

»Sehr wohl. Und wie, äh, sieht dieser Weg genau aus?«

»Ich werde mir etwas ausdenken.«

»Wie lange wird das dauern?«

»Ich weiß nicht.«

Er schob seinen Hut zurück, kratzte sich am Kopf und lächelte. »Sehr wohl. Unterdessen foltert Richard vielleicht Matthew, der Euch wie ein liebender Vater großgezogen hat. Findet und zerstört womöglich den Anhänger.«

Ich wandte mich ab, aber mit seinen langen Schritten holte er mich bei der Tür ein. »Das sind die Konsequenzen des aufrechten und ehrlichen Weges, Mylord. Nur, damit wir einander verstehen.«

Seine Narbe pulsierte und hypnotisierte mich. Ich fürchtete ihn weit mehr, wenn er seine Wut zügelte und diesen sonderbar lächelnden Ausdruck annahm. Denn es war, als blickte er mir geradewegs in die Seele und sähe dort Dinge, von denen ich nichts wusste und nichts wissen wollte. Er warf einen Blick auf Ingram, der vor sich hindämmerte, während Mutter Banks ihm behutsam den Sirup von den Lippen wischte. Eaton hielt seine Lippen an mein Ohr. »Wenn Ihr den Anhänger haben wollt, werden wir üblere Dinge tun müssen als dies.«

Ich stürmte hinaus. Wind kräuselte das Sumpfgras wie die Wellen auf dem Meer. Er brachte die ersten Regentropfen mit sich, und es schwang etwas darin mit, von dem ich mir stets vorgestellt hatte, es seien die Stimmen der Irrlichter. Der Regen wurde heftiger, lief die Fenster hinunter, durch die ich einen Stapel Gebetsbücher auf der Fensterbank liegen sah. Ich ging ins Kontor, und dort war es. Der Buchrücken hatte sich gelöst. Als ich lernte, daraus zu lesen, war es mir nicht so klein und leicht vorgekommen. Eatons sarkastisches Lächeln wurde breiter, als er es sah.

Ingram schlief oder tat so als ob. Mutter Banks sah mich misstrauisch an, doch das Gebet erstarb auf ihren Lippen, als sie die Bibel sah. Vielleicht glaubte sie immer noch, die Worte seien zu einem Kind gekommen, das nicht lesen konnte. Eaton, da war ich mir sicher, kannte die Geschichte. Ich bemühte mich, ihn zu ignorieren, als ich das Buch aufschlug und die vertraute Seite fand.

»Ich bin der gute Hirte …«

»Das Wunderkind ist zurückgekehrt.« Der Sarkasmus in John Ingrams Stimme war unüberhörbar. Seine Augen waren immer noch geschlossen. Ein Siruptropfen glänzte auf seiner Lippe.

Ich erinnerte mich an den Ausdruck der Freude in Susannahs Gesicht. Sie hatte daran geglaubt. Sie hatte ein Wunder daraus gemacht. Wunder waren das, woran man glaubte. »Der gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe …«

»Während der Tagelöhner die Schafe verlässt.« Ingram schlug die Augen auf, bedachte mich mit einem festen, anklagenden Blick und leckte sich den Sirup von den Lippen.

»Nur, wenn Ihr uns nicht helft«, sagte ich.

»Dir helfen! Wo du den Wolf mitgebracht hast?«

»Er ist nicht im Schafspferch! Ich werde dafür sorgen, dass er draußen bleibt! Ich schwöre es.« Er wandte das Gesicht ab. »Kate Beaumann hat die Kuchen gebacken, nicht wahr?«, sagte ich.

Es gab eine lange Pause, in der nichts zu hören war außer dem trommelnden Regen. Ein Lächeln flackerte langsam in Mr Ingrams Gesicht auf. Eaton schlich davon und kauerte sich vor den erkalteten Kamin.

»Jedes Jahr zu Michaelis«, sagte Mr Ingram. »Sie ließ mich schwören, es dir nicht zu erzählen, aber da du es jetzt ohnehin weißt …« Er starrte aus dem Fenster in den Regen. »Jedes Jahr zu Michaelis. Ich sagte ihr, es sei die falsche Jahreszeit, dass es ein Wiederauferstehungskuchen sei, den man nur zu Ostern backe, aber sie lächelte dann immer und sagte: ›Das stimmt, Mr Ingram. Ein Kuchen zur Wiederauferstehung.‹«

Inzwischen blies der Wind in heftigen Böen gegen das Fenster. Ingram erzählte uns, wie der Pestkarren vor siebzehn Jahren in Poplar ankam. Ein Pestkarren!

Drei Erwachsene und ein Baby. In einem Pestkarren! Eaton hockte beim Kaminrost und starrte auf das regennasse Fenster, als sähe er den Karren auf den Hof fahren. Es war ein Wetter wie heute, fuhr er fort. Anfang des Winters. Sie hätten den Karren abgewiesen, aber eine der Reisenden sprach wie eine Dame, obwohl sie genauso gekleidet war wie Matthew und Susannah. Und sie hatte einen Brief von Mr Stevens dabei, dem Pfarrer in Shadwell in der Nähe von Highpoint, wo er, Ingram, einst Vikar gewesen war.

Eaton fluchte leise. »Ich wusste doch, dass ich Euch zuvor schon einmal gesehen habe.«

Ingrams Angst vor ihm schien verschwunden zu sein. Eaton hingegen hatte die Furcht vor dem gepackt, was Ingram zu sagen hatte. Zugleich war er jedoch zunehmend begieriger darauf, es zu hören. Stevens sei nicht gut auf Lord Stonehouse zu sprechen gewesen, nahm Ingram die Erzählung wieder auf. In Highpoint House habe es einen Skandal gegeben, infolgedessen Stevens seines Lebensunterhalts beraubt wurde. Die Dame, Kate Beaumann – damals nannte sie sich Mrs Turner – sagte, in dem Wirbel, der dem Skandal folgte, habe sie gleichfalls ihre Stellung verloren. Lord Stonehouse hatte seine Darlehen zurückgefordert und so den Verkauf des kleinen Landsitzes erzwungen, auf dem sie in Stellung gewesen war. Sein Verwalter bekam es, für seine Verdienste während der skandalösen Vorgänge.

Energisch schüttelte Eaton den Kopf und sprang auf. »Das ist nicht wahr! Ich …« Er ballte die Fäuste, doch er schien eher gewillt, sich selbst zu verletzen, als Ingram zu schaden, und schlug sich selbst in die Seite.

In ihrem ersten Jahr hier, sagte Ingram, litt sie sehr. Sie sagte, dass ihre Verbindung zu dem Kind sowie die Namen derer, die sie seine Eltern nannte, niemals bekannt werden dürften, denn damit würden sie beide in Gefahr geraten. In der Kirche vollführte sie lange Bußgebete für irgendeine unaussprechliche Sünde, die sie, wie sie sagte, nur Gott allein offenbaren konnte.

»Nachdem du nach London gegangen bist, Tom«, sagte Ingram, »brachte sie den Kuchen dorthin und wohnte dort bei einer Dame. Als die Männer gestern kamen, war sie gerade aufgebrochen, um Susannahs Grab zu pflegen. Sie muss sie gesehen und die Flucht ergriffen haben.«

»Warum hat sie Matthew geschrieben, er solle den Anhänger zerstören?«, fragte Eaton.

Ingram sah ihn an. »Sie sagte, das Böse stecke darin.«