Выбрать главу

»Erst kürzlich fand Kate heraus, dass Matthew gelogen hatte«, sagte Lucy Hay.

»Weil ich es Euch erzählt habe!«, platzte ich heraus. »In der Kutsche! Ich wollte es nicht, aber …«

»Der Junge ist schlau«, sagte Mr Pym. »Ihr habt recht, wie immer, Lucy. Er könnte es schaffen.«

»Was schaffen?«, fragte ich.

Er tat meine Frage mit einer Handbewegung ab. »Lord Stonehouse hat dir befohlen, den Anhänger zu finden?«

»Ja. Er …«

»Wir wissen, dass er Euch als Erben in Betracht zieht. Auch wir haben unsere Spione. Doch Lord Stonehouse ist … wankelmütig. Und es geht ihm nicht gut. Wir können es uns nicht leisten, dass einer der beiden Söhne ihn beerbt und somit die enorme Macht und der Einfluss des Namens Stonehouse dem König zufällt!«

Jetzt stand er da, als hielte er mit seiner volltönenden Stimme eine Rede. Ich war sogar noch eingeschüchterter als durch den Anhänger. Enorme Macht und Einfluss! Narr, der ich war, hatte ich das nie bedacht. Ich war jemand, der mit den Reden durch die Stadt rannte oder sie setzte. Nicht jemand, der sie hielt. Mr Pym verstummt. Er stand direkt vor mir und bellte mich förmlich an.

»Angenommen, Ihr erbt tatsächlich. Werdet Ihr uns unterstützen?«

Meine Kehle war so trocken vor Aufregung, dass ein Augenblick verstrich, ehe ich sprechen konnte. »Ja, Mr Pym«, sagte ich. »Für Euch würde ich alles tun.«

»Gut! Sehr gut!« Er drückte meinen Arm mit der Gewissheit eines Politikers, als sei alles abgemacht, der Anhänger so gut wie gefunden und das Erbe gesichert.

»Angenommen«, sagte Lucy Hay trocken, »er ist kein Stonehouse?«

Sie verfügte über die bemerkenswerte Begabung, ihn zurück auf den Boden zu holen, doch er besaß die nicht minder bemerkenswerte Gabe, es zuzulassen. Für ihn war Politik ebenso wie Religion lediglich eine Frage des Glaubens.

»Seht ihn Euch an«, sagte er. Sie gingen beide um mich herum, betrachteten mich aus verschiedenen Winkeln, als sei ich eine Marmorstatue. »Seht Euch diese Nase an. Das Kinn.«

Lucy Hay hob es an. Ihre Hand war warm, und als sie mich losließ, hing ein schwerer Duft aus Moschus und süßem Majoran an mir. »Ich gebe zu, alles an ihm sieht aus wie ein Stonehouse, bis auf dieses schreckliche Haar, das hat er von dieser Promenadenmischung, die seine Mutter war …«

»Er ist nicht nur ein Stonehouse, er ist das Kind des alten Mannes«, sagte Pym entschieden.

»Ihr wollt nur, dass er es ist! Wie könnt Ihr das wissen?«

»Als ich in Highpoint war, habe ich mich verlaufen und fand mich in jenem Flügel wieder, der seit dem Tod von Lord Stonehouse’ Frau unberührt geblieben war. Ich geriet in ihr altes Schlafzimmer. Dort hing ein Porträt von … äh, unserem Freund, dem jungen …«

Er hatte meinen Namen vergessen. »Tom«, sagte sie.

»Tom, ich weiß, dass er Tom ist«, sagte Pym gereizt. »Ein Porträt von Tom, als er etwa …«

»Ich war zwölf«, sagte ich. »Und das Bild stammt von Peter Lely.«

Er schrak leicht zusammen, als hätte eine Statue gesprochen. »Ihr kennt Sir Peter?«

»Nur als Modell.« Ich erzählte ihm von dem Trick, meinem Botengang zum Rathaus, während dem er mich skizziert hatte.

»Wie wart Ihr gekleidet?«

»Wie ein Lehrjunge.«

»Seht Ihr!« Triumphierend wandte Pym sich an Lucy. »Lely hat ihn nach der neuesten Mode gekleidet gemalt, Highpoint House im Hintergrund. Ein Hund zu seinen Füßen. Verschwenderische Spitze am Kragen und den Stulpenstiefeln. Ein Federhut hat sein rotes Haar komplett verborgen. In den behandschuhten Händen hielt er einen kleinen Stock. Habt Ihr jemals solche Kleider gesehen?«

»Nur in meinen Träumen«, sagte ich.

Nur in meinen Träumen! Erst, als ich ging, verwirrt, immer noch wie in Trance, erinnerte ich mich an den Vertrag, den ich mit Lord Stonehouse geschlossen hatte. Ich wollte Anne. Und in diesem Moment wollte ich sie so sehr, dass ich beinahe zum Half Moon Court gegangen wäre. Beinahe.

Als ich zurück zum Seven Stars kam, war ich müde. Eaton war außer sich und hatte gedacht, ich sei, wie Kate, ebenfalls verschwunden. Er mutmaßte, dass ich Anne besucht hätte, und ich ließ ihn in dem Glauben. Er war ziemlich betrunken, und ich wollte schon in die Kammer nach oben gehen, die er uns für die Nacht gemietet hatte, als zwei späte Reisende, ein Mann und eine Frau, des Weges kamen. Genau wie ich blickte Eaton der Frau hinterher. Sie trug einen Umhang, war etwa so groß wie mein Irrlicht und bewegte sich mit derselben flinken Anmut. Doch als sie sich umwandte, um etwas zu ihrem Begleiter zu sagen, sah ich, dass sie viel zu jung war, um Kate Beaumann sein zu können. Ihrer Gestalt und ihrer dahingleitenden Grazie wegen war ich stehen geblieben und hatte versucht, einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen. Eaton empfand genau denselben hungrigen Drang, ihr Antlitz zu sehen. In dem Moment, in dem jeder von uns einen kleinen Stich des Bedauerns verspürte, dass es sich bei der Frau nicht um Kate Beaumann handelte, trafen sich unsere Blicke. Abrupt wandten wir uns von einander ab, wie zwei Männer, die entdecken, dass sie dasselbe geheime Laster teilen. Es war diese Entdeckung, im gleichen Maße oder sogar noch stärker als seine Trunkenheit, die Eaton zum Reden brachte.

Er saß so dicht am Feuer, dass seine Stiefel zu versengen begannen. Mich blickte er nie an. Es war, als spräche er zu sich selbst, als zupfte er sich lang verkrusteten Schorf von einer Wunde. Er erzählte mir – oder besser dem Feuer – dass er, als Lord Stonehouse’ Geldeintreiber, überall auf den riesigen Ländereien gehasst wurde, von Edgehill im Osten bis Grey Horse im Westen. Er genoss es. Es erleichterte seine Aufgabe. Angst war ein großartiger Anreiz, um die Menschen dazu zu bringen, ihre Pacht zu zahlen. Tagelöhner und sogar einige der wohlhabenderen Freibauern drohten ihren ungehorsamen Kindern damit, dass der Schwarze Reiter sie holen würde. Er genoss es, sie schreien zu hören und zu sehen, wie sie davonrannten, um sich zu verstecken, sobald er sich einem Bauernhof näherte. Er brauchte keine Gesellschaft, lebte allein in der Hütte des Verwalters.

Eines Tages war er in Earl Staynton, dort, wo Stonehouse’ Ländereien an den Besitz der Pearces grenzten und wo Margaret Pearce mit ihrem kranken Vater und ihrer Gesellschafterin Kate Beaumann lebte. Die Pearces waren eine alte Familie, deren Ländereien einst noch größer gewesen waren als jene von Lord Stonehouse, doch sie war im Niedergang begriffen. Wilddiebe streiften ungehindert durch Rowan Wood, um dessen Besitz sich die beiden Familien stritten. Eaton stellte Fallen auf. Beinahe erwischte er einen flüchtenden Wilderer, doch sein Eifer, seiner habhaft zu werden, ließ ihn in seine eigene Falle tappen.

Die eisernen Zähne bissen sich durch das Leder seiner Stiefel. Zuerst war er erboster über den entwischten Wilddieb als über den Schmerz, bis der feststellte, dass er die Falle nicht selbst entfernen konnte und Blut verlor. Es war Kate Beaumann, die am Rande der Ländereien der Pearces entlangwanderte und sein Rufen hörte, das eher wildesten Verwünschungen als Hilfeschreien glich.

Als Kate ihn fand, war der Schmerz bereits unerträglich, und er war nahe davor, die Besinnung zu verlieren, was ihm nie zuvor in seinem Leben passiert war. Er hielt es für Pech im Unglück, dass eine Frau ihm zur Hilfe eilte, doch sie nahm nach seiner Anweisung das Ritzel heraus und schaffte es anschließend, mit einem kräftigen Holzscheit die Klemmbacken aufzustemmen.

Mehr als einen Monat brauchte er, um zu genesen, und während dieser Zeit besuchte sie ihn zusammen mit Margaret Pearce. Er war unwirsch und undankbar, denn er hatte keine Sprache, um Dankbarkeit auszudrücken. Doch als er seine Arbeit wieder aufnahm, schlug er Lord Stonehouse vor, Rowan Wood zwischen den beiden Landsitzen aufzuteilen. Margaret Pearces Vater starb. Zum ersten Mal herrschte eine Zeitlang Frieden zwischen beiden Familien. Zwischen Margaret und Lord Stonehouse und seinen beiden Söhnen entwickelte sich eine Freundschaft.