Выбрать главу

Nicht alles.

Mein Herz pochte schmerzhaft, als ich mich selbst anstarrte. Es war das Porträt eines Jungen, den ich nie zuvor gesehen hatte, obwohl es mich zeigte. Mich, wie ich an jenem Morgen mit einer Nachricht von Mr Black zum Rathaus gelaufen war und ein scheinbar gelangweilter Maler, Peter Lely, mich gebeten hatte, ein paar beiläufige Skizzen von mir machen zu dürfen. Doch ich war kein dreckiger, ungepflegter Lehrjunge, der vor Aufregung grinste, weil er gezeichnet wurde. Genau wie Mr Pym es beschrieben hatte, war ich elegant gekleidet, mit einem Hund zu meinen Füßen und Highpoint House im Hintergrund.

Lely hatte mein Grinsen eingefangen, aber er hatte es in etwas anderes verwandelt, etwas zwischen einem frechen und einem überlegenen Lächeln. Es war teils eine Lüge – zumindest empfand ich es so – und teils wahr. Es war ein Junge auf dem Weg, ein Mann zu werden; ein Bild dessen, was hätte sein können anstatt dessen, was war.

Ich wollte ihm die Zunge herausstrecken, doch ich konnte es nicht. Die Wahrheit war, dass ich ihn ziemlich gerne mochte. Nein, es war mehr als das. Ich war fasziniert von ihm. Ich lüpfte einen imaginären Hut und schwang ihn mit einer überschwänglichen Geste und einer tiefen Verbeugung. Dann blieb ich wie angewurzelt stehen, als mir ein Gedanke in den Sinn kam. Woher wusste ich, dass er ich war? Ich hatte mich bislang nur in verzerrtem Glas oder in dunklen stillen Pfützen gesehen.

»Bist du sicher?«

Die Stimme war so leise und die Frage so passend, dass ich einen Augenblick glaubte, sie sei in meinem eigenen Kopf entstanden. Doch ich drehte mich um, und dort stand sie in der Tür. Im ersten Moment glaubte ich nicht, dass sie echt war. Sie war einfach so aus der Luft erschienen. Sie war das Irrlicht, der gute Geist, der meine ganze Kindheit lang über mich gewacht hatte.

»S… sicher?«, stotterte ich.

»Willst du Lord Stonehouse sein?«

Ich konnte nicht antworten. Albernerweise fragte ich mich, warum sie einen Gartenkorb mit Kräutern und nicht meinen Osterkuchen trug, den ich in diesem Jahr nicht bekommen hatte. Aus Furcht, sie könnte sich auflösen, ging ich zu ihr und berührte ihr Gesicht. Erschrocken wich sie zurück, Kräuter fielen aus ihrem Korb. Ich sammelte sie auf und murmelte eine Entschuldigung. »Ich war nicht sicher, ob Ihr wirklich hier seid.«

Sie lachte. Eaton hatte ihr ziemlich geschmeichelt, als er sagte, sie sähe gewöhnlich aus. In Wirklichkeit war sie ziemlich hässlich, hatte eine Stupsnase und pockennarbige Wangen und sah eher aus wie diese verwitterten Wasserspeier, die das Regenwasser von den Kirchdächern spien. Doch ihr Lachen und ihre Stimme, perfekt aufeinander abgestimmt wie die Stimmen eines gregorianischen Chorals, verwandelten sie.

Dann wurde sie ernst. »Ich rate dir dringend: Vergiss den Anhänger, vergiss die Stonehouses.«

Sonderbar, wie peinlich, hartnäckig und geradezu nutzlos ein Geist werden konnte, wenn er sich in ein Wesen aus Fleisch und Blut verwandelte. Kate Beaumann leugnete nicht, dass sie wusste, wo Matthew sich aufhielt. Sie war auf dem Weg zu ihm gewesen, als sie erfahren hatte, dass Mrs Morland sehr krank war, und war von der Belagerung aufgehalten worden. Doch sie weigerte sich rundheraus, mir zu sagen, wo Matthew war. Das würde mich zu dem Anhänger führen, der Quelle allen Übels. Ihre alleinige Absicht war es, ihn zu finden und zu zerstören, und nichts würde sie davon abbringen. Sie weigerte sich sogar, mir zu sagen, was bei meiner Geburt geschehen war. Ich war so verzweifelt, dass ich ihr erzählte, dass Eaton bei mir war, weil ich dachte, das könnte meinen Fall möglicherweise vorantreiben.

Sie stand da und wirkte mit jeder Faser erstarrt wie ein steinerner Wasserspeier, dann eilte sie davon. Sie war so rasch verschwunden, dass ich fürchtete, sie habe sich erneut in einen Geist verwandelt. Ich musste rennen, um sie einzuholen, flehte sie an, Eaton zu besuchen, und sagte ihr, dass er den Lebenswillen verloren zu haben schien.

»Dann lass ihn doch sterben«, sagte sie, ohne ihre Schritte zu verlangsamen.

»Was hat er getan?«

Jetzt blieb sie stehen. »Ausgerechnet du, von allen Menschen, fragst das?«

»Ich meine, was hat er Euch angetan?«

»Frag ihn.«

Ich war schockiert über ihren Tonfall, in dem etwas von Eatons eigener Grausamkeit lag, doch sie weigerte sich, noch mehr zu sagen. Jeglicher Gleichmut hatte sie verlassen. Erneut fielen Kräuter aus ihrem Korb, und ich sammelte sie auf, folgte ihrer Spur, um sie vor der Schlafkammer der Haushälterin wiederzufinden. Ihre Lippen bewegten sich in einem fast unhörbaren Gebet, das ich nicht zu unterbrechen wagte. Allmählich hörte ihr Busen auf, sich unter dem schlichten braunen Kleid zu heben, das nur durch einen schneeweißen Kragen aufgelockert wurde. Ich legte die Kräuter in den Korb und bat darum, Mrs Morland sehen zu dürfen.

»Willst du mit ihr über die Nacht deiner Geburt sprechen?«

Ich wich der Frage aus. »Ich habe eine Nachricht von ihrer Tochter.«

Mrs Morlands Schlafkammer war der heißeste Raum in diesem riesigen, zugigen Gebäude. Lavendelzweige knisterten im Feuer, doch sein süßer Duft konnte den durchdringenden Schweißgeruch und den Gestank des Nachttopfes, den eine junge Magd gerade entfernte, nicht überdecken. Im flackernden Licht des Feuers, versteckt unter einer Nachtmütze, konnte ich gerade eben die ruhigen, abgemagerten Züge eines Frauengesichts erkennen. Kate schickte die Magd fort, doch als die junge Frau mich sah, blieb sie so abrupt stehen, um einen umständlichen Knicks zu machen, dass sie den Nachttopf in ihrer Hand vergaß und etwas von dessen Inhalt verschüttete.

»Verzeihung, Sir …«, stotterte sie. »Aber Ihr seht genauso aus wie auf Eurem Bild.«

Das musste zu Mrs Morland durch ihren leichten Dämmerschlaf durchgedrungen sein, denn mit schläfriger Stimme fragte sie nun: »Rose … Was ist los?«

»Der junge Master ist gekommen, Mrs Morland«, erwiderte Rose.

»Unsinn!«, entgegnete Kate scharf. »Er ist einer der Soldaten.«

Doch Mrs Morland versuchte mühsam, sich aufzusetzen, spähte erst in die eine, dann in die andere Richtung, mit Augen, die so blass waren, von solch einem milchigen Blau, dass sie nur wenig wahrgenommen haben konnten. »Mr Richard … ist Mr Richard zurückgekommen?«

Kate versuchte einzuschreiten, doch Mrs Morland schob sie fort und drückte meine Hände. Ich wollte ihr sagen, dass ich ein Soldat sei, aber sie tastete mein Gesicht und die Form meiner Nase ab. Sie befand sich in einem derart verwirrten Zustand, dass sie überzeugt war, ich sei ihr Mr Richard, der, wie rasch deutlich wurde, ihr Liebling war.

Ich begann den Brief vorzulesen, den ich von Jane mitgebracht hatte. Ich glaubte, Mrs Morland würde nicht nur Jane vergeben, sondern auch ihre Freude zum Ausdruck bringen, dass Jane ihr vergab. Nichts hätte dieser naiven Vorstellung ferner sein können.

»Ihr vergeben! Wo sie Schande über die Familie gebracht hat!« Ihre Reaktion löste Entrüstung bei mir aus. Ich versuchte mich von ihr loszumachen, doch sie packte meine Hände nur umso fester. »Ihr seid zu gut, Mr Richard. Ihr hattet schon immer ein großes Herz, wie Ihr es auch bei der anderen Metze hattet, deren Sohn zurückgekehrt ist, um Euch heimzusuchen. Aber ich werde nach ihm Ausschau halten!«