»Es tut mir leid, dass ich Euch wegen Mrs Morland verärgert habe«, sagte ich.
Ihre Stimme klang gleichmütig, gleichwohl anklagend. »Ich dachte, du wolltest sie mit ihrer Tochter aussöhnen, Tom.«
»Das wollte ich auch! Aber sie war so verbittert und unversöhnlich.«
»Du hast sie nicht korrigiert, als sie dich für Richard hielt.«
Sie ging zu einer Reihe Lavendel und schnitt einige Ähren davon ab. Eine schwache, zaghafte Sonne zauberte Farben auf die Regentropfen auf jedem Zweig, als sie sie in den Korb warf. Auf einmal war ich so erbost über ihre Ruhe, darüber, dass sie alles verdammte und nichts beantwortete, dass ich herausplatzte: »Hättet Ihr Eaton geheiratet, wenn ich nicht geboren worden wäre?«
Sie taumelte, als hätte ich sie geschlagen, ließ den Korb fallen, so dass die Kräuter auf die Erde fielen. Alle Farbe war mit einem Mal aus ihrem Gesicht gewichen. Aus Angst, sie könnte in Ohnmacht fallen, führte ich sie zu einer Bank in einer Laube. Unablässig wiederholte ich, wie leid es mir täte, doch sie unterbrach meine Entschuldigungen mit einer knappen Geste. Sie atmete schwer. Ich ging zum Korb zurück, verrieb Zitronenmelisse mit Lavendel und dem Regenwasser, das daran haftete, und gab es ihr als kleines Riechtäschchen in einem Lindenblatt.
Sie lächelte schwach. »Matthews Sohn.«
»Unter anderem.«
Sie begann ruhiger zu atmen. »Eaton hat dir erzählt … was hat er dir erzählt?«
Ich fühlte mich schuldiger als je zuvor, weil ich die Geheimnisse verriet, die Eaton im Seven Stars eher dem niederbrennenden Feuer als mir anvertraut hatte. Aber jetzt, nachdem ich angefangen hatte darüber zu reden, musste ich auch weitermachen. Mag sein, dass ich seiner rauen, schroffen Geschichte einen poetischen Glanz verlieh, dass ich Gefühle auf seiner Seite hinzufügte, die ich allein aufgrund der von ihm erzählten Fakten bei ihm vermutete. Sie sagte so gut wie nichts, doch ich setzte mich für ihn ein, als läge mein eigenes Herz in ihren Händen. Wenn man nur das betrachte, was geschehen sei, was er getan habe, wie plump und unverblümt sein Handeln auch immer gewesen sein möge, zeige das dann nicht, dass er aufrichtig sei, dass er – ich musste es sagen, ich musste einfach –, dass er sie liebte?
Sie zitterte, und ich dachte, sie würde weinen, bis ich merkte, dass sie lachte. »Tom, ach Tom, es ist ja, als würdest du um mich werben!«
»Er würde diese Worte ebenfalls benutzen, wenn er könnte, ich schwöre es!«, rief ich leidenschaftlich.
»Du kannst einem Menschen ins Herz schauen, nicht wahr?«
»Ja, genau, ich glaube, das kann ich!«
Sie lachte, bis ihr die Tränen in die Augen traten. Sie zupfte an den Lavendelspitzen und ließ sie auf den Schoß ihres Kleides fallen, als sei sie ein kleines Mädchen, das Er-liebt-mich-er-liebt-mich-nicht spielte. Dann flossen ihr Tränen über die Wangen, und ich begriff, dass sie nun tatsächlich weinte, dass ihre Ruhe gar keine Ruhe war, sondern eine fest verschlossene Tür, hinter der sie seit dem Tag meiner Geburt ihre Gefühle eingesperrt hatte.
Ich legte meinen Arm um sie, und jeder, der in den Garten gekommen wäre, hätte uns trotz des großen Altersunterschieds für ein Liebespaar gehalten. Einen Moment klammerte sie sich an mich, dann erhob sie sich, um zu gehen, doch ein plötzlicher Regenschauer ergoss sich über den Garten. Wir drängten uns wieder zurück in die Laube, in die Ansammlung aus staubigen, zerbrechlichen Zweigen und toten Blättern, und starrten auf den Regenvorhang vor uns.
»Warum hat er dir das alles erzählt?«
»Weil er erfahren hat, dass Ihr am Leben seid! Er dachte, dass er Euch vielleicht wiederfinden würde. Von dem Moment an hat er sich verändert.«
»Verändert? Dieser Mann?«
»Ja!«
»Tom, er hält dich zum Narren, so wie er mich zum Narren gehalten hat.«
»Es war, als hätte er die Worte aus einem tiefen Brunnen hervorgeholt.«
»Das passt immerhin zu ihm«, murmelte sie.
Der Schauer hörte so schnell auf, wie er gekommen war, und die Sonne kam wieder zum Vorschein. Erst jetzt bemerkte ich, dass ein Ärmel meines Hemds an meinem Arm klebte. Auch ein Teil ihres Umhangs und Haares war dunkel vom Regen. »Glaubst du, er hat dir die Wahrheit gesagt?«, flüsterte sie.
»Ja. Ja, gewiss. Kein Mann kann solche Gefühle erfinden.«
Sie seufzte und erbebte. Ich merkte, wie nass wir waren, und drängte sie, hineinzugehen, ehe sie sich erkältete. Doch sie weigerte sich und sagte, dass sie jetzt reden müsse, oder sie würde es niemals tun. Sie hatte geglaubt, es sei das Beste, die Sache zu begraben, und dass mein Glück davon abhinge. Jetzt, wo es mich zu diesem verfluchten Ort gezogen hatte, sei es das kleinere von zwei Übeln, mir den Teil der Wahrheit zu erzählen, den sie kannte.
Im Laufe der Jahre hatte sie mir mehr gegeben als nur den Osterkuchen an meinem Geburtstag. Sie war es gewesen, die Mr Ingram überredet hatte, mir mit Hilfe der Bibel das Lesen beizubringen. Was als Wiedergutmachung für ihre Sünde – nun, dazu würde sie noch kommen – angefangen hatte, endete als, warum sollte sie es nicht sagen, Akt der Liebe.
»Du fragst mich, ob ich Eaton geheiratet hätte, wenn all das nicht geschehen wäre? Hat er dir nicht gesagt, dass ich ihm sehr wohl geantwortet habe?«
Ich schüttelte den Kopf. Sie zitterte erneut, und erneut bat ich sie inständig, hineinzugehen, doch sie erwiderte, es sei nicht die Kälte, die sie erzittern ließ, sondern die Erinnerung an jenen Tag und jenen Sommer, die schleichend wiedererwachte. Wie ich bereits von Eaton wusste, hatte alles damit begonnen, dass sie ihn aus der Falle befreit hatte. Davor kannte sie ihn nur als einen Menschen, den die Familie Pearce hasste, deren einst riesige Ländereien schon lange im Niedergang begriffen waren. Margaret Pearce war ein Einzelkind. Ihre Mutter war tot, ihr Vater ein halsstarriger Mann, der den Großteil seines Geldes dabei verloren hatte, Lord Stonehouse’ Übergriffe auf sein Land abzuwehren. Als er starb, stand er kurz vor dem Ruin. Das Einzige, das er seine Tochter hinterlassen hatte und das nicht verpfändet war, war sein Hass auf Lord Stonehouse.
Ich hörte gebannt zu. Falls die Leute meine Mutter überhaupt erwähnt hatten, hatten sie von ihr gesprochen, als sei sie eine Hure aus einem Groschenblatt, aber niemand hatte sie als wirklichen Menschen lebendig werden lassen.
»War sie schön?«, fragte ich.
»Und geistreich. Und intelligent. Und bezaubernd. Wie du.«
»Ich bin bezaubernd?«
»Ach Tom! Hör dich doch an!«
»Meine Füße sind viel zu groß, um jemals bezaubernd sein zu können.«
Ich hielt meine Füße vor ihr in die Höhe, und sie lachte. Dann fügte sie an: »Und deine Mutter war skrupellos.«
»Ich bin nicht skrupellos! Ganz und gar nicht!«
»Nein. Noch nicht.« Obwohl die Sonne kräftiger wurde und es inzwischen ziemlich warm in der Laube war, zitterte sie erneut. »Ich sehe so viel von ihr in dir. Das ist es, wovor ich solche Angst habe. Ich habe sie damals nicht für skrupellos gehalten. Ich glaubte, alles über sie zu wissen – bis zu jenem Tag.«
Sie schwieg eine Weile, ehe sie mir erzählte, dass Margaret Pearce sie benutzt hatte. Nun, dafür wurden Gesellschafterinnen bezahlt und bekamen zu essen und ein Dach über dem Kopf – in diesem Fall vor allem Letzteres. Aber die meisten Gesellschafterinnen wurden auch ins Vertrauen gezogen. Sie hatte geglaubt, bei ihr sei es genauso, doch das war es nicht. Margaret Pearce hatte eine Art, die Dinge entweder heftig und übertrieben darzustellen oder im genauen Gegenteil oberflächlich und spöttisch. Keines von beiden konnte Kate ernst nehmen, bis es zu spät war.
Margaret Pearce machte Lord Stonehouse für den Tod ihres Vaters verantwortlich, als hätte er ihn eigenhändig ermordet. Und sie glaubte, dass die Seele ihres Vaters keine Ruhe finden würde, bis sie Rache geübt hatte. Und wie wollte sie das erreichen? Durch nichts weniger als dadurch, seine Ländereien zu übernehmen, so wie er beinahe den Besitz ihres Vater geschluckt hatte. Für Kate Beaumann war dies ein Zeichen übersteigerter Trauer um den Verlust, die sich, mit Geduld und Handarbeiten, ihrer Meinung nach wieder legen würde. Doch das tat sie nicht.