Das Gesinde in Highpoint befand sich in einem Zustand bestürzter Unruhe. Sie hörte Lord Stonehouse’ laute Stimme und lief die Treppe hinauf und den Flur entlang, wo sie ihn und seine beiden Söhne sah. Richards Miene zeigte Heiterkeit, die er indes sorgsam vor seinem Vater verbarg. Edward, der gerade erst angefangen hatte, Augengläser zu tragen, schob diese unablässig zurück, sobald sie von der Nase zu rutschten drohten.
»Sie hat mich betrogen, sie hat uns alle betrogen, Sir!«, schrie Lord Stonehouse.
»Sie … sie ist eine verheiratete Dame, Vater«, sagte Edward.
Kate hatte Edward noch nie so erlebt. Gewöhnlich sanftmütig und zögerlich, hielt er dem Blick seines Vaters herausfordernd stand, die Hände geballt. Margaret verheiratet? In diesem Moment erschien das Kate unmöglich. Noch bestürzter war sie über Richards Bemerkung, als er schützend den Arm seines Bruders drückte.
»Verheiratet. Aha. Aber mit wem?«
Sein Vater blitzte ihn an, dann erblickte er Kate. »Bibliothek!«, blaffte er.
Sie eilte davon. Das war eine Frauensache. Die Männer schienen sich unwillkürlich in der einen Hälfte des Hauses versammelt zu haben und die Frauen in der anderen. Als sie in ihrer Panik die Orientierung verlor, brachte eine Magd sie zur Bibliothek. Ihre Chopinen hinterließen ein matschiges Muster in einer Wasserpfütze auf dem Flur, und sie erinnerte sich, wie seltsam sie das gefunden hatte, da Mrs Morland so eine penible Haushälterin war. Margaret Pearce lag ausgestreckt auf dem Boden, ein Kissen unter dem Kopf, Mrs Morland kniete an ihrer Seite. Sie starrte zu Kate empor und lächelte. Es war ein schwaches Lächeln, teils grüßend, teils erleichtert, denn sie litt heftige Schmerzen, doch es war ein Lächeln. Das wiederum erboste Mrs Morland, als habe Margaret Pearce von allen Menschen am wenigsten ein Recht darauf.
»Das ist eine schmutzige Angelegenheit, Miss Beaumann«, sagte sie.
»Schmutzig?«, sagte Kate, bestürzt über ihr Verhalten, da sie dachte, Margaret sei einfach nur krank geworden.
»Schmutzig!«
Brutal riss sie Margarets Kleid hoch, wobei sie einen der Unterröcke zerriss. Sie waren nass, und Kate begriff, wo das Wasser hergekommen war. Sie starrte auf den aufgeblähten Bauch, das angespannte, teilweise eingerissene Geschlecht, den dunklen, geröteten Umriss von etwas, das sich abmühte, durchzukommen. Es hatte eine kurze Pause gegeben, doch schon folgte der nächste Versuch, sich den Weg nach draußen zu bahnen, und die Lippen von Margarets Geschlecht schoben sich zurück. Entsetzt schaute Kate zu, denn sie wusste, was dieses Etwas war. Samuel Pearce war ein strenger Puritaner gewesen, der außer der Bibel nur wenige Bücher im Haus duldete. Eines dieser Werke war Stephen Batmans Das Verderben ermahnt Jedermann vor dem Jüngsten Gericht, eine Chronik aller wunderlichen und abscheulichen Geburten, von denen je berichtet worden war. Als Mrs Morland das Kleid wieder nach unten zog, erinnerte Kate sich daran, dass die Auflistung zweifelsohne bewies, dass unzüchtiger, ehebrecherischer Beischlaf zur Geburt von Monstern führte. Es gab Kinder, die mit zwei Köpfen geboren wurden, Gliedmaßen oder Finger fehlten, die Körper waren verdreht oder missgestaltet. Sie war überzeugt, dass solch eine Monstrosität auftauchen würde.
»Richtet sie auf«, schnauzte Mrs Morland sie an, »solange sie zwischen zwei Wehen ist!« Sie warf Kate einen anklagenden Blick zu, als hätte sie es wissen müssen und sei mithin an diesem Frevel beteiligt.
Wie sie Margaret hochbekommen hatten, vermochte Kate später nicht mehr zu sagen. Sie selbst war klein, und Mrs Morland war mager und groß, und Margaret schwankte zwischen ihnen hin und her. Die Magd, die sie in die Bibliothek geführt hatte, half ihnen die Treppe hinab, doch sobald Margaret zu sprechen begann, schickte Mrs Morland das Mädchen fort. Margaret taumelte zwischen ihnen in die Halle. Sie klang betrunken, doch sie roch nicht nach Wein.
»Ich werde Lord Stonehouse heiraten! Was hältst du davon, Kate? Ich werde Lady Stonehouse sein! Du siehst – alles wird wahr!« Sie glitt beinahe auf dem gefliesten Boden aus. Kate ließ Margaret einen Moment lang los, doch Mrs Morland hielt sie weiterhin fest und zerrte sie mit brutalem Schwung über den rutschigen Boden, ehe Kate sie wieder zu fassen bekam. »Danke, Mrs Morland«, sagte Margaret. »Ist meine Kutsche bereit?«
Dann übermannte der Schmerz sie erneut. Mrs Morland sah mit einem Lächeln voll grimmiger Befriedigung zu, während Henry, der Kutscher, ihr in den Wagen half. Margaret fiel über Kate, bohrte die Fingernägel in ihre Hände und biss auf einen der Lederriemen, konnte indes nicht verhindern, dass ihr ein Schrei entwich.
»Wartet!« Mrs Morland hämmerte an die Kutschentür. »Ihr wisst, was Ihr zu tun habt?«
»Tun?« Kate starrte sie verwirrt an.
»Gott sei mit den geistig Armen!« Verdrossen rang Mrs Morland die Hände, legte sich dann eine Hand über Mund und Nase, als wollte sie jemanden ersticken.
»Ich kann das nicht tun!«
»Ihr werdet es schon schaffen. Der Karren wird es abholen.«
Sobald sie die zu Highpoint gehörenden Ländereien hinter sich gelassen hatten – so lautete Henrys Anweisung –, atmete dieser freier und zeigte zumindest etwas Mitleid mit ihnen. Ehe er sie in dem kalten, feuchten Bauernhaus allein ließ, sammelte er Holz und schlug den Feuerstein, um ein Feuer zu entzünden. Kate hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Sie meinte, die Gegenwart des Bösen zu spüren. Mehrere Male wäre sie beinahe gegangen, doch jedes Mal, wenn sie die Tür öffnete, murmelte Margaret etwas oder schrie und streckte tastend eine Hand aus, um die ihre zu umklammern. Kate fand Wasser, das sie erhitzte, sowie ein paar schmutzige Lumpen. Der Kopf kam heraus, klebrig und runzlig, aber zu ihrer Überraschung sah er vollkommen normal aus. Eine Weile schien das, was aus Margaret herauswollte, was immer es sein mochte, festzustecken, ebenso erschöpft wie die Mutter. Während dieser Momente betete Kate. Von der Bettstatt, auf der Margaret lag, hörte sie ein klickendes, tastendes Geräusch. Margaret murmelte etwas, doch Kate schloss diese Worte aus, indem sie noch stärker darum betete, den Teufel zu bannen, der langsam aber sicher in diese Welt glitt.
Der Wind bildete kleine Wirbel und ließ einen Eimer draußen klappern. Der Regen fand die Spalten im zerbröckelten Schornstein, spritzte hinein und zischte im Feuer. Als sei es Teil dieses Geräuschs, Teil der Gewalt da draußen, rutschte das Ding plötzlich in einer ungestümen Eruption heraus. Erleichtert glaubte Kate, die klebrige Masse sei tot. Sie wappnete sich und hob es auf. Es rutschte ihr aus den Fingern. Instinktiv hielt sie es fest. Das Ding erschauderte, lag warm und zitternd in ihren Händen, der Mund bebte und stieß zu ihrem Erstaunen einen schrillen, holperigen, doch zunehmend kräftiger werdenden und ganz gewiss sehr menschlichen Schrei aus. Er war normal und ohne Makel. Sie drückte den Jungen an sich, und er schien perfekt in ihre Arme zu passen, etwas, von dem sie bis jetzt nicht gewusst hatte, dass sie es vermisst hatte. All ihre Ängste und Vorstellungen waren wie fortgewischt. Für einen Moment.
Margaret öffnete die Augen und streckte die Hände nach dem Kind aus. Kate empfand einen starken Widerwillen, das Kind loszulassen. Schließlich wollte sie es seiner Mutter reichen, doch schreckte dann im letzten Moment zurück. Die hypnotisierenden Augen einer Schlange schienen sie anzublicken, die gespaltene Zunge züngelte glänzend. Ein weiteres Hirngespinst! Doch die Wirklichkeit war noch schlimmer.
In ihrer Hand hielt Margaret nämlich ein Schmuckstück, das Kate gut kannte. Sie wusste auch, dass Lord Stonehouse diesen Anhänger, der seiner Frau Frances gehört hatte, mehr schätzte als seinen gesamten anderen Besitz. Der Feuerschein ließ die Augen des Falken aufflackern, und er schien sie anklagend anzufunkeln. Panik erfüllte sie, als sie sich vorstellte, Lord Stonehouse’ Mann könnte kommen und den Anhänger entdecken. Sie legte das schreiende Kind ab und versuchte, Margaret den Anhänger abzunehmen. Sie sagte, sie sei verrückt gewesen, ihn zu stehlen.