Das Blut brannte in meinen Wangen, und ich machte schon einen Schritt auf Fawcett zu, entschied mich dann jedoch anders. Hatte ich von Eaton gelernt, Wut in kaltblütige Verbitterung zu verwandeln? Oder hatte ich es von meiner Mutter geerbt?
Ich sah zu, wie die Bediensteten die Karren bestiegen. Mein Ärger darüber, wie man meine Mutter in diesem Haus behandelt hatte, wuchs, während ich beobachtete, wie das Gesinde davonfuhr. Dann ging ich zu den Ställen. Ich würde vollenden, was meine Mutter begonnen hatte.
Patch wollte galoppieren, doch ich hielt die Zügel kurz, während ich den Karren durch eine Furt folgte und anschließend hügelauf in ein kahleres Stück Land gelangte. Ein unbehagliches Schweigen hatte sich über die Karren gelegt. Einmal fing ich Mrs Adams schwarzes Tuch auf, als es fortgeweht wurde. Sie nahm es entgegen, ohne mich anzusehen oder ein Wort zu sagen, und ließ es im Wind wehen, ehe sie es wieder umlegte, als hätte ich es auf irgendeine Weise verseucht. Der Einzige, der meinem Blick nicht auswich, war der bärtige Mann, mit dem Fawcett gesprochen hatte. Je länger ich ihn ansah, umso sicherer war ich mir, ihm schon einmal irgendwo begegnet zu sein. Ich konnte mich jedoch nicht entsinnen, wo das gewesen sein könnte.
Als wir uns Shadwell näherten, sah ich hinter mir eine Kutsche den Hügel erklimmen. Ich ließ mich hinter die Karren zurückfallen und überprüfte meine Pistole. Das Dorf war ein Gewirr aus Hütten, die sich um die Kirche als dem einzigen stabilen Gebäude scharten. Es gab einige kleine Bauernkaten, doch ansonsten schien das Überleben der Menschen von Schafen abzuhängen, die auf dem Friedhof grasten. Ich saß nicht ab, sondern wartete, bis die Trauergäste in der Kirche verschwunden waren und die Kutsche anhielt.
Der Erste, der ausstieg, war Edward Stonehouse, würdevoll in seinem Priestergewand und mit dem Gebetbuch in der Hand, das Gesicht für den Gottesdienst feierlich gefasst. Interessiert blickte ich zu ihm hinunter. So nahe war ich ihm noch nie gewesen. Überrascht schaute er zu mir auf, die schweren metallenen Augengläser rutschten ihm dabei von der Nase. Seine Hände zitterten, so dass er beinahe das Gebetbuch fallen gelassen hätte. Sein rötliches Gesicht verlor alle Farbe und erbleichte über seiner schwarzen Robe. Abrupt blieb er stehen. Seine Frau, die sich vom Kutscher heraushelfen ließ, stieß gegen seinen Rücken.
»Passt doch auf, Edward! Ihr seid heute Morgen so zerstreut!«
Ihre Stimme war scharf und ungeduldig. Sie sah aus, als hätte sie gerade eine ganze Flasche Essig geleert; sie verdrehte die Augen, und ihre Lippen waren so dünn, dass sie fast in ihrem Gesicht verschwanden. Wenn Edward Margaret Pearces Liebhaber gewesen war, dann hatte er mit seiner Frau einen schlechten Fang gemacht, dachte ich. Bis auf das kleine Vermögen, das sie, wie Luke mir erzählt hatte, mit in die Ehe gebracht hatte und von dem vermutlich die glänzende Kutsche mit dem Stonehouse-Wappen und die Livree des Kutschers bezahlt worden waren.
»Was ist los? Wer ist das?« Ihre Augen hatten die Form von Schlitzen angenommen, als sie zu mir hinaufspähte. Ich erwiderte ihren Blick interessiert, während mein Pferd friedlich das Gras weidete. Sie packte Edwards Arm. »Unverschämtheit! Sagt dem Kutscher …«
Ob Edward den Mann anweisen sollte, mir die Peitsche zu geben, habe ich nie erfahren, denn er packte ihren Arm und zerrte sie beinahe durch das überdachte Friedhofstor. Sie war so eine Behandlung offensichtlich nicht gewohnt und protestierte lauthals, bis ihr anscheinend dämmerte, wer ich war, denn als sie das Vestibül erreichten, sagte sie: »Das ist doch wohl nicht etwa der, oder?« und wirbelte herum, um mich erneut anzustarren. Mittlerweile scheuchte eine Gouvernante die Kinder aus der Kutsche. Zuerst einen Jungen, etwa zehn Jahre alt, der in seinem schwarzen Leibrock ganz trefflich aussah und vermutlich Lord Stonehouse als möglicher Erben präsentiert werden sollte. Doch Phillip – wieder nach Lukes Aussage – stammte aus der ersten Ehe von Edwards Frau. Ihr Mann war von derselben Seuche dahingerafft worden, die auch Edwards erste Frau und ihren gemeinsamen Sohn getötet hatte, in den Lord Stonehouse so vernarrt gewesen war. Die anderen Kinder, alles Mädchen, könnten meine Halbschwestern sein. Alle starrten mich an, wie es Kinder tun, ohne Befangenheit, und ich erwiderte ihre Blicke, bis Phillip von der gehetzten Gouvernante zu wissen verlangte: »Wer ist dieser Mann?«
»Ein Mann auf einem Pferd«, erwiderte sie.
»Das sehe ich«, sagte er mit vernichtender Verachtung. »Warum starrt er mich so an?«
»Mama sagte, er sei unverschämt«, flüsterte das älteste Mädchen ihm zu und lächelte einfältig.
»Hat sie das? Wirklich?« Er riss sich von der Gouvernante los und kam auf mein Pferd zu, das nervös zurückwich, bis ich es beruhigte und es nicht mehr von der Stelle wich. »He, du da! Fort mit dir! Ehe du dir eine tüchtige Tracht Prügel einfängst!«
Mrs Stonehouse tauchte wieder auf der Vortreppe auf. »Phillip! Komm her! Du bist auf einer Beerdigung!«
Phillip sah ebenso arrogant und jähzornig aus wie sein Stiefonkel Richard, aber mit einem letzten »Das ist eine private Beerdigung, Sir, und Fremde sind nicht willkommen!« schloss er sich widerwillig seinen Schwestern an, die in die Kirche marschierten. Bis jetzt hatte ich ein unerwartetes Vergnügen aus der Sache gezogen, aber nun begann ich mich zunehmend unbehaglich zu fühlen. Es gab keine Spur von Richard oder einer herannahenden Kutsche. Er könnte in der Kirche sein, aber es war unwahrscheinlich, dass er vor dem Gesinde hineingegangen war. Wills Geschichte, dass Richard losgezogen sei, um sich dem König anzuschließen, hatte ich nie geglaubt. Doch solange seine Soldaten dort waren, hatte ich es nicht in Frage gestellt. Wenn Richard und Mrs Morland einander so nahegestanden hatten wie sie sagte, hätte ich erwartet, dass er zu ihrer Beerdigung käme. Ich zögerte und schaute mir auf der Suche nach Inspiration das einzige kunstvolle Detail dieser ansonsten schlichten Kirche an: ein Eingang mit Schnitzereien, die Menschen zeigten, die von der Frucht des Baumes der Erkenntnis verführt wurden. Ob wohl meine Mutter durch diese Vorhalle geschritten war, um zu heiraten? Und wen hatte sie geheiratet?
Ich entdeckte ein Wäldchen, in dem ich mein Pferd so gut es ging vor neugierigen Blicken verbarg. Bei meiner Rückkehr sah ich einen Mann von der Rückseite der Kirche in Richtung Dorf laufen. Edwards Stimme, die mich an Schilf im Wind erinnerte, wurde vom nackten Stein verstärkt und hallte um mich herum, als ich die Kirchentür aufstieß: »Wir bringen nichts mit auf diese Welt …« Er hielt inne, als das alte, verzogene Holz über die Steinfliesen knirschte. Ich stand von hinten beleuchtet im Türbogen und fühlte mich wie ein Schauspieler auf der Bühne, als alle Köpfe sich zu mir umwandten. Erneut musste ich das protestierende Ächzen der Tür ertragen, ehe sich die kalte, feuchte Dämmerung um mich schloss.
Ruckartig bewegten sich die Köpfe wieder nach vorn, als Edward fortfuhr. Sein Blick folgte mir, als ich zögernd den Mittelgang entlangschlich und versuchte, einen Platz zu finden. »Und es ist gewiss, dass wir nichts mitnehmen können …«
Es gab noch genug Platz in den Bankreihen, doch die Menschen rührten sich nicht, verharrten auf den Plätzen am Gang wie steinerne Statuen, blickten starr geradeaus oder hatten die Köpfe zum Gebet gesenkt und die Hände gefaltet. Ich stolperte über eine hervorstehende Steinplatte und wäre gestürzt, wenn ich nicht Mrs Adams fleischige Schulter zu fassen bekommen hätte. Ich murmelte eine Entschuldigung, aber sie benahm sich, als sei nichts geschehen, scheinbar zu tief in ihre Andacht versunken. Schließlich rückte jemand zur Seite, wenngleich missmutig, und überließ mir das Ende der Bank, auf dem ich unsicher mit einer Pobacke balancieren konnte. Es war Henry, der Kutscher. Ich nickte ihm zum Dank zu, doch auch er blieb stur dabei, mich nicht wahrzunehmen.