»Nein.« Ich schwang mich auf mein Pferd. »Aber wir können den Anhänger holen.«
Er schlug sich mit solcher Kraft gegen die Stirn, dass ich glaubte, sein Kopf müsse davonfliegen. »Ihn stehlen – noch einmal!«
»Ihn Lord Stonehouse ordnungsgemäß zurückgeben.«
Erneut zerschnitten Blitze den Himmel, und dieses Mal war der Donner näher. Wind kam auf und zerrte am Heidekraut. Ich drängte mein Pferd auf den Pfad, doch Matthew hielt seines zurück.
»Tom. Sei kein Narr. Nicht du treibst das Pferd an, es ist der Anhänger!«
Ich zögerte, doch nur für einen Moment. »Vielleicht hast du recht. Du bist klüger als ich, Matthew. Aber eines habe ich gelernt – man kann nicht ewig davonlaufen.«
Er sah mich an, als hätte ich ihn mit einer Peitsche mitten ins Gesicht geschlagen. Es verletzte ihn stärker als alles andere, das ich gesagt oder getan hatte. Und das sollte es auch.
35. Kapitel
Als ich die Heide verließ, um nach Upper Vale hinunterzureiten, hörte ich lautes Rufen und galoppierende Hufe hinter mir. Als Matthew mich einholte, deutete er auf einen Pfad, der durch das Wäldchen führte, in dem ich Patch während des Trauergottesdienstes angebunden hatte. Niemand kannte das Land besser als Matthew, nicht einmal Eaton. Seit Jahren lebte er von seinen Kräutern und seinem Scharfsinn und reiste auf wenig bekannten Wegen zwischen Lower Vale und Oxford umher. Er führte mich durch einen Wald, der zu einem Teil des Great Forest wurde, während der Regen unerbittlich auf uns herabprasselte. Wir kamen nur langsam voran, aber die Route war wesentlich kürzer, und als wir die ausladenden, undurchdringlichen Eichen erreichten, boten sie uns Schutz, sowohl vor dem Wolkenbruch als auch vor dem, was uns in Highpoint erwarten mochte.
Wir erreichten den Waldrand und starrten hinunter auf das Haus. Der Regen hatte jetzt nachgelassen und war zu einem gleichmäßigen Nieseln geworden, durchbrochen von gelegentlichen kalten Tropfen, die aus den Bäumen fielen. Wenn der Mond sich zeigte, warf er lange schwarze Schatten auf das Herrenhaus. Es sei genau derselbe Mond wie in der Nacht, in der ich geboren wurde, sagte Matthew. Voll Verachtung erwiderte ich, er bilde sich Dinge ein, aber ich war selbst nicht besser. Ich sah, wie meine Mutter in die Kutsche verfrachtet wurde, die daraufhin wild schlingernd die dunkle Allee entlangraste.
Wir durchquerten den Fluss, und Matthew führte mich durch ein Wäldchen, in dem wir unsere Pferde ließen und Laub unsere Schritte dämpften. In der Halle brannten Kerzen, und wir sahen eine Magd, die in einem der unteren Räume weitere entzündete. Es war niemand zu sehen oder zu hören, nur aus der Küche drang gelegentliches Geklapper. Mühsam bahnten wir uns unseren Weg um das Gebäude herum zum äußersten Winkel, wo ich vorhatte, an der Außenmauer hinaufzuklettern und durch ein Fenster einzusteigen. Doch zuerst versuchte ich es an einem Dienstboteneingang. Die Tür war offen.
»Das gefällt mir nicht«, flüsterte Matthew.
»Hör mal.« Ich deutete auf die Ställe.
»Ich höre nichts.«
»Genau. Keine Pferde.«
»Sie haben sie außer Hörweite gelassen.«
Ich zögerte, hatte jedoch das Gefühl, dem Anhänger so nahe zu sein, dass ich einfach ins Haus musste. Ich schlüpfte in den dunklen Gang. Es roch nach verdorbenem Gekochtem. Einen Moment später folgte Matthew mir. Licht fiel aus einer offenen Tür, und ich duckte mich, als Mrs Adams auftauchte und etwas Schweinefutter in einen Eimer im Gang warf. Ich beobachtete, wie sie wieder verschwand und hörte sie jemandem zurufen: »Das nennst du sauber? Schrubb es! Schrubb die Soldaten fort! Und danke dem guten Herrn, dass er uns von ihnen erlöst hat!«
Wir erklommen die Hintertreppe, blieben im Schatten am Rand der Galerie stehen und blinzelten im Licht. Jede Kerze in jedem Kronleuchter brannte. Sobald wir die Galerie überquert hätten, würden wir in das Labyrinth aus dunklen Korridoren eintauchen, die zu Frances’ Schlafzimmer führten. Ich wollte gerade hinüberrennen, als der Schrei einer Frau ertönte. Er kam aus dem großen Empfangszimmer mit Doppeltüren auf der anderen Seite des Treppenabsatzes, gefolgt von Stimmengemurmel. Ich sprang zurück in den Schatten der Treppe.
Eaton trat aus dem Raum. Ich konnte Kate sehen, aber sonst niemanden. Es war ein Wunder. Nie hätte ich gedacht, ihn je wieder auf den Beinen zu sehen, und rannte auf ihn zu. Er sah nicht froh aus, mich zu sehen, doch andererseits sah er niemals froh aus, irgendjemanden zu sehen. Ich umarmte ihn, und er wollte etwas sagen, doch das ging in dem plötzlichen Tumult unter, als Türen aufgerissen und Schwerter gezückt wurden.
»Du kannst ihn jetzt aus deiner zärtlichen Umarmung entlassen, Eaton«, sagte Richard.
Er lehnte an der Wand und sah aus wie für den Hof gekleidet, in einem roten Leibrock, über dem er einen kurzen Umhang mit juwelenbesetzter Spange trug, die den Stonehouse-Falken zeigte. Der Vogel schien aufzuflattern, sobald Richard sich bewegte. Hinter ihm standen mehrere Männer. Aus der Tür des Zimmers, aus dem Eaton gekommen war, trat Captain Gardiner. Er sah noch fast genauso aus wie damals, als ich zum ersten Mal auf ihn getroffen war, im Gestank von Smithfield, nur dass sein neuer Biberhut frisch gebürstet war. Er lehnte sich neben der Tür an die Wand. Das Licht einer Kerze wurde vom Stoßdegen in seiner Hand reflektiert.
»Wo ist der andere?«, sagte Richard scharfzüngig. »Idioten! Die Hintertreppe!«
Wie üblich war Matthew verschwunden. Wie er das angestellt hatte, wusste ich nicht, aber, so dachte ich säuerlich, er hatte schließlich genug Übung darin. Ausnahmsweise einmal war ich froh darüber. Sie hätten rasch aus ihm herausbekommen, wo sich der Anhänger befand. Ich vergaß Matthew und wandte meine Aufmerksamkeit, all meine verbitterte Aufmerksamkeit, Eaton zu. »Ich habe Euch vertraut«, sagte ich. »Ich hielt Euch für meinen Freund.«
»Du hast Eaton vertraut?«, sagte Richard ungläubig. »Du hast gedacht, er sei dein Freund?«
Lawinenartig brandete Gelächter auf, und ich stellte fest, dass alle Bediensteten, die heute Morgen beim Gottesdienst gewesen waren, aufgetaucht waren, aus Türen, in der Halle unten, auf halbem Weg die Treppe hinauf, wo das Gesicht des Bärtigen sich zu einem breiten Grinsen verzog. Die Köchin stand an der Tür zur Hintertreppe, ihr gewaltiger Leib bebte vor Lachen. Wie der König bei seinem Versuch, Pym und die anderen vier Mitglieder im Unterhaus zu verhaften, bewies auch Richard einen feinen Sinn fürs Theatralische. Alles musste Stil haben, alles war Teil einer Vorführung, um den Leuten eindrucksvoll zu zeigen, wer die Macht hatte.
»Eaton hat keine Freunde, nicht wahr Eaton?«, sagte Richard.
»Keine«, erklärte Eaton schonungslos.
»Eaton ist der beste Lügner, der beste Betrüger, den ich kenne, nicht wahr Eaton?«
Eaton sagte nichts, doch unter der Dienerschaft erhob sich ein wütendes Gemurmel, und die Köchin sah aus, als wollte sie ihn anspucken.
»Ich habe erst herausgefunden, dass er meinen Vater seit Jahren betrügt, als ich die Papiere aus der Kanzlei dieses anderen Gauners, Turville, geholt habe. Darum hast du diesen Hochstapler hierher gebracht, nicht wahr Eaton? Weil ich gedroht habe, meinem Vater die Beweise zu zeigen.« Es kam zu erneuten Unmutsäußerungen beim Gesinde, doch Richard brachte es mit einer Geste zum Schweigen. »Aber um fair zu sein, Eaton hat den Grundbesitz aufgebaut. Er ist gut darin, Verträge zu machen, und wir haben einen Vertrag geschlossen. Bring ihn mir, und du kannst deine Stellung behalten. Ich kann einen guten Verwalter gebrauchen.«
Er klopfte Eaton auf den Rücken. Eaton taumelte, und ich begriff, dass er immer noch krank war. Allein die lebhaft pochende Narbe brachte etwas Farbe in sein Gesicht. Er umklammerte die Balustrade hinter sich, um sich abzustützen, und warf einen Blick in das Empfangszimmer, aus dem er gekommen war. Ich folgte seinem Blick und sah, dass Kate von einem Soldaten festgehalten wurde, der ihr ein Messer an die Kehle hielt. Meine Taubheit verflog. Ich war ein Narr, aber kein kompletter Narr.