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»Ich würde sagen, dieser Punkt geht an ihn«, sagte Bryson. »Eins zu null für ihn.«

»Auf den Karren! Werft ihn auf den Karren!«, schrie Gardiner sie an. Sie zögerten. Vermutlich hatten sie gedacht, dass es niemals so weit kommen würde. Gardiner stieß den widerstrebenden Nat nach vorne. »Auf den Karren!« Bryson zuckte mit den Schultern, zog seine Maske herunter, und mit einer schnellen Bewegung schleuderten sie mich nach oben. Ich landete mit dem Gesicht im nasskalten, übelriechenden Stroh, richtete mich strampelnd auf und spie und spuckte die klebrigen, verrotteten Strohhalme aus. Ein Auge, oder besser die opalisierenden Überreste davon, bewegte sich in seiner Höhle. Ich öffnete den Mund, um zu schreien, doch dann würgte ich, als ich sah, dass das, was sich bewegte, eine Made war. Überall auf dem Leichnam krochen sie herum. Ich wandte mich ab und erbrach mich. Unablässig stieß ich mit dem Kopf gegen die Seitenwand des Karrens, als könnte ich sie auf diese Weise durchbrechen und mich befreien, doch schließlich brach ich im Stroh zusammen.

»Ich gehe zum Haus, um eine Maske zu holen«, fauchte Gardiner.

Ich hörte ihn an seinem Finger saugen, als er davonging, dann das Kratzen eines Feuersteins, als Bryson seine Pfeife neu anzündete. Er befahl Nat, auf mich aufzupassen, während er zum Scheißen im Wald verschwand. Ich spuckte das Stroh und saure Reste des Erbrochenen aus und schaffte es, schmerzhaft langsam, mich in eine sitzende Position zu bringen, wobei ich mühsam den Kopf von meinen Reisegefährten fernhielt. Die hintere Klappe des Karrens war immer noch geöffnet. Fieberhaft dachte ich daran, mich herunterzurollen, doch als hätte er meine Gedanken gelesen, zog Nat sein Schwert. Der Schrei eines Tieres aus dem Wald ließ uns beide zusammenfahren. Gardiner, jetzt maskiert, kam herbeigeritten, gerade als Bryson aus dem Wald trat, seine Hose zuknöpfte und immer noch an der Pfeife paffte. Er knallte die Klappe des Karrens zu. Gardiner entließ Nat und ritt hinter dem Karren her, während Bryson mit einem Schnalzen sein Pferd in Bewegung setzte.

Es war diese merkwürdige Zeit, in der der Mond noch nicht ganz untergegangen und die Sonne noch nicht geboren waren. Der kleinste Lichtschimmer wurde von den Bäumen abgefangen, die fast all ihrer Blätter beraubt waren. Durch die Zweige konnte ich einen Gasthof erkennen, der mir bekannt vorkam. Das Schild quietschte im Einklang mit den rüttelnden Wagenrädern: Es war der Gasthof kurz vor Oxford, in dem Eaton unsere Pferde untergebracht hatte, nicht weit von der Pestgrube entfernt.

In diesem Moment wusste ich, dass ich reden würde. Pest oder nicht Pest. Ich wollte leben, egal ob es drei Tage voller Qualen oder eine Stunde oder eine Minute war: Jede Sekunde war kostbar. Ich hatte nicht gelebt. Ich hatte keine richtigen Gedichte geschrieben, nur ein paar aufrührerische Flugschriften verfasst; ein paar Küsse stibitzt, aber nie die Liebe vollzogen. Alles außer mir bereitete sich auf das Leben vor. Der erste Vogel gab einen geisterhaften, zögernden Laut von sich, gefolgt von dem nächsten und dann noch einem. Gardiner gähnte und streckte sich. Er war kein Narr. Er wusste, dass selbst der Karren mit seinen krabbelnden Maden im Vergleich zur Grube das Leben bedeutete. Er wusste, dass ich es ihm erzählen würde, damit ich zumindest solange lebte, bis er überprüft hatte, ob ich die Wahrheit gesagt hatte.

Der Karren blieb stehen. Ich setzte mich auf. Gardiner hatte sein Pferd ein Stück entfernt angehalten und kratzte sich nach dem ersten Flohbiss des Morgens. Bryson taumelte schlaftrunken durch dicken weißgestreiften Matsch und schob das mit einem verblichenen roten Kreuz versehene Tor auf. Ich wollte Gardiner zurufen, dass ich ihm sagen würde, wo der Anhänger sei, verschluckte dabei allerdings einen kratzigen Strohhalm, der in meiner Kehle steckenblieb. Ich keuchte und würgte, doch ich bekam ihn nicht heraus, noch konnte ich sprechen. Ich geriet in Panik, dass es zu spät sein würde. Bryson beugte sich über mich, eine schattenhafte Gestalt, von der ich außer den Augen hinter der Maske nur wenig sah. Ich spuckte das Stroh aus und stotterte: »Der Anhänger ist …«

Bryson hielt mir den Mund zu.

Gardiner kam näher heran. »Was hat er gesagt?«

»Ich seh dich in der Hölle«, sagte Bryson.

»Dann lass ihn die Hölle sehen.« Gardiner sprang von seinem Pferd. Verunsichert starrte ich zu Bryson empor, begann stotternd zu reden, schwieg indes erneut, als Bryson ein Messer an das Seil hielt, mit dem meine Hände gefesselt waren, und es teilweise durchschnitt. Zu meinem vollkommenen Erstaunen steckte er das Messer in meinen Gürtel, als er mich vom Karren zog. Meine verwirrten Sinne kamen flüchtig zu dem Schluss, dass das eine weitere außergewöhnliche Folter war; sie planten irgendeinen Scherz mit mir, um das Vergnügen zu steigern, wie die Römer, die bewaffnete Gladiatoren gegen wilde Tiere kämpfen ließen. Meine Beine waren bereits wie tot, und ich taumelte und schwankte im Matsch, bis Bryson mich mit einem dicken Knüppel vorwärts stieß, mit dem normalerweise das Tor offen gehalten wurde. Gardiner zog seinen Stoßdegen und folgte uns, wobei er seine Maske fest ans Gesicht drückte.

Ich stolperte über die kreisrunden Furchen im Matsch, die von dem ständig wendenden Karren eingepflügt worden waren. Der Schlamm saugte an meinen Stiefeln und gab sie nur widerwillig wieder frei; er spritze hoch bis zu meinen Wangen und schien den allmählich heller werdenden Himmel zu beschmutzen. Der furchtbare Gestank war nicht so erstickend wie auf dem Karren, aber nur, weil er überlagert wurde von dem verstohlenen, Übelkeit erregenden süßlichen Kalkgeruch. Die beiden Männer, die mich antrieben, verfielen in Schweigen, bis ich stehen blieb und keinen Schritt weiterging. Keine der Zeichnungen, die ich je von der Hölle gesehen hatte, konnte an dieses Bild heranreichen. Sie waren Lügen, ein Maivergnügen aus tanzenden Teufeln und Jahrmarktsmonstrositäten. Besser in solchen Scheinfeuern zu brennen und zu schreien, als leblos in dieser Grube zu liegen. Man hatte einige Versuche unternommen, die Leichen mit Erde zu bedecken, doch nach dem letzten Regen hatte sich ein kalter, stinkender See gebildet, bedeckt mit dickem, kalkigem Schaum. Gelegentlich stieg eine Gasblase auf, durch die man hier die Knochen einer Hand, dort den starren Blick eines Kindes sah.

Ich wich zurück, stolperte gegen Bryson, der mich festhielt, stur und unbeteiligt wie ein Straßenkehrer, für den Moder und Dreck das täglich Brot waren. Gardiner schnippte mit seinem Degen in meine Richtung, doch der Gestank hielt ihn auf Abstand und ließ ihn die Maske vor die Nase pressen. »Ich sehe doch, dass deine Zunge sich lockert, Tom.« Ich sagte nichts, sondern zerrte am angeschnittenen Seil um meine Handgelenke, doch es riss nicht.

»Wo ist der Anhänger?«, blaffte er. »Bring ihn näher ran, Mr Bryson. Ich will sein Gedächtnis schärfen.«

Selbst Bryson schien unwillig. »Macht Ihr es, Captain. Euer Degen ist länger als mein Knüppel.«

Gardiner fluchte und stieß mich nach vorn. Fruchtlos zerrte ich an den Fesseln, glitt aus und fiel. Mit seinen Stiefeln schob Gardiner mich dichter an den Rand der Grube. »Wirst du es mir sagen? Ich schwöre dir, wenn nicht …«

Bryson hob den Knüppel über seinen Kopf und ließ ihn auf Gardiner niedersausen. Er hätte ihn bewusstlos geschlagen, doch der Biberhut dämpfte den Schlag. Mein Verstand war ebenso betäubt wie meine Beine, als seien beide gefesselt gewesen, und nur langsam kehrte das Gefühl in schmerzhaften Wellen zurück. Ich blickte zu Gardiner empor, der benommen über mir schwankte, dann ein Brüllen hören ließ und mit dem Stoßdegen auf Bryson losging. Bryson parierte den Schlag halb mit dem Knüppel, doch Gardiner entwaffnete ihn und riss ihm anschließend die Maske vom Gesicht. Es war Matthew.

Es schien ewig zu dauern, durch den Matsch zu rennen, der mich mit jedem Schritt aufzusaugen versuchte. Eine Ewigkeit lang schien Gardiner mit dem Schwert auszuholen, ehe ich sprang und ihn zu Boden riss. Sein Degen flog durch die Luft. Er befreite sich mit einer Rolle, sprang zu seinem Schwert und trat Matthew beiseite. Ich zerrte an dem Seil und rieb meine Haut wund, doch schließlich gab es nach. Ich riss Gardiner die Maske herunter und umklammerte seinen verletzen Arm, doch er benutzte seine Beine als Hebel und schüttelte mich ab. Er hob sein Schwert auf, während ich das Messer aus meinem Gürtel zog. Matthew lag regungslos am Boden.