Blut tropfte aus dem Riss in der Jacke über Gardiners linkem Arm. »Anhänger oder nicht«, sagte er. »Du wirst dort landen, wo er dich von Anfang an hätte reinschmeißen sollen …« Er trat nach Matthew, der stöhnend wieder zu sich kam. »Und wo er …«, er trat noch einmal zu, »… dir Gesellschaft leisten wird.«
Ich wusste nichts von den contra cavatione oder den ricavatione, den unterschiedlichen Finten und Täuschungen, die mich trotz all meiner instinktiven Reaktionen auf die wirbelnde, blitzende Klinge immer weiter zurück und an den Rand der Grube trieben, so sehr ich auch versuchte, es zu verhindern. Doch ich kannte die stoccata lunga, die Methode, die Spitze auf dem kürzesten und schnellsten Weg ins Herz zu stoßen. Zumindest hatte sich die Bewegungsabfolge in mein Gedächtnis eingegraben, mit der er Eaton getötet hatte. Die blitzende Klinge, die mir wie ein Dutzend Klingen erschien, schoss aus jedem möglichen Winkel auf mich zu und hypnotisierte mich, doch ich wusste, dass ich nicht auf die Klinge, sondern auf seine Beinarbeit achten musste. Wenn er den linken Fuß zurücksetzte und das rechte Knie anhob, würde er einen Ausfallschritt machen. Er hatte mich dort, wo er mich haben wollte, direkt am Rand. Der Gestank war überwältigend. Er setzte den linken Fuß zurück. Ich warf das Messer. Ich erwischte ihn in der Brust, seine Schritte wurden in eine andere Richtung gelenkt, ohne ihn indes aufzuhalten. Er prallte gegen mich und flog durch seinen eigenen Schwung in die Grube. Ich rutschte aus, schwankte am Rand, hielt verzweifelt das Gleichgewicht, bis Matthew mich packte und zurückzog.
Gardiners Schreie wurden vom kalkfarbenen Schleim erstickt, in den sich rote Blutfäden mischten und der schäumend Blasen warf, während er ihn nach unten zog, bis sich der Schaum neu zu formen begann und nichts von ihm übrig blieb als der Biberhut, der auf der Oberfläche trieb. Schaudernd wandte ich mich ab und konnte nicht aufhören zu zittern. Matthew hielt mich fest, wie er mich nicht mehr gehalten hatte, seit ich ein kleiner Junge war.
»Ich fand, es sei an der Zeit, mit dem Davonlaufen aufzuhören«, sagte er.
38. Kapitel
Matthew wollte die beiden Leichen, die mit mir gereist waren, in die Grube werfen, nicht nur, um sie loszuwerden, sondern weil drei eine Glückszahl sei. Doch davon wollte ich nichts wissen. So scheußlich sie auch aussehen mochten, sie waren meine Gefährten auf meiner, wie ich glaubte, letzten Reise gewesen, und sie hatten eine bessere Ruhestätte verdient.
»Du bist seltsam, Tom«, sagte er. »Das warst du schon immer, und ich glaube, du wirst es auch immer sein.«
Doch er ließ mir meinen Willen, und wir fanden eine Stelle unter einer Weide, von denen Matthew sagte, sie hätten einen freundlicheren Geist als die Eiben weiter flussaufwärts. Ich sagte ihm, da sei ich aber froh, denn ich wäre selbst gerne hier begraben, falls sich für mich keine Kirche finden ließe.
Er hielt beim Graben inne. »Was redest du da von deiner Beerdigung, Tom? Ich habe vor, auf jeden Fall als Erster zu gehen.«
»Warum?« Meine Stimme geriet ins Stocken. »Ich lag bei ihnen. Und sie sind an der Pest gestorben.«
»Ach.« Er grub ein Stück tiefer und sah mich forschend an. »Ist dir ein bisschen heiß?«
»Ja, genau!«
Er fühlte meine Stirn, meinen Puls und drückte dann meine Leiste. »Ist es hier empfindlich?«
Ich zuckte vor Schmerz zusammen. »Ja! Wie lange habe ich noch?«
»Ach Tom! Du wirst mich zuerst begraben.«
»Treib keine Spielchen mit mir. Sag mir die Wahrheit!«
Er hielt mich fest. »Du bist viel mutiger als ich. Und größer, und ein Soldat.«
»Das bedeutet nicht, dass ich weniger Angst habe.«
»Nein. Aber es sollte dir verraten, was das ist.« Er drehte den Leichnam mit dem opalisierenden Auge um.
»Eine Musketenwunde.«
»Und das?« Er deutete auf eine furchtbare Wunde, die den Kopf halb vom Körper getrennt hatte.
»Ein Säbelhieb! Es sind Soldaten – die an ihren Wunden gestorben sind.«
Er grinste. »Schlechtes Jahr für die Pest, das. Sie haben versucht, dir Angst einzujagen. Und, geht’s dir jetzt besser? Fieber gesunken?«
Besser? Wundersamerweise waren all meine Symptome verschwunden, und ich sagte Matthew, ich wünschte, seine Zauberkunst wäre ebenso effektiv wie seine rationalen Erklärungen. Ich hoffe, die armen Soldaten werden mir vergeben, aber ich tanzte um ihre Gräber herum und hatte das Gefühl, es mit der gesamten Streitmacht des Königs aufnehmen zu können. Zumindest war ich jetzt in der Lage, sie ehrerbietiger zu behandeln. Ich durchsuchte das zerschlissene Wams des einen und die Kniehosen des anderen nach irgendetwas, das sie identifiziert hätte, aber da war nichts. Also legten wir sie in ein unmarkiertes Grab, und ich sprach ein kurzes Gebet für sie und ihre Mütter und ihre Liebsten oder Frauen, die niemals wissen würden, ob sie lebten oder tot waren.
Schließlich gelangten wir zu einer Weggabelung. Matthew hob seine Peitsche und sagte, dieser Weg führe nach Highpoint, der andere nach London, und er würde letzteren empfehlen. Ich schüttelte den Kopf und deutete auf den ersten.
»Du wirst keinen Frieden bekommen, Tom«, sagte er leise.
»Ich habe dir gesagt, dass ich ihn seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben werde«, erklärte ich hitzig.
»Ach«, erwiderte er. »Tatsächlich?«
Mehr sagte er nicht, sondern trieb schnalzend das Pferd an und lenkte den Karren auf die Straße nach Highpoint.
Das Haus war wieder ruhig. Die Dienerschaft war da, zumindest sah ich ein Gesicht an einem Fenster, aber sie mussten mich vom Karren steigen gesehen haben, denn sie verschwanden erneut, wie sie es zuvor getan hatten. Die Türen zum Empfangszimmer, wo Eaton die Barrikade gebaut hatte, hingen wie trunken in den Angeln. Die aufgetürmten Möbel waren weggeräumt worden, und auf dem Boden war ein großer dunkler Fleck. Kein Zeichen von Kate. Ich erreichte Frances’ Schlafzimmer lange vor Matthew, hob den Deckel einer Eichentruhe an, zog eine Schublade heraus, schleuderte Colliers und Miederschmuck fort, als sei es Theaterplunder. Die Schublade sah vollkommen normal aus. Ich schüttelte sie. Kein verräterisches Klappern. Ich leerte die zweite Schublade. Wieder nichts.
»Du hast gelogen«, sagte ich zu Matthew, als er eintrat.
»Tom. Wann habe ich dich je belogen?«
»Du lügst vielleicht nicht, aber du sagst nie die Wahrheit.«
»Gemach, gemach. Sieh dich nur an. Du veränderst dich.«
Ich hielt das für einen weiteren seiner Witze, doch dann schaute ich in den Spiegel, zuckte zusammen und sah noch einmal hin. Fast meinte ich, Eaton, oder besser sein Geist, stünde hinter mir. Der Schwerthieb, den Gardiner mir versetzt hatte, hatte auf meiner Wange eine dunkelviolette Wunde hinterlassen, die mich von einem jugendlich-frischen Jungen in einen Mann verwandelt hatte. Auf dem Porträt konnte ich den Jungen sehen, der damals ins Rathaus gelaufen war, voller Träume, dass er eines Tages ein freier Mann sein und die Tochter seines Lehrherrn heiraten würde. Der Mann, der mir aus dem Spiegel entgegenstarrte, hatte ebenfalls Träume, doch in diese mischten sich erste Schatten aus Zurückhaltung und Verbitterung. Matthews Bild tauchte im Spiegel auf.