Lord Stonehouse’ Brief war kurz und kam gleich zur Sache. Er verlangte von seinem Verwalter zu hören, der, wie Eaton es nannte, so lange für ihn die Drecksarbeit erledigt hatte.
»Irgendeine Antwort?«, fragte der Gastwirt.
»Keine Antwort«, sagte ich.
Ich übernachtete in der Herberge und brach in der Morgendämmerung auf. Es war der 23. Oktober. Es regnete den ganzen Tag nicht, was ungewöhnlich für diesen Herbst war, und die Sonne ging an einem wolkenlosen Himmel auf. Lord Stonehouse’ Brief war von einem Herrenhaus in Chadshunt abgeschickt worden, zwei Stunden zu Pferd entfernt. Daraus schloss ich, dass alle Stonehouses an diesem Tag in Warwickshire sein würden. Es rührte mich, dass beide Brüder, obwohl sie auf der anderen Seite als ihr Vater standen, ihm geschrieben hatten. Richard war bei Prinz Ruperts Kavallerie, und Edward diente als Kaplan bei der königlichen Infanterie.
In Chadshunt erfuhr ich, dass Lord Stonehouse im nahegelegenen Dorf Kineton in der Kirche war. Der Gottesdienst war fast vorbei. Statt hineinzugehen, betete ich draußen zu Gott, mich zu lenken bei dem, was ich entdeckt hatte, und bei dem, was ich zu Lord Stonehouse sagen sollte. Ich wartete direkt im überdachten Friedhofstor. Während ich betete, wurde der Weg draußen so belebt wie der Friedhof von St. Paul’s, ebenso viele Menschen wollten in die eine wie in die andere Richtung gelangen, und ein Priester in seiner schwarzen Robe versuchte, sein Pferd zwischen den Menschen hindurchzuzwingen. Es gab sogar Hausierer, die Schutzamulette verkauften. Einer hielt mir die zerfledderten Überreste einer Taschenbibel entgegen und behauptete, sie habe eine Musketenkugel aufgehalten und verfüge über besondere Kräfte. Für einen Shilling würde sie mein Leben retten. Ich zog ihn zurück, damit das Pferd des Pfarrers passieren konnte, und starrte unversehens Edward Stonehouse in die Augen. Einen Moment wirkten sie fremd, diese trockenen blinzelnden Augen, die normalerweise hinter den Augengläsern verborgen waren. Jetzt waren sie von dutzenden Falten umgeben, weil er permanent die Augen zusammenkniff, um etwas erkennen zu können. Die beiden Armeen waren in weniger als zwei Meilen Entfernung in Stellung gegangen, und selbst ein Mann mit scharfen Augen konnte sich plötzlich auf der falschen Seite wiederfinden, ganz zu schweigen von jemandem, der nur verschwommen sah.
Edward schielte zu mir hinunter. Augenblicklich wich die Farbe aus seinen Wangen. Er stieß ein entsetztes Gebrabbel aus, sagte, das Pestkind sei um seinetwillen aus der Grube gestiegen, und gab seinem Pferd die Sporen.
Ich sprang vor, rief, dass ich mit ihm reden müsse, und erwischte fast seine Zügel. Doch ich wurde auf der einen Seite vom Hausierer behindert, der sagte, ich wolle doch gewiss mein Leben für einen Shilling retten, und auf der anderen von Händen, die auf meine Schultern klopften und mich mit festem Griff packten.
»Die Narbe gefällt mir«, sagte Luke.
»Da wird den Cavalieren angst und bange«, sagte Will.
Begeistert fielen sie über mich her, und Will forderte auf der Stelle die halbe Krone, um die er gewettet hatte, dass ich bei der Schlacht dabei sein würde, während Luke abstritt, dass es überhaupt zu einem Kampf kommen würde.
»Essex wird sich aus dem Staub machen, wie er es zuvor schon getan hat.«
Inzwischen war Edward längst verschwunden, und ich stellte fest, dass ich Lord Stonehouse schon wieder verpasst hatte. Luke fand heraus, dass er zusammen mit Essex aufgebrochen war, und versprach mir zu zeigen, wo ich ihn finden würde. Doch als ich Patch zu ihrem Lager führte, kam der Befehl, dieses abzubrechen.
Es gab eine Rinne, die als Abort diente, doch die war so verstopft und faulig, dass die Männer hinschissen, wo sie gerade gingen und standen. Tausende Männer verteilten sich über Felder und kleine Weiler und hatten Mühe, ihre Tornister zu packen und ihre Waffen zu prüfen – oder zu finden, denn Diebstähle waren an der Tagesordnung. Sie waren beladen wie Packpferde, mit Topfhelm und Brustharnisch, den indes viele ablegten, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Musketiere trugen nicht nur ihre sperrigen Waffen, sondern auch Musketenstützen und Pulverhörner um den Hals. Diese hüpften und klapperten im Wind, als ich eine vertraute Gestalt sah, deren Kopf und Schultern alle anderen überragte und die gerade ihren Spieß hob.
Ich kann nicht behaupten, dass ich Big Jed umarmte, denn meine Arme schafften es nicht, seinen Leib zu umschließen, aber er drückte jedes Fitzelchen Luft aus mir heraus und hob mich halb vom Boden hoch.
»Ich habe etwas für dich«, sagte er. »Ein Kurier erreichte uns, kurz nachdem wir Highpoint verlassen hatten.«
Er zog einen Brief aus seinem Tornister. Er sah aus, als wäre er von einem Ort zum anderen gereist, um die Einheit zu erreichen. Fettflecken von einem Stück Käse hatten beinahe meinen Namen verschmiert, doch mein Herz klopfte schmerzhaft, als ich die kindliche Handschrift erkannte und das erbrach, was vom Siegel übrig geblieben war. Ich empfand eine Woge aus Freude und Schuldgefühlen, dass Anne, die sich gewissenhaft bemüht hatte, in diesem Sommer schreiben zu lernen, einen Brief zustande gebracht hatte, während ich, dem das Schreiben so leicht fiel, es nicht einmal versucht hatte. Der Brief war kurz.Ich hätte mehr geschrieben, aber das ist mein Erster Brihf & der Kurier wartet, um nach Warre zu reiten. Ich Hoffe, du denkst an mich so Wie Ich an Dich und nicht an deine Countess.
Meine Countess? Was um Himmels willen meinte sie damit?Ich kann dein Gedicht jetz auswändig & kann es lehsen. Ich bete für dich jeden Tach & Gott schickt dich zurück zu deiner liebenden Anne, Amen.
Ich las ihn, küsste ihn, faltete ihn zusammen, um ihn in mein Wams zu stecken, faltete ihn auseinander, las ihn erneut, um mich zu vergewissern, dass die Worte noch dort waren. Das wiederholte ich mehrere Male, bis ich merkte, dass Luke mich grinsend beobachtete. Ich stopfte den Brief schließlich in mein Wams, woraufhin Luke seines öffnete, um mir seinen Brief von Charity zu zeigen.
»Der Krieg macht aus den Frauen Dichterinnen«, sagte er.
Das Feld, das zuvor gedrängt voll gewesen war, war nun zur Hälfe leer. Ich hielt nach Patch Ausschau, aber sie war nirgendwo zu sehen. Niemand hatte sie weglaufen sehen. Sie war mehr als nur ein Pferd für mich geworden; seit wir London verlassen hatten, hatten wir alles geteilt; sie war London. Die Männer sahen mich gleichgültig an, als ich umherrannte und nach ihr rief.
»Wahrscheinlich ist sie requiriert worden«, sagte Will. »Such dir stattdessen lieber ein Mädchen.«
»Ich will kein verdammtes Mädchen«, schrie ich ihn an. »Ich will mein Pferd.«
»Du bist ein Fußsoldat, kein Kavallerist.«
»Ich muss Lord Stonehouse finden.«
»Hier«, sagte Jed und drückte mir einen Spieß, der fast dreimal so lang war wie ich, in die Hand. »Den habe ich gerade requiriert.«
Gegen Mittag fand Edward Stonehouse endlich den Weg zur königlichen Streitmacht auf einer Anhöhe, von der aus man das fruchtbarste Land von ganz England überblickte, einen Steilhang, der in der Gegend als Edgehill bekannt war. Erst jetzt, beim Anblick seines Königs, wurde er ruhiger. Die scharlachrote Standarte flatterte im Wind, schwarze Harnische glänzten, während Charles mit den Offizieren und Peers durch seine Truppen ritt. Er hat sich stets als Kriegerprinz dargestellt, aber seit dem Rosenkrieg vor beinahe zwei Jahrhunderten hatten Engländer auf englischem Boden nicht mehr gegeneinander gekämpft. Kriege fanden anderswo statt, in Europa, Irland oder Schottland. In diesem Jahrhundert hatte auf diesen grünen Feldern, die sich quer über das ganze Land erstreckten, Frieden geherrscht, lediglich unterbrochen durch sporadische Hungerrevolten. Unter Henry III. hatten alle Peers an Kriegen außerhalb des Landes teilgenommen. Von den Peers, die sich dicht an Charles drängten, um zu verstehen, was er sagte, teilten nur fünf diese Erfahrung. Wie ihr König hatten die meisten immer noch das Gefühl, einer Maskerade beizuwohnen. Doch als Charles fortfuhr und dabei auf viele seiner üblichen blumigen Ausdrücke verzichtete, gewann seine Stimme eine neue Stärke und bekam einen drängenden Unterton.