Выбрать главу

Mehrmals versuchte ich, ihn versöhnlicher zu stimmen oder ihm neue Vorschläge zu machen, doch war nichts mit ihm anzufangen. Er begann sogar bissig zu werden, meine Freundschaft mit dem Krüppel zu verhöhnen und diesem selbst das Leben sauer zu machen. Freilich war der Kranke samt mir, der ich täglich viel bei ihm saß, dem ohnehin engen Haushalt eine lästige Bürde, aber ich hoffte noch immer, der Schreiner möchte sich uns anschließen und den Kranken liebgewinnen. Mir war es schließlich unmöglich, irgend etwas zu tun oder zu lassen, womit ich nicht entweder den Schreiner verletzt oder Boppi benachteiligt hätte. Da ich alle raschen und zwingenden Entschlüsse hasse–schon in der Züricher Zeit hatte Richard mich Petrus Cunctator getauft –, wartete ich wochenlang zu und litt beständig an der Furcht, die Freundschaft der einen oder vielleicht beider zu verlieren.

Die wachsende Unbehaglichkeit dieser unklaren Verhältnisse trieb mich wieder häufiger in die Kneipen. Eines Abends, nachdem die leidige Geschichte mich wieder besonders geärgert hatte, verfügte ich mich in eine kleine Waadtländer Weinschenke und rückte dem Übel mit mehreren Litern zu Leibe. Zum erstenmal seit zwei Jahren hatte ich wieder einmal Mühe, aufrecht nach Hause zu gehen. Tags darauf war ich, wie stets nadi einer starken Zeche, bei wohlig kühler Laune, faßte Mut und suchte den Schreiner auf, um die Komödie endlich zum Abschluß zu bringen. Ich schlug ihm vor, er möge mir Boppi ganz überlassen, und er zeigte sich nicht abgeneigt, sagte auch nach mehrtägiger Bedenkzeit wirklich zu.

Bald darauf bezog ich mit meinem armen Buckligen eine neugemietete Wohnung. Ich kam mir vor, als hätte ich geheiratet, da ich nun statt der gewohnten Junggesellenbude einen ordentlichen kleinen Haushalt zu zweien beginnen sollte. Aber es ging, wenn ich auch im Anfang manche unglücklichen Wirtschaftsexperimente anstellte. Zum Ordnungmachen und Waschen kam ein Laufmädchen, das Essen ließen wir uns ins Haus tragen, und bald war uns beiden ganz warm und wohl bei diesem Zusammenleben. Die Nötigung, auf meine sorglosen kleinen und größern Wanderungen künftig zu verzichten, erschreckte mich einstweilen nicht. Beim Arbeiten empfand ich sogar das stille Nahesein des Freundes beruhigend und förderlich. Die kleinen Krankendienste waren mir neu und im Anfang wenig erquicklich, namentlich das Aus- und Ankleiden; aber mein Freund war so geduldig und dankbar, daß ich mich schämte und mir Mühe gab, ihn sorgfältig zu bedienen.

Zu meinem Professor war ich wenig mehr gekommen, öfters zu Elisabeth, deren Haus mich trotz allem mit stetigem Zauber anzog. Dort saß ich dann, trank Tee oder ein Glas Wein, sah sie die Wirtin spielen und hatte zuweilen sentimentale Anwandlungen dabei, obwohl ich gegen alle etwaigen Wertherischen Gefühle in mir mit beständigem Spott zu Felde lag. Der weichliche, jugendliche Liebesegoismus war allerdings endgültig von mir gewichen. So war ein zierlicher, vertraulicher Kriegszustand zwischen uns das richtige Verhältnis, und wir kamen wirklich selten zusammen, ohne uns freundschaftlichst zu zanken. Der bewegliche und nach Frauenart etwas verzogene Verstand der klugen Frau traf mit meinem zugleich verliebten und ruppigen Wesen nicht übel zusammen, und da wir im Grunde beide einander hochachteten, konnten wir desto energischer über jede lausige Kleinigkeit in Kampf geraten. Mir war es namentlich komisch, das Junggesellentum gegen sie zu verteidigen – gegen die Frau, die ich noch vor kurzem ums Leben gern geheiratet hätte. Ich durfte sie sogar mit ihrem Mann necken, der ein guter Bursche und stolz auf seine geistreiche Frau war.

In der Stille brannte die alte Liebe in mir fort, nur war es nicht mehr das frühere anspruchsvolle Feuerwerk, sondern eine gute und dauerhafte Glut, die das Herz jung hält und an der sich ein hoffnungsloser Hagestolz gelegentlich an Winterabenden die Finger wärmen darf. Seit vollends Boppi mir nahestand und mich mit dem wundervollen Wissen um ein beständiges, ehrliches Geliebtsein umgab, konnte ich meine Liebe ohne Gefahr als ein Stück Jugend und Poesie in mir leben lassen.

Übrigens gab mir Elisabeth je und je durch ihre recht frauenhaften Malicen Gelegenheit, mich abzukühlen und mich meines Junggesellentums herzlich zu freuen.

Seit der arme Boppi meine Wohnung teilte, vernachlässigte ich auch Elisabeths Haus mehr und mehr. Mit Boppi las ich Bücher, blätterte Reisealbums und Tagebücher durch, spielte Domino; wir schafften zu unserer Erheiterung einen Pudel an, beobachteten den Winterbeginn vom Fenster aus und führten täglich eine Menge kluger und dummer Gespräche. Der Kranke hatte sich eine überlegene Weltanschauung erworben, eine von gütigem Humor erwärmte sachliche Betrachtung des Lebens, von der ich täglich zu lernen hatte. Als starke Schneefälle eintraten und der Winter vor den Fenstern seine reinliche Schönheit entfaltete, spannen wir uns mit knabenhafter Wollust beim Ofen in ein heimeliges Stubenidyll ein. Die Kunst der Menschenkenntnis, nach der ich mir so lang umsonst die Sohlen abgelaufen hatte, lernte ich bei dieser Gelegenheit so nebenher mit. Boppi stak nämlich, als stiller und scharfer Zuschauer, voll von Bildern aus dem Leben seiner früheren Umgebungen und konnte, wenn er einmal angesetzt hatte, wundervoll erzählen. Der Krüppel hatte in seinem Leben kaum mehr als drei Dutzend Menschen kennengelernt und war nie im großen Strome mitgeschwommen, trotzdem kannte er das Leben viel besser als ich, denn er war gewohnt, auch das Kleinste zu sehen und in jedem Menschen eine Quelle von Erlebnissen, Freude und Erkenntnis zu finden.

Unser Lieblingsvergnügen war nach wie vor die Freude an der Tierwelt. Über die Tiere des Zoologischen Gartens, die wir nicht mehr besuchen konnten, erfanden wir nun Geschichten und Fabeln aller Art. Die meisten davon erzählten wir nicht, sondern trugen sie aus dem Stegreif als Dialoge vor. Zum Beispiel eine Liebeserklärung zwischen zwei Papageien, Familienzerwürfnisse unter den Bisons, Abendunterhaltungen der Wildschweine.

»Wie geht's Ihnen denn, Herr Marder?«

»Danke schön, Herr Fuchs, so leidlich. Sie wissen ja, als ich gefangen ward, verlor ich meine liebe Gattin, Sie hieß Pinselschwanz, wie ich schon die Ehre hatte Ihnen zu sagen. Eine Perle, versichere ich Ihnen, eine – «

»Ach lassen Sie doch die alten Geschichten, Herr Nachbar, Sie haben mir das von der Perle, wenn ich nicht irre, schon öfters erzählt. Lieber Gott, man lebt schließlich nur einmal und darf sich das bißchen Vergnügen nicht noch verderben.«

»Bitte sehr, Herr Fuchs, wenn Sie meine Gemahlin gekannt hätten, würden Sie mich besser verstehen.«

»Aber gewiß, gewiß. Also sie hieß Pinselschwanz, nicht wahr? Ein schöner Name, so was zum Streicheln! Aber was ich eigentlich sagen wollte – Sie haben doch bemerkt, wie sehr die leidige Sperlingsplage wieder zunimmt? Ich habe da so einen kleinen Plan.«

»Wegen der Sperlinge?«

»Wegen der Sperlinge. Sehen Sie, ich dachte mir das so: wir legen etwas Brot vors Gitter, legen uns ruhig hin und warten die Kerls ab. Es müßte des Teufels sein, wenn wir nicht so ein Vieh erwischen könnten. Was meinen Sie?«

»Vortrefflich, Herr Nachbar.«

»Also haben Sie die Güte, etwas Brot hinzulegen. – So, schön! Aber vielleicht schieben Sie es etwas mehr nach rechts herüber, dann kommt es uns beiden zugut. Ich bin nämlich im Augenblick leider ohne alle Mittel. So ist's gut. Also aufgepaßt! Wir legen uns jetzt nieder, schließen die Augen – pst, da kommt schon einer geflogen!« (Pause.)

»Nun, Herr Fuchs, noch nichts?«

»Wie ungeduldig Sie sind! Als ob Sie zum erstenmal auf der Jagd wären! Ein Jäger muß warten können, warten und wieder warten. Also noch einmal!«

»Ja, wo ist denn das Brot hingekommen?«

»Pardon?«

»Das Brot ist ja gar nimmer da.«

»Nicht möglich! Das Brot? Wahrhaftig – verschwunden! Da soll doch das Donnerwetter! Natürlich wieder der verdammte Wind.«

»Na, ich habe so meine Gedanken. Mir war doch vorher, ich hörte Sie was essen.«

»Was? Ich etwas gegessen? Was denn?«

»Das Brot vermutlich.«

»Sie sind beleidigend deutlich in Ihren Vermutungen, Herr Marder. Man muß ja von Nachbarsleuten ein Wort vertragen können, aber das ist zu viel. Das ist zu viel, sage ich. Haben Sie mich verstanden? – Nun soll ich das Brot gegessen haben! Was glauben Sie eigentlich? Erst soll ich die fade Geschichte von Ihrer Perle zum tausendstenmal anhören, dann habe ich eine gute Idee, wir legen das Brot hinaus –«

»Das war ich! Ich habe das Brot hergegeben.«

»– wir legen das Brot hinaus, ich lege mich hin und passe auf, alles geht gut, da kommen Sie mit Ihrem Geschwätz dazwischen – die Spatzen natürlich auf und davon, die Jagd verhunzt, und nun soll ich auch noch das Brot gefressen haben! Na, Sie können warten, bis ich wieder mit Ihnen verkehre.«

Dabei gingen Nachmittage und Abende leicht und schnell vorüber. Ich war bester Laune, arbeitete gern und rasch und wunderte mich, daß ich früher so träg und verdrossen und schwerlebig gewesen war. Die besten Zeiten mit Richard waren nicht schöner gewesen als diese stillen, heiteren Tage, da draußen die Flocken tanzten und am Ofen wir zwei samt dem Pudel es uns wohl sein ließen.

Und da mußte mein lieber Boppi seine erste und letzte Dummheit begehen! Ich in meiner Zufriedenheit war natürlich blind und sah nicht, daß er mehr litt als sonst. Aber er, aus lauter Bescheidenheit und Liebe, tat vergnügter als je, klagte nicht, verbot mir nicht einmal das Rauchen, und dann lag er nachts und litt und hustete und stöhnte leis. Ganz zufällig, als ich einmal in der Stube neben ihm in die Nacht hinein schrieb und er mich längst zu Bett glaubte, hörte ich, wie er stöhnte. Der arme Kerl war ganz erschrocken und verdonnert, als ich plötzlich mit der Lampe in seine Schlafkammer trat. Ich stellte das Licht beiseite, setzte mich zu ihm aufs Bett und stellte ein Verhör an. Lange versuchte er auszukneifen, dann kam es endlich doch heraus.