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Plötzlich tönte ein Freudenschrei aus der Äthiopier Mitte.

Der Durchgang war frei! Der bisher von der Masse der Schlingpflanzen zurückgehaltene Strom brach gurgelnd in den Kanal, den die Äxte der Männer leergeräumt hatten. Das Schiff begann sich zu bewegen und glitt rauschend voran.

»Die Segel gehißt«, kommandierte Ata, der sofort ans Steuerruder geeilt war. »Der Wind weht von Süden. Isis hat die Bitte der Zauberin erhört!«

Es schien in der Tat, als ob die Göttin ihnen günstig gesinnt war. Die Feuerbündel wurden spärlicher, ebenso die flammenden Pfeile, welche die Vogelschar führten. Der Brennstoff, den die Vögel trugen, verbreitete zwar noch immer ringsum ein bläuliches Licht, ähnlich flüssigem Schwefel. Fiel eine Anzahl Tauben, von der Feuermasse ergriffen, ins Wasser, so hörte der Stoff nicht auf zu brennen; er knisterte zwischen den Papyrusstauden und Lotosblumen. Endlich aber flog mit schwindelnder Schnelligkeit der Vogelschwarm an der Hinterseite des Seglers vorbei dem entgegengesetzten Ufer zu. Es war ein phantastisches Bild inmitten der Dunkelheit.

Nefer hatte ihren Platz am Schiffsrand nicht verlassen, obgleich mehrfach Vögel um sie herum in die Tiefe glitten. Aufrecht stehend, mit zur Beschwörung erhobenem Arm, hatte sie der drohenden Gefahr getrotzt. »O Isis, erhabene Göttin, schütze den jugendlichen Sonnensohn!« wiederholte sie immer wieder. Erst als die Flammen sich drüben jenseits des Waldes verloren hatten, wandte sie sich zu Mirinri um. »Du bist gerettet«, sagte sie.

»Was für eine übernatürliche Macht besitzt du?« fragte dieser. »Ich bemerke in deinen Augen ein Feuer, das die Pharaonentochter nicht hatte.«

Nefer zuckte zusammen. Ein schmerzlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Sie fragte: »Von welcher Pharaonentochter sprichst du?«

»Von derselben, der du die Zukunft prophezeit hast.«

»Kennst du sie denn?«

»Ich habe sie vom Tod errettet.«

»Wie du mich gerettet hast!« sprach sie leise. »Aber sie hat dir dafür das Herz gestohlen.«

»Woher weißt du das?«

Da unterbrach Ata ihr Gespräch: »Die Bastanbeter scheinen uns nicht mehr zu behelligen. Natürlich müssen wir aber weiterhin die größte Vorsicht walten lassen, sonst läßt uns König Pepi verhaften, noch ehe wir die Obelisken von Memphis gesehen haben. Ich bin jetzt sicher, daß man schon weiß, daß mein Schiff den Sohn des großen Teti birgt.«

Der Tempel der nubischen Könige

Das Schiff fuhr mit geblähten Segeln an dem von Lotosblumen umrandeten Gestade entlang. Mirinri saß auf dem Achterdeck und hing seinen Traumgebilden nach. Er fühlte nach den Gemütsbewegungen dieser Nacht nicht die geringste Müdigkeit.

Die Zauberin hatte sich auf einer Decke aus Papyrusfasern dicht neben Mirinri niedergelassen. Sie forschte aufmerksam in seinen Zügen. Aber von Zeit zu Zeit erhob sie den schönen Kopf und lauschte, wie eine Löwin auf der Lauer. Auf ihrer Stirn lag ein Schatten.

Mirinri schien die Nähe des Mädchens nicht zu bemerken, obgleich sie ihn fest ansah.

Die langen Wimpel knatterten im Wind, sie stießen gegen den Mastbaum, und die Taue gaben sonderbare Töne von sich. Einige in Papyrussträuchern schlafende Ibisse flogen hin und wieder auf, streiften das Wasser und gaben einen Schrei von sich, wenn sie unter den Palmen am Ufer dunkle Schatten bemerkten.

An Bord war es still. Die Äthiopier an der Schiffswand rührten sich nicht. Unis und Ata saßen am Vorderdeck, ohne ein Wort zu sprechen. Ersterer verfolgte den Kometen, der eben hinter hohen Bäumen verschwand.

Plötzlich ermannte sich Mirinri von seinen Träumen. Jetzt erst sah er das Mädchen. »Was machst du hier, Nefer? Warum gehst du nicht zur Ruhe?«

»Der Sonnensohn schläft auch nicht«, antwortete Nefer.

»Ich bin ein Mann und bin an Nachtwachen gewöhnt.«

»Und ich muß das Erscheinen der Sonne abwarten, um dir eine gute oder schlimme Zukunft zu weissagen, Herr. Der erste Sonnenstrahl wird es verkünden. Er soll mich erleuchten!«

Eine kurze Pause entstand, dann nahm Mirinri das Gespräch wieder auf. »Jetzt mußt du aber sagen, wer du bist und woher du kommst. Warum wollten dich die Bastanbeter blenden? Was für ein unheimliches Schicksal hast du?«

Die Zauberin sah ihn schweigend, mit einer gewissen Angst im Blick an, was dem jungen Pharao nicht entging.

»Sieh, wir wissen doch nicht, ob du eine Feindin oder eine Freundin von uns bist«, fuhr er fort.

»Ich deine Feindin? Kann ich das sein, nachdem du mich meinen Verfolgern entrissen hast?«

Sie erhob sich und beobachtete zuerst die Sterne. Dann zeigte sie mit der Rechten nach Süden und sagte: »Dort unten bin ich geboren, in Nubien, wo die großen Flüsse sich in den majestätischen Nil ergießen. Mein Vater war – wenn auch nicht von göttlicher Abstammung wie der deine – so doch ein großer Häuptling. Meine Mutter war eine Priesterin des Kintar-Tempels. Von meiner Kindheit weiß ich nicht mehr viel. Ich erinnere mich unbestimmt goldstrotzender Paläste, großer Tempel und hoher Obelisken. Ich erinnere mich an Krieger, schwarz wie Ebenholz, die mit Steinbeilen und Bogen bewaffnet waren und meinem Vater wie Sklaven gehorchten. Mir ist's, als ob ich ein glückliches Kind gewesen wäre. Ich badete im großen Fluß und befuhr ihn mit vergoldeten Barken. Frauen bedienten mich kniend und spielten Instrumente. Da kam ein trauriger Tag, der mir alles nahm. Ein aus Unterägypten kommendes Heer drang in Nubien ein und verwüstete unser Land. Es waren Pepis Soldaten!«

»Des Usurpators Krieger?« rief Mirinri atemlos. »Kennst du ihn selber? Weißt du von seiner Schuld? Daß er meinem Vater und mir den Thron geraubt hat?«

»Ja. Man raunte sich zu, daß seines Vorgängers Sohn noch lebe, daß er von einer unbekannten Hand geraubt worden wäre, aus Furcht, daß König Pepi ihn tötete.«

»Fahre fort mit deiner Geschichte!«

»Mein Vater wurde bei der Verteidigung seines Landes getötet, und der von Wunden bedeckte Körper wurde den Krokodilen vorgeworfen. Nachdem man die Ortschaften ringsum in Brand gesetzt hatte, wurden die Frauen und Kinder als Sklaven nach Memphis geschleppt.«

»Auch du?«

»Ja, Herr! Als aber meine Mutter, geschwächt durch die Anstrengungen und das ungeheure Leid, gestorben war, entfloh ich meinen Peinigern auf einer Barke, die den Nil hinauffuhr. Seitdem lebe ich von dem, was mir die Wahrsagekunst und das Spiel auf der Harfe einbringen.«

»Was ist der Grund, warum man dich verfolgt? Warum wollte man dich blenden?« fragte jetzt Unis, der sich lautlos genähert und den Worten des Mädchens gelauscht hatte. »Du bist uns noch die Antwort schuldig geblieben!«

»Man hatte die Absicht, ebenso grausam an mir zu handeln, wie an jenem Mann gehandelt worden war, der mir zuliebe ein großes Opfer brachte.«

»Wer war das?«

»Ein kühner Jüngling, ein Schiffer, dessen ich mich zur Ausführung eines bestimmten Planes bedienen wollte. Oft hat er mir, wenn wir uns am Strand zusammenfanden, von einem wunderbaren, auf einer Insel inmitten eines dichten Waldes gelegenen Tempel gesprochen, der die Schätze der alten nubischen Könige enthalten sollte. Dieser Reichtümer wollte ich mich mit seiner Hilfe bemächtigen, um Sklaven zu bewaffnen und mich wieder in den Besitz der Gebiete zu setzen, die meinem Vater gehörten. Man sagte jedoch, daß keiner von jener Insel je zurückgekehrt wäre ... Obgleich ich einer höheren Kaste angehöre, versprach ich dem Jüngling meine Hand, wenn er das Wagnis unternehmen würde.

Er segelte mit seiner eigenen Barke dorthin, begegnete in dem dichten Wald weder Menschen noch Tieren und stand plötzlich vor einem großen Tempel, dessen Pforte geöffnet war. Ein Dämmerlicht herrschte darin. Aus unsichtbaren Spalten drangen Rauchwolken, die Wohlgerüche verbreiteten. Der Fußboden war mit schwarzen und weißen Steinchen ausgelegt, die Lotosblumen und Ibisse mit ausgebreiteten Flügeln darstellten ...«