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Nefer zuckte zusammen, ihre goldenen Knöchelreifen klirrten. »Was ist dir?« fragte Mirinri.

»Es war mir soeben, als ob mich der schwarze Todesflügel gestreift hätte.«

»Warum bist du so traurig geworden?«

»Bist du fröhlich, Herr? ... Willst du, daß ich dich belustige? Ich kann singen, spielen, tanzen. In meiner Kabine hängt ein Instrument, mit dem ich meinen Gesang begleiten werde. Musik verjagt allen Kummer. Sieh, der Nil fängt an zu steigen. Ich werde sein segenreiches, aus den geheimnisvollen Seen Nubiens kommendes Wasser besingen!«

Nefer holte eine kleine Harfe, die aus einem halbkreisförmig gebogenen, mit vier Saiten versehenen Stab bestand. Dann begab sie sich zum Vorderdeck auf einen Platz, auf den die Sonne niederbrannte, schaute eine Weile auf die lichtdurchtränkten Fluten und begann mit frischer, melodischer Stimme den Hymnus auf den Nil.

»Sei gegrüßt, o Nil, der du dich als Friedensspender offenbart hast! Der gekommen ist, Ägypten Leben zu verleihen! Großer Osiris, der die Tageshelle mit der Finsternis wechselt! Der du die Wiesen bewässerst, welche die Sonne geschaffen hat, um dem Vieh Leben zu verleihen!

Der du tränkst die Erde allerorten! Der du von dem Himmel auf die Felder niedersteigst, o Freund des Volkes, um jedes Haus zu erhellen!

Herr der Fische! Als du wieder auf die überschwemmte Erde stiegst, suchte kein Vogel mehr die Felder heim! Schöpfer des Getreides, Beschützer der Gerste! Du bist der Wohltäter Millionen Unglücklicher, denn du läßt ihre Arme ausruhen von der schweren Arbeit. Du, der die Zeit verewigt!«

Die klare Stimme der Zauberin, die sich mit geschickter Hand auf der Harfe begleitete, klang weithin über die rauschenden Fluten.

Nefer war mit ihren langen Haaren, die sich gelöst hatten und ihr über die Schultern fielen, so schön, daß sie die ganze Schiffsmannschaft bezauberte. Sie erschien wie eine Gottheit des Nils. Auch Unis und Ata konnten die Blicke nicht von ihr wenden. Nur Mirinri war wieder einmal in Träumereien versunken, und so gelang es der Sängerin nicht, auch sein Herz zu rühren.

Bei den letzten Tönen hatte sich Nefer langsam zu ihm gewandt. Als sie ihn, in Gedanken verloren, sitzen sah, kam ein schluchzender Laut von ihren Lippen, und ihre Augen verdunkelten sich. Sie ließ enttäuscht das Instrument fallen, raffte schnell ihre aufgelösten Haare zusammen und begab sich zum Hinterdeck, wobei sie im Vorübergehen Mirinri mit den Kleidern streifte.

Er bewegte sich nicht. Er schien nicht einmal bemerkt zu haben, daß das Lied zu Ende war.

Ihr Benehmen war Unis aufgefallen. Er flüsterte Ata zu: »Mir scheint, sie ist verliebt in ihn!«

»Wie darf eine Zauberin es wagen, einen Sonnensohn zu lieben?« gab dieser zurück.

»Ich würde froh sein«, sagte Unis lächelnd, »wenn es diesem Mädchen gelänge, Mirinris Herz zu ändern. Wie gern möchte ich die Erinnerung an die Prinzessin aus seiner Seele verdrängen!«

»Und du glaubst, daß Nefers Reize dies erreichen könnten?«

»Sie ist schön, nur wenige werden ihr widerstehen. Auch wäre es nicht das erste Mal, daß Pharaonen und nubische Fürsten verwandt werden.«

»Also glaubst du ihrer Erzählung?«

»Allerdings. Du weißt, eine Tochter aus unserm Volk hätte kein so feingeschnittenes Profil, keinen so schlanken Körper. Sieh dir die Hände und Füße an, wie klein sie sind! Sie muß fürstliches Blut in ihren Adern haben.«

»Und du würdest wirklich zugeben, daß Mirinri sie liebte?«

»Sogar noch mehr: Ich würde ihre Liebe unterstützen. In diesem Mädchen sehe ich keine Gefahr, wohl aber in der Prinzessin. Diese könnte durch die Liebe unsern Plan durchkreuzen und Pepi meiner Rache entziehen!«

Unis' Gesicht hatte sich bei den letzten Worten verändert. Seine Augen sprühten Flammen.

»Du wirst niemals verzeihen«, sagte Ata bei seinem Anblick.

»Niemals! Die siebzehn Jahre, die ich als Einsiedler in der Wüste zubrachte, haben meinen Haß noch vermehrt.«

»Die alten Freunde Tetis des Großen harren auf den Moment, dem neuen König ihre Huldigung darzubringen!« sprach Ata ehrerbietig.

Hochwasser im Nil

Nachdem die erste Flut des anschwellenden Nils Atas Schiff breit und schäumend umrauscht hatte, wallte sie zwischen den Ufern langsam weiter. Während das Wasser früher hell war, wurde es jetzt grünlich und trübe. In wenigen Tagen mußte es sich noch weiter verfärben.

Bei dem ersten Stoß gegen den Segler hatte sich Mirinri erhoben.

»Ah, das Hochwasser, das Nefer ankündigte!« rief er. »Wird es uns schneller nach Memphis führen, Unis?«

»Du kannst wohl den Anblick der großen Stadt schon nicht mehr erwarten?« fragte dieser lächelnd.

»Sag, Unis, was hab' ich denn bisher gesehen? Sand und Pyramiden, Palmen und Krokodile – nichts weiter!«

»Geduld, mein Sohn.«

Nefer hatte sich schweigend genähert.

»Warum hast du nicht weiter gesungen?« fragte sie der Priester. Sie senkte den schönen Kopf und lächelte traurig. »Meine Stimme erfreut den Sonnensohn nicht.«

Mirinri schien ihre Antwort nicht gehört zu haben. Er schaute aufmerksam zum Ufer hinüber, wo sich einige jener einfachen Maschinen befanden, die das Wasser heben und über die höhergelegenen Gebiete ausbreiten sollten. Sie wurden von einem einzigen Mann bedient. Nicht weit davon sah man etliche zur Tränke geführte Rinder. Aber nicht dies zog des Jünglings Aufmerksamkeit an, sondern ein großes Reptil, das seinen häßlichen Kopf emporstreckte. Es war wohl sechs Meter lang. Ruhig glitt es zwischen den Papyruspflanzen und breiten Lotosblättern, die das Hochwasser allmählich überflutete, dem Ufer zu, und zwar geradewegs auf einen großen, schwarzen Stier los, der dort seinen Durst löschte.

»Sieh, Nefer«, sagte er, »solch ein Krokodil war es, vor dem ich die Prinzessin rettete. Bald wird das Untier seine Beute erwischt haben!«

Nefer beugte sich über die Schiffswand. »Du hättest aber selber dabei umkommen können, Herr«, erwiderte sie leise.

Mirinri lächelte übermütig. »Ich habe niemals Furcht gehabt, weder vor Löwen noch vor Krokodilen. Ein Sohn der Sonne stirbt nicht so leicht.«

»Aber warum hast du dein kostbares Leben gerade für jenes Mädchen eingesetzt? Wahrscheinlich, weil es eine Pharaonin war!«

»Das habe ich erst nach Tagen erfahren, als ich ihren verlorengegangenen Schmuck im Gras fand, das Symbol der Macht über Leben und Tod.«

Des Mädchens Augen blitzten seltsam auf. Sie murmelte einige unverständliche Worte und richtete dann ihren Blick auf den Fluß. Mirinri tat das gleiche. Jetzt bestieg Nefer sogar die Schiffswand, als wollte sie die Bewegungen des Krokodils noch besser beobachten.

Der Stier, ein kräftiges Tier mit langen, nach vorne gebogenen Hörnern, trank ruhig weiter, während hinter ihm ein halbes Dutzend Kühe unbewacht grasten. Plötzlich aber entfuhr ihm ein wildes, heiseres Brüllen. Er strebte mit aller Kraft nach rückwärts. Vergeblich – das Krokodil hatte ihn schon überrascht und beim Maul ergriffen. Seine Vorderzähne hatten sich tief ins Fleisch eingebohrt.

»Das Tier ist verloren!« rief Mirinri.

»Wenn sich ihm nicht eine bessere Beute bietet«, flüsterte Nefer.

Der Stier leistete verzweifelten Widerstand. Um nicht ins Wasser gezogen zu werden, stemmte er mit starren Gelenken seine Beine auf, während das Ungeheuer ihn mit seinen ausdruckslosen Augen anglotzte. Unglücklicherweise jedoch war das Ufer schon schlammig geworden, so daß es unter den breiten, derben Hufen des armen Wiederkäuers nachgab. Auf diese Weise sank er immer tiefer in die Erde, und es gab für ihn kein Zurückweichen mehr.

Dumpfes, schmerzliches Gebrüll ließ er vernehmen, indes blutiger Geifer aus seinen Nüstern kam. Seine mächtigen Flanken bebten, und sein Schwanz peitschte die Luft, während sich seine Augen immer mehr vergrößerten, als ob sie aus ihren Höhlen treten wollten.