»Sind sie unbestechlich?«
»Es sind junge Soldaten, Herr, die den Sieger über die Chaldäer nie gekannt haben.«
»Vergiß nicht, daß du im Palast vielleicht doch eine Beschützerin hast«, wandte sich Nefer jetzt an Mirinri. »Dieser Krieger könnte sie heimlich verständigen.«
»Wer ist es?« fragte der Alte.
»Die Königstochter Nitokris. Sie ahnt sicher nicht, wo man uns hingebracht hat! – Darfst du deinen Posten hier verlassen?«
»Ich habe ja das Kommando über die Wächter.«
Nach einigem Überlegen fügte der Veteran hinzu: »Gut, geht jetzt ruhig in euer Verlies zurück und versucht nicht, wieder Lärm zu schlagen! So rate ich euch. Alles weitere werde ich veranlassen.«
»Können wir dir gänzlich vertrauen?«
»Ich schwöre bei Ra, der Königstochter Nachrichten zukommen zu lassen! Meine Enkelin ist im Schloß angestellt.«
Daraufhin ließen sich die beiden Gefangenen wieder einschließen.
Die Sonne mußte inzwischen aufgegangen sein. Ihr Schein erhellte nun mehr und mehr den Raum, aber er war trotzdem fahl und kalt. Die Entfernung der Wände war ungeheuer.
Nach einer langen Weile, während der die beiden Gefangenen still nebeneinandersaßen, ließ sich wieder das Klirren der Ketten und der Lärm der eisernen Türriegel vernehmen. Mirinri schreckte aus seinen Gedanken empor. Sollte es der alte Krieger oder ein anderer Wächter sein? »Wenn ich nur eine Waffe hätte«, flüsterte er.
Die Bronzetür öffnete sich, und der einarmige Veteran erschien, begleitet von zwei jungen Wächtern. Letztere setzten zwei Körbe aus Palmblättern auf den Steinboden.
»Es sind Lebensmittel«, sagte der Alte, indem er einen bedeutsamen Blick erst auf Mirinri, dann auf den rechts stehenden Korb warf.
Ohne etwas hinzuzufügen, ging er mit den beiden jungen Männern hinaus.
Als die schwere Tür wieder ins Schloß gefallen war, hob Mirinri rasch das Tuch, das den bezeichneten Korb verdeckte. Da lagen Maisbrötchen, gebackene Fische, Pasteten und Früchte. Nichts anderes.
»Ich hoffte, etwas Wichtiges unter den Vorräten zu finden«, sagte er entmutigt. »Aber der Alte scheint uns angeführt zu haben. Hast du nicht auch seinen Blick bemerkt?«
Nefer packte stumm die Speisen aus dem anderen Korb aus. Und richtig, da lag ein kleines Stück Papyrus! Mit feinem Pinsel gezogene Schriftzüge standen in blauer Tinte darauf.
Beide liefen zum Fenster und entzifferten mühsam die kleinen Zeichen. »Fürchtet euch nicht – Nitokris wacht über euch.«
Mirinri stieß einen Freudenruf aus. »Sie verläßt uns nicht! Wenn Nitokris uns beschützt, wird es ihr sicher gelingen, uns aus der Gefangenschaft zu befreien«, fuhr er hoffnungsvoll fort. »Ich glaube es auch«, bestätigte Nefer leise.
Der Sonnensohn machte sich nun an die Speisen, die wirklich delikat waren, und aß mit dem Appetit seiner Jugend.
Plötzlich aber hielt er inne. Draußen erhob sich ein immer stärkerer Lärm. Es war, als ob Schlachtwagen rasselten. »Sollten die Verschwörer endlich angelangt sein?« fragte Mirinri atemlos.
Auch Nefer lauschte gespannt. Irgend etwas Besonderes mußte sich ereignet haben ...
Jetzt war es, als ob Hunderte von Personen den Königspalast verließen. Das Stampfen der Schritte wollte kein Ende nehmen. »Horch!« Wieder vernahm man das Rasseln von Ketten. Die Tür wurde geöffnet, und der Veteran trat ein.
Mirinri stürzte ihm entgegen: »Was bedeutet das Wagengerassel?«
»Nur eine Laune des Herrschers! Er befahl einen Kampf zwischen den Wächtern, um sich zu amüsieren und die Stärke ihrer Pferde zu erproben.«
»Bringst du Nachricht von der Prinzessin?«
»Ja, Herr, sie wird bald hier sein.«
Mirinri starrte den Wächter an. Er glaubte sich verhört zu haben.
Der Alte wandte sich jetzt an Nefer: »Ich habe den Auftrag, dich in ein Haus zu führen, das dem König gehört. Du wirst dort Diener und Sklavinnen haben.«
Das Mädchen zuckte zusammen. »Von wem kam dieser Befehl?«
»Von einem Palastoffizier.«
Nefer zögerte.
»Ich muß bei Todesstrafe gehorchen!«
Sie warf einen langen, traurigen Blick auf Mirinri. Dieser verstand sie, und tiefes Mitleid ergriff ihn. »Sei guten Muts, Nefer«, sagte er. »Du kannst mir in der Freiheit mehr helfen, als wenn du hier bliebest. Suche Unis, meinen treuen Unis!«
»Wo werde ich den finden?« seufzte sie.
»Nun, in der Rhodopis-Pyramide!«
»Die Zusammenkunft sollte doch gestern abend schon stattgefunden haben.«
»Vielleicht sind sie heute wieder dort versammelt. Dieser brave Soldat wird dich sicherlich hinführen, so kann dir nichts geschehen.«
»Ja, Herr, ich nehme sie unter meinen Schutz.«
»Ich hoffe, wir werden uns bald wiedersehen, Nefer!«
»Lebe wohl! Vergiß mich nicht so schnell, Mirinri!« Mit diesen Worten verließ sie den Sonnensohn, dem sie schon so viele Opfer gebracht hatte. In ihren Augen glänzten Tränen.
Grausamer Hohn
Am Tag nach Mirinris Gefangennahme ließ sich die Prinzessin morgens beim König melden.
Sie beachtete nicht den ehrerbietigen Gruß der vielen dort Wache haltenden Bogenschützen, sondern begab sich sofort in den Jaspissaal.
»Wo ist der König?« fragte sie den Krieger, der, eine Axt im Arm, die große Bronzetür bewachte.
»In seinen Gemächern«, war die Antwort.
»Sage ihm, daß ich ihn sprechen muß!«
»Er liebt es aber nicht, gestört zu werden, Prinzessin«, wagte die Wache zu bemerken.
»Gehorche!« sagte Nitokris gebieterisch.
Bald darauf ließ König Pepi die Tochter in sein Gemach treten, wo sie sich ihm gegenüber auf einem Teppich niederließ.
»Was ist dein Anliegen?« fragte er, anscheinend freundlich.
»Sag, Vater, ist es wahr, was ich draußen hörte? Daß du Mirinri hier im Palast gefangengesetzt hast?«
Der König zuckte zusammen. Im selben Augenblick sprühten seine Augen vor Haß. »Es ist wahr, Töchterchen. Und meine Leibwächter, die ihn verhaftet haben, werden ihn morgen fortschaffen!«
Nitokris erschrak heftig. »Was hast du vor? Willst du ... seinen Tod? Unmöglich! Auch er ist göttlichen Ursprungs – und bedenke, daß ich heute nicht mehr lebte ohne ihn!«
»Ich will seinen Tod. Seine Begleiterin aber wird am Leben bleiben.«
»Wer ist es – kennst du sie?«
»Man nennt sie Nefer. Als Kind hast du in diesem Schloß mit ihr gespielt.«
»Dann ist es Sahur!«
»Dieselbe. Sie soll in einem unserer Nebengebäude fürstlich untergebracht werden.«
Nitokris warf sich dem Vater zu Füßen. »Laß mich ihn sehen«, bat sie flehentlich. »Er ist mein Retter!«
Nach einigem Zögern hob er die Tochter auf und sagte: »Gut, dein Wunsch soll dir erfüllt werden! Noch heute werde ich die Würdenträger des Reichs zu einem Gastmahl einladen lassen, und ich will es dem Sonnensohn zu Ehren geben. Genügt dir das?«
Nitokris war so überwältigt von der plötzlichen Wandlung ihres Vaters, daß sie den teuflischen Blick nicht bemerkte, der seine Worte begleitete. Gerührt umarmte sie ihn. »Hab Dank! Darf ich ihm die Botschaft selber überbringen?«
»Meine Wachen werden dich zu ihm führen.«
Der König entließ sie mit einer Handbewegung. »Du wirst es bereuen!« murmelte er nach ihrem Fortgang, während ein spöttisches Lächeln seine Lippen umspielte.
Bald nachdem Nefer das unterirdische Verlies verlassen hatte, traf die Prinzessin, begleitet von einer kleiner Eskorte, dort ein. Als Mirinri sie eintreten sah, sprang er von der Matte auf, beugte ein Knie vor ihr und sagte mit bebender Stimme: »Mirinri, Tetis Sohn, grüßt dich! Hab Dank, Prinzessin. Ich weiß, daß ich es allein dir schulde, daß ich noch lebe!«
Nitokris gab ihren Begleitern einen Wink, sie zu verlassen. Nachdem sie gegangen waren, beugte sie sich über den Jüngling und sagte sanft: »Auch du hast mir das Leben gerettet.«