Kühner geworden durch ihr freundliches Wesen, fuhr er fort: »Seit jenem Augenblick, als ich dich in meinen Armen hielt, bin ich deinem Zauber verfallen. Sag, hast du danach nie mehr an mich gedacht?«
Sie senkte den Kopf. »Komm«, sagte sie dann, »dein Platz ist oben im Palast. Du bist ein Pharaone!«
Und beide verließen eiligst den unterirdischen Raum.
Trompetenfanfaren und Trommelschläge ertönten.
Dies war das Zeichen, das die Großwürdenträger, die Generäle und Hofherren, die sich schon im Vorzimmer versammelt hatten, in den Empfangssaal des Herrschers berief.
Als sie sich demütig vor ihm verneigt hatten, redete er sie mit den folgenden Worten an: »Der große Osiris hat Ägypten einen seiner göttlichen Söhne, den wir verloren glaubten, wiedergeschenkt. Empfangen wir ihn mit der Ehrfurcht, die ihm durch seine göttliche Abstammung gebührt!«
»Nenne uns seinen Namen!« riefen die Erstaunten wie aus einem Mund.
»Den werdet ihr später erfahren.«
Auf seinen Wink reichte ihm ein Kammerherr seine königlichen Insignien: den Herrscherstab mit gebogenem Griff und eine kleine Geißel, deren Hanfschnüre mit Goldfäden umwunden waren. Dann begab er sich mit seinem Gefolge in einen der gegenüberliegenden Prunksäle.
Im Vorraum hatte währenddessen die schöne Nitokris mit Mirinri und ihrer Eskorte Aufstellung genommen. Als der Zug sich nahte, fielen die in der Halle befindlichen Soldaten zur Erde. Zugleich fühlte Mirinri eine Hand auf seiner Schulter: »Nieder mit der Stirn in den Staub! Der König kommt«, sagte eine drohende Stimme.
Mirinri zuckte bei der Berührung zusammen und schüttelte verächtlich die Hand des Wächters ab. Aufrecht und stolz begegnete er den Blicken des Herrschers.
Dieser hatte den Auftritt beobachtet und musterte ihn. »Die Prinzessin hat dir meine Einladung überbracht«, sagte er. »Sei mein Gast im Hause deiner Ahnen!«
Beeindruckt von der unerwartet freundlichen Aufnahme, die alle Befürchtungen seines Erziehers und Atas mit einem Schlag zerstörte, fand Mirinri zuerst keine Worte der Erwiderung. Dann verneigte er sich und sprach: »Mirinri, Sohn eines Pharao, grüßt dich, Pharao, und dankt dir!«
Nitokris reichte ihm lächelnd die Hand, und sie überschritten beide hinter dem König die Schwelle des Saales, während die Soldaten nicht wagten, die Stirn vom Boden zu erheben. Mirinri befand sich wie in einem Rausch. Die Pracht und der Glanz, die ihn umgaben, verwirrten ihn. Dazu des Königs Güte! Wie anders hatten ihn Unis und Ata geschildert.
»Laß dich jetzt mit deiner Würde bekleiden«, wandte sich der Herrscher an den Jüngling.
Mirinris fragende Blicke schweiften zu Nitokris hinüber. Diese nickte ihm freundlich zu und sagte: »Auch ich muß mich erst zum Festmahl schmücken.«
So folgte er denn einem Schildträger in einen mit Wohlgerüchen erfüllten Raum. Hier erwarteten ihn junge assyrische Sklaven, und er bekam einen kurzen, schneeweißen Mantel umgehängt, der vorn mit einer kostbaren Brosche aus Rubinen und Smaragden zusammengehalten wurde. Sein weißer Kopfputz war mit langen Bändern versehen, und auf seiner Stirn glänzte die Uräusschlange.
Danach erwartete ihn eine Anzahl königlicher Wächter, erkennbar an den langen Straußenfedern zu beiden Seiten ihrer Perücke, vor dem Ankleidezimmer. Sie hatten den Auftrag, ihn zum Herrscher zurückzugeleiten. »Die Eingeladenen sind schon auf ihren Plätzen!« berichtete der Anführer.
Sie durchschritten einen Gang, dessen breite Fenster mit buntgestreiften Vorhängen feinsten Gewebes verhängt waren, und traten in den Speisesaal ein. Auf der Schwelle aber blieb Mirinri wie geblendet von der Pracht des Riesenraumes stehen: Eine Doppelreihe von rosa Marmorsäulen stützte die wunderbar bemalte Decke. Die Wände bestanden aus grünem Marmor mit schönem Geäder, der Fußboden war mit Goldmosaik eingelegt. Die Mitte des Saals nahmen dreißig kleine Tische ein, die in zwei Reihen standen. Jeder dieser kleinen Tische war für einen Würdenträger bestimmt. In liegender Stellung auf einem Teppich, stützte er den Arm beim Essen auf ein rundes Kissen, während junge, schöne Sklavinnen ihm Kühlung zufächelten. Am äußersten Ende der Doppelreihe entdeckte Mirinri vor einem größeren Tisch König Pepi und seine Tochter auf Pantherfellen. Daneben standen sechs hohe, goldene Amphoren mit Straußenfächern. Des königlichen Winks gewärtig, hatten sich dazu sechs Sklavinnen an den Säulen aufgestellt. Hin und wieder spritzten sie wohlriechendes Wasser auf den Herrscher und die Prinzessin.
Mirinri wurde nun an diesen Tisch geführt und mußte sich dem König gegenüber niederlassen. Seine brennenden Blicke begegneten den sanften Augen der Königstochter. Strahlend vor Glück rief er: »Von diesem Leben habe ich in der Wüste geträumt!«
Pepis Lippen überflog ein Lächeln, als er sagte: »Du hast dir also das Leben an unserem Hof schon vorgestellt, hast an den Luxus hier gedacht...«
»Noch mehr aber habe ich an die Prinzessin gedacht!« entfuhr es Mirinris Lippen.
Nitokris errötete anmutig. Sie sprach, während sie das Haupt neigte: »Auch ich hatte dich nicht vergessen! Eine geheime Stimme sagte mir immer, daß ich dich eines Tages wiederfinden würde. Sie sagte mir auch von Anfang an, daß du kein Mann aus dem Volke wärest.«
Der König runzelte kaum merklich die Stirn. »Du wirst uns später erzählen, warum du jahrelang von Memphis entfernt gelebt hast«, sagte er. Dann wandte er sich an die Sklavinnen: »Schenkt ein!«
Sie brachten goldene Amphoren mit Wein und füllten die Trinkgefäße.
»Ich trinke auf das Wohl meines Retters! Du hast mich vor dem Tod bewahrt und einem Vater die Tochter erhalten«, sprach Nitokris, ihren Becher erhebend.
»Und ich trinke auf das Wohl der Schönen, von der ich monatelang geträumt habe!« rief der Jüngling.
Jetzt stürmte eine Schar Tänzerinnen mit Musikinstrumenten in den Speisesaal, ihnen voran ein prächtig gekleidetes Mädchen mit einer Rose in der Hand.
Sie stellte sich vor der Pharaonin auf und rezitierte unter Harfenbegleitung:
»Als Osiris der Liebkosungen und Küsse der Hathor müde war, wollte er auf neue Abenteuer ausgehen und als Verkörperung der Liebe auf die Erde fliegen. ›Ich suche ein Weib‹, hatte er zur Tyrannin seines Herzens gesagt, ›das alles vergißt in der Liebe zu mir, Göttlichkeit wie Stolz, das mich allein liebt während des ganzen Tages, während der ganzen Nacht!‹ Und er durchfurchte die himmlischen Gefilde und ließ sich am Nilufer nieder.
Dort sah er auf dem feinen, samtweichen Sand des heiligen Flusses, inmitten von Papyrus und duftenden Lotosblumen, eine schlafende Jungfrau auf einem Pantherfell liegen. Bronzen war ihre Haut, denn sie war eine Tochter Oberägyptens, geboren an der Stätte, wo Ra das lange, silberne Band, das sich durch unsere fruchtbare Erde zieht, vom Himmel niederließ, jenes Band, das unserm Lande Ägypten Leben und Größe verleiht. Und bronzen war die Farbe ihrer Wangen, wie die Farbe des Sandes, aber Leben pulsierte in ihr. Sie seufzte sehnsuchtsvoll im Schlummer und lächelte, als ob sie ein süßer Traum umfangen hielte.
So sah sie Osiris.
›Wie bist du schön!‹ rief er begeistert aus.
›Wie schön bist auch du!‹ hauchte die junge Äthiopierin beim Erwachen.
Als Hathor auf der Suche nach dem, der die Liebe verkörpert, ihn und das reizende Mädchen dort unten im Sande bei den silbernen Wassern erblickte, schrie sie schmerzerfüllt auf, und ihr Schrei lief durch alle Himmeclass="underline" ›Gib mir, o Ra, einen deiner versengenden Strahlen zu meiner Rache !‹
Und ihre Bitte wurde erhört.
Ein Glutstrahl durchdrang den Raum zwischen Himmel und Erde und traf die beiden Glücklichen am Strand. Der Körper des Mädchens verbrannte zu Asche; aber aus dem brennenden Kuß der beiden wurde diese rote Rose geboren, an der sich die Sonnenstrahlen in Dornen verwandelt haben.