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Die Spiegelmänner jedoch ließen sich von dem Kugelhagel nicht aufhalten. Sie teilten sich in Dreiergruppen auf und stürmten zu den beiden Freitreppen. Lucien stellte sich ihnen mit gezückten Messern entgegen, wich dem geschwungenen Rabenschnabel des vordersten aus und schlitzte ihm mit seinem Messer die Kutte auf. »Nedjo, da rüber!«, brüllte er. Der Manusch stürzte zur Treppe auf der anderen Seite der Plattform, schoss einem Spiegelmann ins Gesicht, sodass dessen Maske in tausend Splitter zerbarst, und schwang seinen Säbel, um die Geschöpfe zurückzutreiben. Auf den engen Treppen konnten die Spiegelmänner ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht ausnutzen, was Lucien und Nedjo einen kleinen Vorteil verschaffte. Aber ewig würden sie die Maskierten nicht aufhalten können.

Jackon sprang zur Seite, als ein riesiger Schatten an ihm vorbeirauschte. Es war Ruac, der die ganze Zeit unauffällig auf der Plattform gesessen hatte. Der Lindwurm machte sich sichtbar und stieg mit ausgebreiteten Schwingen in die Luft auf. Im Sturzflug schnappte er nach einem Spiegelmann, doch der Maskierte duckte sich rechtzeitig. Ruac schoss über das Boot hinweg, flog einen weiten Bogen und kam zurück.

Khoroj war in der Gondel verschwunden. Die Scheinwerfer des Luftschiffs flammten auf, und die Propeller begannen sich summend zu drehen.

Jackons Gedanken rasten. Er wusste, er sollte so schnell wie möglich in die Gondel steigen, doch er konnte nur dastehen und zu Umbra glotzen, die hinter der Statue kauerte.

Er musste ihr sagen, was er in der destillierten Erinnerung gesehen hatte! Vielleicht konnte er damit diesem Wahnsinn ein Ende bereiten.

In diesem Moment bemerkte er, dass Corvas verschwunden war. Eine Krähe flog ins Scheinwerferlicht und verwandelte sich in Sekundenbruchteilen in Menschengestalt. Quindal schoss auf Corvas, verfehlte ihn jedoch. Der Bleiche griff ihn mit blitzenden Messern an, und im nächsten Moment rangen die beiden Männer miteinander.

Jackon stürzte an Godfrey vorbei, der wie angewurzelt dastand, und lehnte sich über die Brüstung. »Umbra!«, schrie er. »Umbra!«

Khorojs Söldner mussten ihre Pistolen nachladen. Die Leibwächterin hob vorsichtig den Kopf. »Jackon«, rief sie. »Sag deinen Freunden, dass sie sich ergeben sollen. Ihr habt keine Chance!«

Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. »Hör auf, gegen uns zu kämpfen! Wir sind keine Feinde. Wir stehen auf derselben Seite. Lady Sarka hat dich getäuscht – sie steckt hinter dem Mord an deiner Familie. Verstehst du? Sie hat dir das angetan! Ich habe alles gesehen, in einer Erinnerung von Mama Ogda. Du musst dich von ihr lossagen und mit uns kommen!«

Umbra starrte ihn fassungslos an. »Was zum Teufel redest du da?«

»Du musst mir glauben, Umbra. Bitte! Es ist die Wahrheit!«

Seine Worte erschütterten sie so sehr, dass sie trotz der Gefahr, die ihr drohte, aus ihrer Deckung kam.

Das Luftschiff schwebte bereits einen Schritt über der Plattform. Die Propeller dröhnten. »Jackon, komm!«, schrie Liam aus der Gondel.

»Ich kann nicht! Umbra... sie ist... sie muss...«

Die Stimme der Leibwächterin ließ Jackon herumfahren. »Du hast das alles in einer destillierten Erinnerung gesehen?«, rief sie.

»Ja!«

»Lüg mich nicht an!«

»Ich lüge nicht. Wirklich!«

»Woher hattest du sie?«

In diesem Moment geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Quindal versetzte Corvas einen machtvollen Schlag mit seiner mechanischen Hand, woraufhin der Bleiche die Brüstung durchbrach und ins Wasser stürzte. Anschließend hastete Quindal zur Gondel.

Nedjo geriet gegen die Spiegelmänner zunehmend in Bedrängnis. Stufe um Stufe wich er zurück und wehrte verzweifelt Hiebe ab. Glücklicherweise kam ihm Ruac zu Hilfe. Brüllend stürzte der Lindwurm herab, rauschte mit brachialer Wucht gegen die Maskierten und fegte sie von der Treppe.

Aus den Augenwinkeln sah Jackon, dass Lucien seinen vordersten Gegner zu Fall gebracht hatte. Das behinderte die anderen Spiegelmänner gerade lange genug, dass er herumwirbeln und zum Luftschiff laufen konnte.

»Die Erinnerung«, brüllte Umbra. »Sag mir, woher du sie hattest!«

Bevor Jackon antworten konnte, packte der Alb ihn am Arm und zerrte ihn mit sich.

»Nicht! Sie muss die Wahrheit erfahren.«

»Jetzt sei kein Narr und steig ein«, fauchte Lucien und schob ihn unsanft zur Luke, wo Quindal und Liam ihn ergriffen. »Nein...«

Während die beiden ihn in die Luke zogen, bemerkte Jackon, dass einer der Söldner auf Umbra anlegte. »Pass auf!«, ächzte er. Der Schuss donnerte, die Leibwächterin warf sich flink zur Seite und rollte sich ab, wodurch die Kugel sie verfehlte. Als der Söldner ein zweites Mal feuerte, sprang sie hinter der Statue in Deckung.

Dann war Jackon in der Gondel. Er verlor das Gleichgewicht, als Liam und Quindal ihn losließen, fiel zu Boden und schlug sich schmerzhaft die Knie auf. Er griff nach Liams Hand, kam auf die Füße und stürzte zur Luke. »Umbra!«, rief er noch einmal, »bitte komm mit uns!«

»Weg von der Luke!«, schrie Lucien ihn an. Als Jackon nicht reagierte, zog jemand ihn nach hinten, und der Alb kletterte hinein.

Wenige Sekunden, nachdem Lucien eingestiegen war, kamen Khorojs Leibwächter zum Luftschiff gerannt. Sie feuerten noch einmal auf Corvas und die Spiegelmänner, bevor sie ihre Pistolen in die Luke warfen und sich von Quindal und Liam hineinziehen ließen.

»Wo ist Nedjo?«, schrie Vivana. Sie stand mit wild klopfendem Herzen neben Khoroj, der an den Kontrollen saß und alle möglichen Hebel und Schalter betätigte, und spähte durch ein Seitenfenster der Gondel. Sie konnte den Manusch nirgendwo entdecken.

»Ich bin hier«, keuchte Nedjo, während Khorojs Söldner ihm in die Gondel halfen. Der kurze, aber heftige Kampf hatte ihn so erschöpft, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Aber von ein paar Schrammen abgesehen war er unversehrt.

Vivana hielt nach Ruac Ausschau. Der Lindwurm umkreiste das Luftschiff in einem weiten Bogen, ein pfeilschneller Schemen, den man nur sehen konnte, wenn er in die Nähe der Scheinwerfer kam. Jetzt schoss er von links heran und flog einen neuen Angriff auf die Spiegelmänner. Einen erwischte er mit den Krallen und schleuderte ihn auf die Plattform vor dem Haus.

»Was machen wir mit ihm?«, wandte sich Vivana an Khoroj.

»Gehört dieses Monstrum etwa dir?«

»Ruac ist kein Monstrum. Er ist ein Lindwurm!«

»Er ist zu groß für die Gondel. Er muss uns nachfliegen.«

Vivanas Herz zog sich zusammen. Ruac hatte gerade erst fliegen gelernt. Wie lange konnte er in der Luft bleiben, bevor ihn die Kräfte verließen?

»Alle da?«, rief Khoroj nach hinten.

Vivana blickte zu ihren Gefährten, die sich in der Gondel drängten. »Godfrey fehlt!«

In der Verwirrung der letzten Minuten war offenbar niemand aufgefallen, dass der Aethermann noch nicht eingestiegen war. Vivanas Vater streckte den Kopf aus der Luke und rief: »Godfrey! Worauf wartest du?«

Von dem Seitenfenster aus konnte Vivana den Aethermann nicht sehen. Sie stürzte zum großen Vorderfenster und erblickte ihn am Rand der Plattform, wo er reglos dastand. Was war nur in ihn gefahren?

Ihr Vater, Liam, Nedjo und Lucien brüllten durcheinander und forderten ihn auf, zur Luke zu kommen. Godfrey schaute sie an, rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Seine Lippen formten Worte, die im Geschrei und dem Dröhnen der Motoren untergingen. Vivana verstand sie trotzdem.

Es tut mir leid.

Godfrey wandte sich ab und ging ruhigen Schrittes den Spiegelmännern entgegen.

»Was macht er da?«, tobte ihr Vater. »Ist er verrückt geworden?«

»Schließt die Luke, wir müssen starten«, sagte Khoroj scharf, als die Maskierten auf die Plattform stürmten.