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Plötzlich lockerte sich der Griff um ihre Kehle. Ihr Vater versetzte der Mumie einen Schlag mit seiner mechanischen Hand, und als sie taumelte, packte er sie und schleuderte sie vom Schutthaufen.

Keuchend rang Vivana um Atem. Sie rollte sich herum, stützte sich auf dem scharfkantigen Geröll ab, versuchte aufzustehen, hustete. Rote Sterne platzten vor ihren Augen.

Liam half ihr auf. »Bist du verletzt?«

Sie blinzelte, als der Schwindel sie schwanken ließ. Schüttelte den Kopf. »Haben wir sie vertrieben?«

»Ich glaube nicht. Sie formieren sich neu.«

Vivana sah, dass ihre Freunde fünf oder sechs Mumien vernichtet hatten. Die übrigen hatten sich vom Schutthaufen zurückgezogen und standen reglos da.

Vivanas Blick glitt zu Mahoor Shembar auf der Empore. Die Schatten schienen sich um den Untoten zu verdichten, und ihr war, als starre er sie an.

»Das ist unsere Chance«, sagte Lucien. »Lauft!«

Er hatte die Worte noch nicht zu Ende gesprochen, als eine neue Woge dunkler Macht durch die Halle rollte. Die Untoten setzten sich in Bewegung und erklommen abermals den Trümmerhaufen, und aus den Tunneln kamen neue hinzu, die schwankend zur Mitte des Saales strömten.

Es waren mehr als doppelt so viele wie zuvor.

Vivanas Vater hatte seine Pistole nachgeladen und schoss die ersten beiden nieder. Liam schwang seine Hakenlanze, Vivana ihr Schwert. Lucien tanzte wie ein tödlicher Schatten zwischen den welken Leibern und schlitzte Kehlen und Brustkörbe auf. In den ersten Minuten des Kampfes vernichteten die Gefährten mehr als ein halbes Dutzend Mumien. Wenn man auf die richtigen Stellen zielte, war es nicht schwer, die uralten Körper zu zerstören, und solange man wachsam und vorsichtig war, konnte man ihren langsamen und ungeschickten Angriffen leicht entgehen. Gleichwohl begriff Vivana, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten, denn neben ihrer großen Anzahl besaßen die Untoten einen tödlichen Vorteiclass="underline" Sie kannten keine Erschöpfung. Dank Mahoor Shembars böser Macht, die sie beseelte, konnten sie kämpfen und kämpfen, ohne jemals müde zu werden, während Vivana und ihre Gefährten bereits nach wenigen Minuten spürten, wie ihre Glieder allmählich schwer wurden. Jeder Schwerthieb zehrte von ihren Kräften, und die trockene und stickige Luft des unterirdischen Gewölbes ließ ihre Kehlen austrocknen.

Und die Untoten gönnten ihnen keine Pause. In immer neuen Wellen griffen sie an und kletterten zur Kuppe des Schutthügels, wo die Waffen der Gefährten sie erwarteten. Mahoor Shembar schien es gleichgültig zu sein, wie viele seiner Kämpfer fielen. Vivana begriff, dass er die Absicht hatte, sie mit der bloßen Übermacht seines Gefolges zu erdrücken.

»Wir brauchen Feuer«, keuchte Lucien, während er einem plumpen Schwerthieb auswich und dem Untoten gegen die Brust trat. »Wir müssen sie verbrennen. Die Lampe, Liam! Versuch, sie irgendwie als Waffe einzusetzen.«

Vivanas Vater nahm die Hakenlanze an sich und schützte Liam, während dieser am Brenner der Karbidlampe herumfummelte. Er verbrannte sich die Finger am heißen Metall, zog sich fluchend den Ärmel über die Hand und drehte das Ventil auf. Gleichzeitig riss er die Lampe hoch. Ein Strahl brennenden Gases traf eine Mumie. Binnen Sekunden brannte der ausgetrocknete Körper wie Zunder, der Untote taumelte umher und setzte einen zweiten in Brand.

Lucien und Vivanas Vater jubelten, doch ihre Freude war nur von kurzer Dauer. Die Lampe war für einen derartigen Einsatz nicht gedacht, und Liam hatte große Mühe zu verhindern, sich in der Hitze des Gefechts nicht selbst an der unkontrolliert flackernden Gasflamme zu verletzen. Außerdem erkannten die Untoten rasch die Gefahr, die von ihm ausging, und konzentrierten ihre Angriffe auf ihn. Liam musste die Lampe hochreißen, um einen Säbelhieb abzuwehren; dabei wurde sie ihm aus der Hand geschlagen, rollte den Schutthaufen hinunter und erlosch.

Die Untoten, die nun gelernt hatten, Feuer zu fürchten, wichen zur Seite, als die Lampe über das Geröll kullerte. Dadurch öffneten sich ihre Reihen für einige Sekunden. Vivana erkannte ihre Chance und lief los.

»Nicht!«, brüllten ihr Vater und Liam gleichzeitig, doch da hatte sie bereits den Boden der Halle erreicht. Sie schlüpfte zwischen den Mumien hindurch, schlug Haken, wich zupackenden Händen aus. Ihre Kehle begann wieder zu brennen. Sie schenkte dem Schmerz keine Beachtung, rannte weiter, zur Treppe, die sie entdeckt hatte. Einer der Untoten versuchte, ihr den Weg zu versperren. Sie schwang ihr Schwert und traf den leblosen Krieger am Arm, was diesem keinerlei Schaden zufügte, ihn jedoch einen Schritt zurückweichen ließ – genau den Schritt, den sie brauchte, um zur Treppe zu gelangen. Stufe um Stufe hastete sie hinauf, sah, dass die Mumien ihr folgten, lief schneller.

Mahoor Shembar beobachtete sie. Seine Augen glühten. Vivana blieb stehen, als sie nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war. Ging langsam auf ihn zu.

»Ruf deine Krieger zurück. Bitte. Wir sind nicht deine Feinde.« Ihre Stimme zitterte vor Furcht.

Der Nigromant stand reglos da wie eine Statue. Fetzen eines einst prächtigen Gewandes verhüllten kaum seinen vertrockneten Leib. Goldene Ringe steckten an seinen knochigen Fingern.

»Kannst du mich verstehen?«

Mahoor Shembars Robe raschelte wie altes Pergament, als er die Hand hob. Vivana blieb stehen.

Krallenfinger packten sie von hinten und zwangen sie auf die Knie.

31

Der Rat von Suuraj

Die Soldaten stocherten mit ihren Hakenlanzen im Wasser, bis einer von ihnen die Leiche zu fassen bekam. Die anderen warfen ein Netz aus und zogen sie mit vereinten Kräften aus dem Fluss.

Jackon stand an der Reling des Stadtfloßes und schaute nervös dabei zu, wie die Männer den toten Körper auf die Planken hievten. Abgesehen von seiner Begegnung mit Seth war es das erste Mal, dass er einen Dämon aus der Nähe sah. Die Kreatur war etwas kleiner als ein Mensch und besaß bleiche, glitschige Haut an Armen und Beinen, die am gedrungenen Rumpf in grünliche Schuppen überging. Schwimmhäute spannten sich zwischen Fingern und Zehen. Der Kopf war der eines Fischs, mit Glupschaugen, einem breiten Maul voller Zähne und vier langen Barteln am Unterkiefer. Am Hals entdeckte Jackon mehrere Vertiefungen. Kiemen, dachte er. Das Wesen war noch abstoßender, als er erwartet hatte.

Es war nicht allein das monströse Aussehen des Dämons, das ihn so erschreckte, sondern hauptsächlich seine Aura. Obwohl das Ungeheuer zweifellos tot war – in seiner Brust klaffte eine faustgroße Schusswunde –, verströmte es nach wie vor Bosheit und Grausamkeit wie einen üblen Geruch.

Genau wie Seth.

Die Fischdämonen hatten vor zwei Stunden angegriffen. Plötzlich waren Dutzende von ihnen aus dem Wasser aufgetaucht und wie Amphibien an den Schwimmfässern emporgeklettert. Glücklicherweise rechneten die Soldaten Suurajs ständig mit Angriffen, sodass sie rasch zur Stelle gewesen waren. Nach einem kurzen, aber heftigen Gefecht gelang es ihnen, die Dämonen zu vertreiben, bevor sie ernsthaft Schaden anrichten konnten.

Kein Soldat war bei dem Kampf getötet worden, und nur wenige hatten Verletzungen erlitten. Ein eindeutiger Sieg also. Und trotzdem war den Menschen Suurajs nicht nach Jubeln oder Feiern zu Mute. Das unerwartete Auftauchen amphibischer Dämonen hatte ihnen gezeigt, dass sie in der Mitte des Flusses, wo das Stadtfloß ankerte, nicht annähernd so sicher waren wie gedacht.

Die Soldaten machten Platz, als zwei maskierte Männer in dunklen Roben auftauchten. Die beiden Astrophilosophen untersuchten den toten Dämon und gaben anschließend den Befehl, die Leiche auf einen Karren zu legen. Jackon blickte den Mystikern nach, bis sie in der Menge der Schaulustigen verschwanden. Trotz der Hitze fröstelte ihn. Was, wenn die Fischkreaturen in der Nacht zurückkämen, besser vorbereitet und so zahlreich, dass sie das Stadtfloß einfach überrannten?