»Was soll denn das heißen?« fragte Cornelia mit gerunzelter Stirn.
»Wenn ihr es schon wissen wollt, bitte. Ich habe spekuliert. Ich habe von meinen Ersparnissen Aktien der Reederei Benjamin van Groot gekauft, die früher einmal sehr hoch im Kurs standen. Sie sind im Augenblick fast wertlos. Der Seeräuber Dieuxdonne hat van Groot an den Rand des Ruins gebracht. Nun aber verfügt Rene über sehr viel Geld, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß. Geld ist immer gut. Sollte sich van Groot nicht erholen, so haben wir wenigstens einen Schwiegersohn, dessen Reichtum uns ein standesgemäßes Leben garantiert. Hinzu kommt noch, daß ich einen Plan gefaßt habe, zu dessen Ausführung Rene und sein Geld beitragen sollen. Rene könnte nämlich sein Schiff zu einem Kampfschiff mit vielen Kanonen umbauen lassen, um dem verteufelten Dieuxdonne zu Leibe zu rücken.« Die beiden Frauen waren zunächst bestürzt. Jessie hatte sich schnell gefaßt. Sie war immerhin klug genug einzusehen, daß sie sich mit der veränderten Situation, das heißt der Verringerung des van Meerenschen Vermögens, abfinden mußte. So dünkte sie der Plan des Vaters gut. Frau Cornelia dagegen war einer Ohnmacht nahe. Und nur das Riechfläschchen hielt sie aufrecht. »Kennt Rene deinen Plan schon, Vater?« »Nein. Aber diesmal will ich die Zeit ausnützen, die er an Land verbringt, um ihm die Jagd auf den Seeräuber schmackhaft zu machen.«
52
Rene war auf sein Schiff zurückgekehrt. Er fand die Mannschaft aufgeregt. Da trat ihm auch schon Pierre entgegen. Die Augen des alten bärtigen Seemannes waren vor Erregung zusammengekniffen.
»Gut, daß Ihr da seid, mon Capitain! Ich habe eine wichtige Nachricht!«
»Schieß los, alter Pierre.«»Keine zweihundert Fuß neben uns ankert eine Ga-leone, die zur Reederei unseres--Freundes gehört. Ein wunderbares Schiff. Ein herrlicher, gewölbter Bauch, ein fetter Brocken. Uns kribbelt es in allen Fingern.« »Wo?« fragte Dieuxdonne und blickte angestrengt in die Dunkelheit. Der Oberbootsmann deutete auf eine in der Ferne schaukelnde Positionslampe. »Da hinten. Seht Ihr?«
»Ja. Hast du schon herausgefunden, wohin sie fährt?«
»Non, mon Capitain. Ich dachte, wir könnten sie vielleicht heute nacht im Hafen in die Luft jagen. Ich übernehme freiwillig die Führung des Bootes, von dem aus wir das Pulverfaß anbringen können.«
»Hör mal, mon ami, ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß wir bei unseren Aktionen niemals den Verstand außer acht lassen dürfen. Was denkst du wohl, was die Hafenbehörden dazu sagen würden?«
»Ich meinte ja nur so.«
»Du sollst nicht meinen. Benutzt den morgigen Tag, um die Zeit des Auslaufens und das Ziel des Schiffes festzustellen. Ich kann nicht die ganze Zeit bei euch bleiben. Ich habe, wie du weißt, auch noch Pflichten an Land.«
Der Kapitän ließ seinen Bootsmann stehen und begab sich in seine Kajüte. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raums breitete er eine Karte aus und studierte eifrig die Lage der vielen kleinen Inseln in der Südsee.
Danach setzte er sich in einen Sessel, lehnte sich zurück, schloß die Augen und dachte nach. Längst vergessen gewähnte Bilder stiegen vor ihm auf. Da war die Mutter, eine kleine zarte Frau. Und da war das Haus, das herrliche, einsame Haus in der Bretagne. Die Sonne blendete. Er, Rene, zog sein hölzernes Schwert aus der Scheide. Sein Bruder kam herangestürmt, und die beiden Jungen fochten. So oft war dieses kindliche Spiel von der gütigen Stimme des Vaters unterbrochen worden. Wenn der hochgewachsene, weißbärtige Mann nicht von Geschäften in Anspruch genommen war, erschien er stets im Landhaus und widmete sich mit Eifer und Freude seiner Familie. Das Glück hatte viele Jahre gewährt. Die von Vater und Mutter gehütete Kindheit ging vorüber, die Knaben wurden Jünglinge. Und plötzlich fuhr ein greller Blitz in ihr sorgloses Dasein. Mit einem Schlag war alles vorbei. Und der die Schuld daran hatte, der den Vater ins Unglück gestürzt, die Mutter ins Grab gebracht hatte... Der Mann fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Seine eben noch entspannten Züge wurden wieder hart. Er sprang aus dem Sessel hoch, trat zum Bullauge, öffnete es und starrte in die Dunkelheit hinaus.
Bevor er zurücktrat, reckte er drohend die Faust gegen einen unsichtbaren Feind.
53
Für ein junges Mädchen galt es hierzulande, genau wie in Europa, als unschicklich, sich ohne Begleitung auf der Straße sehen zu lassen.
Das Mädchen, das an diesem Mittag dem Hafen zuschritt, mochte etwa vierundzwanzig Jahre zählen. Es hatte einen wiegenden Gang, große blaue Augen, die herausfordernd um sich blickten, und schönes, weizenblondes Haar.Freilich, das Kleid, das sie trug, war nicht eben als schicklich anzusprechen. Es war auffällig, von greller Farbe und in seinem ganzen Schnitt dem guten Ruf seiner Trägerin nicht gerade dienlich.
Eine Viertelstunde später stand sie am Hafen und musterte die Schiffe. Der Zufall wollte es, daß in diesem Augenblick ein paar Matrosen lachend den Segler verließen, der im Topp die van Grootsche Flagge führte.
Die Matrosen warfen der Frau, die dort allein am Kai stand, vielsagende Blicke zu. Und sie schienen Glück zu haben. Die Dame schien ihrer Bekanntschaft nicht abgeneigt. Ein Matrose, ein fescher Kerl, trat auf sie zu und fragte keck:
»Na, Juffrouw, so allein an diesem schönen Mittag? Wollt Ihr uns nicht ein wenig Gesellschaft leisten?«
Sie lächelte.
»Euch schon, aber nicht dir allein, mein Junge.«
Die anderen brachen in Lachen aus. Im Nu war die einsame Spaziergängerin von allen umringt. »Wie heißt Ihr, Juffrouw?« fragte der Schneidige.
»Ellen-Rose nennt man mich in Makassar. Und weil ihr so schöne weiße Umformen anhabt, dürft auch ihr so zu mir sagen.«
»Auf, Ellen-Rose, gehen wir in einen Weinkeller. Dort ist es kühl, und ich spendiere einen Muskateller. Habe heute meinen freigebigen Tag.« Lachend und sich neckend zog die Gruppe weiter.
In dem Weinkeller schien Ellen-Rose nicht unbekannt zu sein. Der Wirt jedenfalls ließ ein freudiges Hallogeschrei hören, als er ihrer ansichtig wurde.
»Ahoi, Ellen-Rose, wollt Ihr uns was vorsingen? Eigentlich sind noch viel zu wenig Gäste da. Warum kommt Ihr nicht am Abend?«
»Keine Sorge, Wirt. Ich singe für meine Freunde. Sie haben mich zu einem Glas Wein eingeladen. Das muß belohnt werden.«
Ellen-Rose war eine bekannte Chansonette, der es Spaß machte, von Insel zu Insel zu trampen und den Seeleuten ihre Lieder darzubringen. Ein solches Leben war in den Augen der Gesellschaft jener Zeiten für ein junges Mädchen ganz unmöglich. Die sogenannten höheren Töchter sahen auf ein weibliches Wesen, das sich seinen Lebensunterhalt auf diese Weise verdiente, verächtlich herab.
Ellen-Rose wußte das und bekam es auch deutlich zu spüren, wenn sie hin und wieder gegen Honorar bei den Gesellschaften der Reichen auftrat. Aber sie machte sich nichts daraus. Sie schonte sich, pflegte ihre Stimme, hielt sich von Männern zurück und verdiente auf rechtschaffene Art ihr Geld.
Daß sie heute dem Anbiederungsversuch der Matrosen gegenüber von vornherein aufgeschlossen war, hatte seinen besonderen Grund.
Als die Jungen bereits erhebliche Mengen des schweren Weins zu sich genommen hatten, ließ sie ganz zufällig eine unverfängliche Frage fallen:
»Wo geht's denn hin von hier aus?«
Der Forsche von vorhin erwiderte lallend:
»Zum Teufel, meine Liebe, wir fahren direkt in die Hölle.«
»Ist es da nicht ein bißchen heiß?«
»Ah, das ist egal. Heiß und kalt, was ist der Unterschied? Wir fahren, mein Schatz, wohin du willst.«
»Ich glaube, damit wäre der Kapitän nicht ganz einverstanden.«»Was interessiert es dich. Wenn wir hier weg sind, hast du uns vergessen.«