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Alberto Vázquez-Figueroa

Piratin der Freiheit

Autor

Alberto Vázquez-Figueroa, 1936 in Santa Cruz de Tenerife geboren, verbrachte einen großen Teil seiner Kinder- und Jugendjahre in Marokko. Nach seinem Studium in Madrid arbeitete er als Auslandskorrespondent in Afrika und Südamerika. Vázquez-Figueroa, der neben seinen journalistischen Arbeiten zahlreiche Romane und Sachbücher veröffentlicht hat, lebt heute in Spanien.

Piratin der Freiheit

Als sich Celeste Heredia Matamoros der bitteren Erkenntnis nicht mehr verschließen konnte, daß ihr Bruder Sebastian während des schrecklichen Erdbebens gestorben war, das am 7. Juni 1692 die schöne Stadt Port-Royal vollständig zerstört hatte, verfluchte sie ihr ungerechtes Schicksal. Fast 15 Jahre hatte sie fern von dem Menschen verbringen müssen, den sie am meisten geliebt hatte, und dann hatte ihr das Schicksal diesen Menschen nur zurückgegeben, um ihn ihr erneut grausam zu entreißen, und diesmal für immer.

Sie beschloß jedoch, ihre Tränen zu unterdrücken.

Nicht minder litt Celestes Vater, der einfach nicht begreifen konnte, daß ihn das Leben offenbar ohne sichtlichen Grund quälte. Da war er kaum dem Abgrund des Wahnsinns entronnen, und schon hing er wieder darüber wie eine Marionette.

Er setzte sich neben seine Tochter und schaute auf die Bucht hinaus, die inzwischen wie eine Kloake roch. Darin schwammen die Reste der vom Erdbeben zertrümmerten Schiffe, und der Wind trieb Leichenteile an die Strände, die selbst die Haie verschmäht hatten. Er fragte sich, ob vielleicht auch der Leichnam seines Sohnes den Bestien als Fraß gedient hatte oder ob er vielleicht im Inneren seines Schiffs gefangen war. Von der ehedem so stolzen Jacare ragte nur noch der zersplitterte Bug über die ölige Wasseroberfläche.

»Nicht einmal ein Grab!« jammerte er vor sich hin. »Weder eine letzte Ruhestätte noch ein Grabstein wird an sein Leben erinnern.«

Seine Tochter tätschelte ihm zärtlich die zittrige Hand.

»In den Gräbern ruhen nur Leichname, Vater, nur sterbliche Überreste.« Celeste wies auf die endlose blaue, klare Wasseroberfläche jenseits der Landzunge hinaus, auf der sich noch vor wenigen Tagen Port-Royal erhoben hatte: »Bestimmt ruht Sebastian im unendlichen Meer, das er so geliebt hat, und das eine schwöre ich dir: Ich werde dafür sorgen, daß man sich noch viele Jahre an sein Lebenswerk erinnern wird.«

»Wie willst du das denn anstellen?«

»Indem ich ein Schiff ausrüste, das in seinem Namen gegen die Sklaventransporte kämpft…«, erwiderte das Mädchen mit der ihr eigenen Entschlossenheit, die keinen Zweifel duldete. »Und ich werde nicht aufhören, bis Tausende unglücklicher Menschen Sebastians Namen preisen und zahlreiche Kanaillen ihn verfluchen.«

»Hast du diese absurde Idee noch immer nicht aufgegeben?«

»Von wegen aufgeben«, tönte es gelassen zurück. »Jetzt fange ich erst richtig an!«

Celeste hielt Wort. Schon am nächsten Morgen machte sie dem bedrückten Oberst James Buchanan ihre Aufwartung. Der hatte mit ansehen müssen, wie in drei schrecklichen Minuten eine offenbar wahnsinnig gewordene Erde fast all seine höheren Offiziere verschlungen hatte. In seinen Händen lag jetzt die Verantwortung, ein wenig Ordnung in das Chaos einer angesichts der unermeßlichen Tragödie noch betäubten Insel zu bringen.

»Wir möchten von Euch die Erlaubnis einholen, die Schätze meines Bruders, Kapitän Sebastian Heredia Matamoros, zu bergen. Sie ruhen in den Laderäumen seines Schiffs, der facare, die während des Erdbebens vom 7. Juni in der Bucht gesunken ist.«

Der gute Mann war noch nicht einmal dazu gekommen, ein Schiff nach London zu schicken, das die Katastrophe melden und Instruktionen einholen sollte. Ungläubig blickte er das attraktive, entschlossene Mädchen und den zutiefst niedergeschlagen wirkenden Alten an ihrer Seite an. Nach einigem Zögern wollte er wissen:

»Habt Ihr irgendein Dokument, das Eure Verwandtschaft oder Eure Besitzrechte an dem Schiff beweist?«

»Alles liegt auf dem Grund des Meeres.«

»Das war ja anzunehmen!« räumte der konsternierte Offizier ein, der sehr wohl wußte, wie überfordert er mit dem riesigen Berg an Problemen war, der auf seinen Schultern lastete. »Wir werden so vorgehen: Ich mache Euren Anspruch öffentlich bekannt, und wenn bis zum vierten Tag niemand Einspruch erhebt, bekommt Ihr diese Genehmigung. Aber ein Drittel von dem, was Ihr bergen könnt, fließt in einen Hilfsfond für die Opfer.«

»Ein Fünftel.«

»Ich sagte ein Drittel.«

»Und ich ein Fünftel«, beharrte Celeste. »Ihr wißt sehr gut, daß die meisten dieser Opfer tot sind und wohl keiner auf die absurde Idee kommen wird, an der gleichen Stelle eine neue Stadt zu errichten.«

Ihr Gegenüber musterte sie und raufte sich den ergrauten Spitzbart, aus dem er des öfteren Haare zupfte.

»Was für ein törichtes Mädchen…!« murmelte er. »Ein Viertel, und ich bin einverstanden.«

»In Ordnung, wenn Eure Soldaten die Bewachung übernehmen.«

»Gut.«

»Das möchte ich schriftlich haben.«

»Von mir aus. Noch etwas?«

»Das war’s. Einen schönen Tag noch.«

»Von wegen schöner Tag«, tönte es mißmutig zurück. »Die meisten meiner Kameraden sind tot, und die Stadt, die ich mit aufgebaut habe, gibt es nicht mehr.« Er blickte Celeste in die Augen. »Glaubt auch Ihr, wie die meisten hier, daß der Herr Port-Royal zerstört hat, weil es die >Stadt der Sünde< geworden ist?«

Celeste Heredia war schon an der Tür. Entschieden schüttelte sie den Kopf.

»Die Sünde wohnt nicht in den Städten, sondern in den Herzen der Menschen, und wenn das so wäre, wie Ihr sagt, dann müßte der Herr über die Hälfte der Menschheit auslöschen. Guten Tag!«

»Guten Tag!«

Auf der Straße spannte das Mädchen gewissenhaft den riesigen Schirm auf, der sie vor der brennenden Tropensonne schützte. Ohne ihren Vater anzusehen, machte sie eine ausholende Geste:

»Das Erdbeben hat viele Seeleute um ihr Schiff und viele Arbeiter um Lohn und Brot gebracht. Wenn wir großzügig sind, dürften wir keine Probleme haben, Hilfskräfte zu finden. Und Geld haben wir nun wirklich reichlich.«

Eine Dublone pro Tag und einen Anteil an den geborgenen Schätzen: Dieser Lohn war für viele Unglücksraben, die das Erdbeben in tiefstes Elend gestürzt hatte, mehr als attraktiv. So konnten Celeste Heredia und ihr Vater drei Tage später auf über fünfzig Arbeitswillige zählen, die ungeduldig darauf warteten, daß der betrübte Oberst Buchanan seine endgültige Erlaubnis gab und man endlich die in der Jacare vermuteten Schätze bergen konnte.

Erwartungsgemäß tauchte niemand auf, der unter den vielen halbversunkenen Schiffen in der weiten Bucht den einst so gefürchteten Küstensegler des berühmten Kapitäns Jacare Jack hätte identifizieren können. So unterzeichnete der gewissenhafte Buchanan schließlich das Dokument, das drei Viertel der Schätze, die man in den Laderäumen finden würde, Celeste zusprach. Kaum zwei Stunden später begannen die Bergungsarbeiten.

Dicke Taue spannten sich vom Festland zu dem — für Vater und Tochter — unverwechselbaren Bug des geliebten Schiffs hinüber. Die meisten Pferde, Maultiere und Ochsen, die noch am Leben waren und deren Besitzern man horrende Mieten zahlte, zogen das halbzerstörte Schiff von den Landzungen aus in eine seichte Bucht.

Mit dieser Plackerei ging es nur sehr schleppend voran, denn der übel zugerichtete, jetzt unter Wasser liegende alte Holzrumpf hätte jeden Augenblick auseinanderbrechen können. Dann wäre die wertvolle Ladung im schlammigen Grund der Bucht versunken. Der einzige Zimmermann der Küste, der überlebt hatte, untersuchte daher unablässig mit großer Sorgfalt das Schiff, stabilisierte es an der einen oder anderen Stelle mit Tauen und schlug sogar dicke Verstärkungsplanken ein. Zeit hatte man schließlich genug, Vertrauen in die zerbrochenen Spanten des betagten Küstenseglers dagegen wenig.