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Nach einigen Minuten betrat ein in eine düstere Uniform gekleideter Mann den Balkon. Obgleich die Gefangenen ihn schon schweigend anstarrten, hob er die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dann hallte seine Stimme laut durch den Saal.

»Was ich jetzt sagen werde, dient zu Ihrer Indoktrination«, begann er. »Hören Sie gut zu und versuchen Sie, sich alles gut zu merken. Es wird für Sie lebenswichtig sein.«

Die Gefangenen starrten ihn neugierig an, und der Sprecher fuhr fort: »Sie alle sind während der letzten Stunde in Ihren

Zellen erwacht. Sie entdeckten, daß Sie sich nicht an Ihr früheres Leben erinnern können - nicht einmal an Ihre Namen. Sie besitzen nichts als eine geringe Menge allgemeinen Wissens; genug, um sich zurechtzufinden.

Ich werde diesem Wissen nichts hinzufügen. Sie alle waren auf der Erde gefährliche und sittlich verdorbene Kriminelle. Sie waren Männer der schlimmsten Sorte, die jedes Recht auf Anerkennung durch den Staat selbst verwirkt hatten. In einer weniger aufgeklärten Zeit wären Sie alle hingerichtet worden. In unserem Zeitalter jedoch werden Sie deportiert.«

Der Sprecher hob eine Hand, um das Gemurmel, das den Saal durchlief, abklingen zu lassen. »Sie alle sind Verbrecher. Und Sie alle haben etwas gemeinsam: die Unfähigkeit, den grundlegendsten Gesetzen der menschlichen Gesellschaft zu gehorchen. Diese Gesetze sind für das Funktionieren einer Zivilisation unerläßlich.

Sie haben sie mißachtet - und so sind Sie zu Verbrechern an der ganzen Menschheit geworden. Deshalb hat die Menschheit Sie ausgestoßen. Sie waren Sand in den Mühlen der Zivilisation und sind deshalb zu einer Welt transportiert worden, in der Ihre Sorte Mensch regiert. Hier können Sie Ihre eigenen Gesetze aufstellen und daran verrecken. Hier herrscht die Freiheit, nach der Sie verlangt haben; die maßlose und selbstzerstörerische Freiheit einer Krebsgeschwulst.«

Der Sprecher wischte sich die Stirn und blickte die Gefangenen ernst an. »Aber vielleicht gelingt auch einigen von Ihnen eine Rehabilitierung. Omega, der Planet, zu dem wir unterwegs sind, gehört Ihnen, er wird ausschließlich von Gefangenen regiert. Auf dieser Welt können Sie ganz von vorn beginnen, ohne alle Vorurteile gegen Sie, ohne Vorstrafenregister! Ihr früheres Leben ist ausgelöscht -vergessen. Versuchen Sie nicht, sich daran zu erinnern. Derartige Erinnerungen wären nur dazu angetan, Ihre kriminellen Neigungen neu zu stimulieren. Betrachten Sie sich als neugeboren, von dem Moment an, in dem Sie in Ihren Zellen aufgewacht sind.«

Die langsamen, wohl ab gewogenen Worte des Sprechers hatten eine gewisse hypnotische Wirkung. 402 lauschte, die Augen starr auf die blasse Stirn des Sprechers gerichtet. »Eine neue Welt«, fuhr der Sprecher fort. »Sie sind neugeboren - aber mit dem notwendigen Bewußtsein der Sünde. Ohne dies wären Sie nicht imstande, das Böse, das Ihrem Charakter anhaftet, zu bekämpfen.

Denken Sie daran. Halten Sie sich immer vor Augen, daß es keine Flucht und keine Rückkehr gibt. Wachschiffe, die mit den modernsten Strahl en waffen ausgerüstet sind, patrouillieren unaufhörlich an den Himmeln von Omega - Tag und Nacht. Diese Schiffe sind dazu eingerichtet, alles, was sich höher als 150 Meter über die Oberfläche von Omega erhebt, auszutilgen eine unüberwindbare Barriere, die kein Gefangener bezwingen kann. Gewöhnen Sie sich an diese Tatsachen. Sie begründen die Gesetze, die Ihr Leben von nun an beherrschen werden. Denken Sie über meine Worte nach! Und jetzt halten Sie sich zur Landung bereit.«

Der Sprecher verließ den Balkon. Eine Weile starrten die Gefangenen weiter auf die Stelle, an der er gestanden hatte. Dann breitete sich zögernd Gemurmel aus. Nach einer kurzen Zeit erstarb es wieder. Es gab nichts, worüber man hätte sprechen können.

Die Gefangenen - ohne Erinnerung an die Vergangenheit hatten nichts, worauf sie die Spekulationen der Zukunft aufbauen konnten. Persönliche Daten konnten nicht ausgetauscht werden, denn sie besaßen keine.

Schweigend saßen sie da - verschlossene Männer, die zu lange Zeit in absoluter Abgeschiedenheit verbracht hatten. Die Wachen auf dem Balkon standen starr wie Bildsäulen, unnahbar und unpersönlich. Und dann durchfuhr ein leichtes Beben den

Boden des Saals.

Das Beben wiederholte sich und wurde zu einem heftigen Schütteln. 402 fühlte sich schwerer, als preßten unsichtbare Gewichte Kopf und Schultern nieder.

Aus einem Lautsprecher ertönte eine Stimme: »Achtung! Das Schiff setzt zur Landung auf Omega an! Bereiten Sie sich auf die Ausschiffung vor!«

Das letzte Zittern erstarb, der Boden unter ihnen kam nach kurzem Schlingern zur Ruhe. ,Die Gefangenen, noch immer schweigend und verwirrt, mußten sich in einer Reihe aufstellen und marschierten aus dem Saal. Von Wachposten flankiert, schritten sie einen endlos wirkenden Gang entlang. 402 konnte sich ein schwaches Bild von der Größe des Schiffes machen

Weit vorn erkannte er einen Streifen einfallender Sonnenstrahlen, der sich hell gegen die fahle Beleuchtung des Korridors abzeichnete. Die lange Kette der Gefangenen schlurfte weiter, und als 402 die Lichtflut erreicht hatte, erkannte er, daß sie durch eine offene Luke einfiel, durch die der Strom der Gefangenen sich drängte.

Dahinter stieg er eine lange Treppe hinab und befand sich auf festem Boden. Er stand in einem offenen Viereck, in das Sonnenstrahlen fielen. Die Wachen hießen die Gefangenen in Reihen antreten; 402 konnte zu beiden Seiten Zuschauer erkennen.

Eine Stimme dröhnte aus dem Lautsprecher: »Antworten Sie, wenn Ihre Nummer aufgerufen wird. Wir werden Sie jetzt identifizieren. Antworten Sie prompt, wenn Ihre Nummer genannt wird.« 402 fühlte sich schwach und müde. Selbst seine Identität interessierte ihn in diesem Augenblick kaum. Er wollte nichts als sich niederlegen, schlafen und Gelegenheit haben, über seine Lage nachzudenken. Er blickte sich um und bemerkte das gewaltige Raumschiff hinter sich, die Wachen und die Zuschauer.

Über sich nahm er dunkle Punkte am Himmel wahr. Zuerst glaubte er, es wären Vögel. Dann sah er genauer hin und er kannte, daß es Wachschiffe waren. Aber auch die interessierten ihn nicht sonderlich

»Nummer 1! Antworten Sie!«

»Hier«, ertönte eine Stimme.

»Nummer i, Ihr Name ist Wayn Southholder. Alter 34, Blutgruppe A-L2, Index AR-431-C. Schuldig des Verrats.«

Als die Stimme verklang, ertönten aus der Menge laute Beifallsrufe. Man beklatschte das Verbrechen des Gefangenen und begrüßte ihn auf Omega.

Die Namen wurden der Reihe nach verlesen, und 402, von der prallen Sonne benommen, döste im Stehen und lauschte den Verbrechen, die sich von Mord, Betrug, Krediterschleichung bis zu Mutantismus erstreckten. Schließlich wurde seine Nummer aufgerufen.

»Nummer 402.«

»Hier.«

»Nummer 402, Ihr Name ist Will Barrent. Alter 27, Blutgruppe O-L3, Index JX-221-R. Schuldig des Mordes.«

Die Menge jubelte, aber 402 hörte sie kaum. Er versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, einen Namen zu haben. Einen wirklichen Namen statt einer Nummer. Will Barrent. Er hoffte, er würde ihn nicht vergessen. Wieder und wieder murmelte er den Namen vor sich hin und verpaßte dabei fast die letzte Ankündigung aus dem Lautsprecher.

»Die neuen Männer werden jetzt auf Omega in Freiheit gesetzt. Sie finden eine vorübergehende Behausung in Block A-2.

Nehmen Sie sich in acht und seien Sie in Wort und Handlung vorsichtig. Beobachten Sie, hören Sie sich um und lernen Sie!

Das Gesetz schreibt vor, Ihnen mitzuteilen, daß die durchschnittliche Lebensdauer auf Omega ungefähr drei Erdjahre zählt.«

Es dauerte eine Weile, bis diese letzten Worte in Barrents Bewußtsein eindrangen. Er beschäftigte sich noch immer mit der Neuigkeit, einen Namen zu besitzen. Darüber, daß er ein Mörder auf einem Planeten für Verbrecher war, hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.