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Tyrli hatte ihr geraten, auf den Stränden der größten Insel nach Elai Ausschau zu halten. Sie kam zu dem Schluss, dass er damit wohl die halbmondförmige Insel gemeint haben musste, die rechts von ihr aufragte, und flog darauf zu. Als sie dem Boden nahe genug war, um die kümmerlichen Pflanzen in der Nähe der Küste erkennen zu können, sah sie sich nach den Meeresmenschen um.

Es dauerte nicht lange, bis sie sie entdeckte. Auf allen Stränden wanderten dunkelhäutige Männer und Frauen umher. Sie legten Streifen leuchtender Algen auf dem Sand aus, und Auraya erblickte unter Wasser die Umrisse von Leuten, die weitere Algen schnitten.

Die meisten von ihnen versahen mit großer Konzentration ihre Arbeit, obwohl es in jeder Gruppe einen Elai zu geben schien, der den anderen Anweisungen erteilte. Einige der Elai waren auf Anhöhen gestiegen und schauten auf das Meer hinaus. Einer sah sie direkt an, und sie spürte sein Erstaunen. Er winkte nicht, und er machte auch die anderen nicht auf Aurayas Anwesenheit aufmerksam. Aus seinen Gedanken entnahm sie, dass er nicht glaubte, was er sah.

Dann erklang plötzlich ein wütendes Brüllen, und der Beobachter zuckte zusammen und blickte auf den Strand vor ihm hinab. Der Anführer der arbeitenden Elai drohte ihm mit der Faust. Der Beobachter zeigte auf Auraya, woraufhin der andere Mann nach oben blickte und dann überrascht einen Schritt rückwärts machte.

Es wird Zeit, dass ich mich vorstelle, dachte Auraya mit einem Anflug von Ironie. Nun hatten die anderen Elai die Unaufmerksamkeit ihres Anführers bemerkt und blickten zum Himmel auf, um festzustellen, was sein Interesse erregt hatte. Auraya stieg langsam hinunter, da sie jetzt sowohl Angst als auch Ehrfurcht bei den Elai wahrnahm. Obwohl sie mehrere Schritte entfernt von ihnen landete, zogen sie sich hastig noch weiter zurück.

Plötzlich warfen sie sich auf den Sand, und Auraya tauchte überrascht in ihre Gedanken ein. Sie erkannte sofort, welchen Grund ihre Reaktion hatte. Sie glaubten, sie sei Huan.

»Volk von Borra«, sagte sie langsam in der Sprache der Elai, die sie aus ihren Gedanken geschöpft hatte. »Ihr braucht euch nicht vor mir zu erniedrigen. Ich bin nicht die Göttin Huan, sondern eine ihrer Dienerinnen.«

Die Elai tauschten fragende Blicke, dann erhoben sie sich langsam. Jetzt konnte Auraya sie deutlicher sehen. Sie waren nur geringfügig kleiner als Landgeher und vollkommen unbehaart. Ihre Haut war glatt, glänzend und von einem bläulichen Schwarz, ähnlich der Haut der Meeres-Ner, die bei ihrer Rückreise aus Somrey neben den Schiffen hergeschwommen waren. Ihre Oberkörper waren breit und ihre Hände und Füße groß und flach, mit Membranen zwischen Fingern und Zehen. Während sie sie anstarrten, fiel ihr auf, dass ihre Augen hellrot gerändert waren. Wenn sie blinzelten, konnte sie erkennen, dass diese Röte ebenfalls eine Membran war und sich wie ein zweites Lid über ihre Augen wölbte. Alle Elai starrten sie an, und sie filterte ihre Gedanken. Einige von ihnen hatten sich sehr schnell eine Meinung gebildet: Wenn sie keine Göttin und offenkundig auch keine Siyee war, dann musste sie eine Landgeherin sein, und man durfte ihr nicht trauen. Diese Elai betrachteten sie mit unverhohlenem Argwohn und einem Anflug von siedendem Hass. Die anderen waren noch immer verwirrt, und ihre Gedanken waren unklar. Bei ihnen handelte es sich um die niedersten Mitglieder der Gesellschaft der Elai, vermutete sie. Die Langsamen oder die Glücklosen. Sie verrichteten diese harte Arbeit, weil sie kaum etwas anderes zu tun vermochten. Auraya sah ihren Anführer an. Er war nicht klüger als die anderen, aber seine herrische Natur hatte ihm diese höhere Position eingetragen.

Als sie ihm in die Augen blickte, drückte der Mann die Schultern durch. »Wer bist du?«, fragte er scharf.

»Ich bin Auraya von den Weißen«, antwortete sie. »Eine der Auserwählten der Götter. Ich bin im Auftrag der Götter hier, um mit dem Oberhaupt aller Elai zu sprechen – mit König Ais.«

Der Anführer kniff die Augen zusammen. »Warum?« »Um...«

Es war schwer, die richtigen Worte zu finden, da die Gedanken der Arbeiter voller Ausdrücke waren, die sie mit den Landgehern in Verbindung brachten – Mord, Vergewaltigung, Diebstahl. Die Worte für Frieden, Verhandlungen oder Allianz konnte sie in ihren Köpfen nicht finden, daher entschied sie sich für eine andere Taktik. Der Anführer erwartete nicht, dass sie ihre Gründe nannte.

»Dies ist nur für die Ohren des Königs bestimmt«, sagte sie.

Der Mann nickte.

»Wirst du einen deiner Leute für mich zum König schicken?«, fragte sie. Er runzelte die Stirn. »Warum?«

»Ich möchte eure Stadt nicht ohne Erlaubnis betreten«, erwiderte sie.

Er hielt inne, dann sah er seine Arbeiter an. Er deutete auf den Mann, der sie als Erster entdeckt hatte – auf den Beobachter. Die Schultern des Mannes hingen herab, und seine Haut wirkte stumpf. Sie las Unbehagen aus seinen Gedanken und begriff, dass er zu lange außerhalb des Meeres gewesen war und unter Wassermangel litt. Als er seinen Befehl bekam, frohlockte er innerlich bei der Aussicht, endlich wieder schwimmen zu können.

»Geh und sag Ree Bescheid«, rief der Anführer. »Er wird jemanden in den Palast schicken.«

Während der Mann spritzend ins Wasser eintauchte, wandte sich der Anführer wieder Auraya zu. »Es wird einige Zeit dauern. Im Palast schenkt man den Erntearbeitern keine große Aufmerksamkeit. Wir müssen jetzt weitermachen. Wenn du willst, kannst du hier warten.«

Sie nickte. Mehr sagte er nicht, sondern hob die Stimme und trieb die anderen Elai wieder zur Arbeit an. Auraya beobachtete sie eine Weile, aber dann las sie bei mehreren Elai Groll in ihren Gedanken, weil sie sie so anstarrte, und entfernte sich ein wenig von ihnen, um sich den Anschein zu geben, als konzentriere sie sich auf andere Dinge.

Die Sonne stieg am Himmel auf und senkte sich dann langsam wieder dem Horizont entgegen. Die Elai machten keine Pause, obwohl sie ab und zu innehielten, um ihre Haut zu befeuchten. Aus ihren Gedanken erfuhr Auraya mehr über die Sitten und Gebräuche der Elai.

Ihre Stadt war übervölkert, und die meisten Elai lebten in winzigen Räumen. Durch diese Umstände hatten sie es gelernt, einander Respekt entgegenzubringen. Es gab starke Tabus, die es ihnen untersagten, einander zu berühren oder in die Augen zu blicken, und diese Gesetze fußten auf einer strengen gesellschaftlichen Hierarchie. Einen größeren Unterschied zu den Siyee hätte es nicht geben können.

Trotz dieser Unterteilung in Klassen herrschte unter den Elai ein ausgeprägtes Pflichtgefühl. Diese Männer und Frauen kamen bereitwillig aus der Stadt, um Algen zu ernten. Sie ließen sich von Männern wie ihrem Anführer schikanieren und gingen das Risiko ein, von Plünderern angegriffen zu werden, nur um die Ernährung ihres Volkes zu sichern. Bei vielen von ihnen fing sie Sorge um einen Arbeiter auf, der krank war und dem sie Essen gebracht hatten.

Selbst die Wohlhabenden und Mächtigen trugen zur Sicherheit der Stadt bei. Wenn der König wusste, dass sein Volk hungerte, ließ er Nahrungsmittel verteilen. Viermal im Jahr hielt er ein Festmahl ab, zu dem alle Elai eingeladen waren. Er versah sogar seinen Dienst bei der Bemannung des Ausgucks über der Stadt und stieg die lange Treppe hinauf, um nach Plünderern Ausschau zu halten.

Eine Treppe? Über der Stadt?Auraya lächelte. Es gibt also doch einen Weg über Land in die Stadt. Dies war eine interessante Information, die sie jedoch nicht zu benutzen gedachte. Wenn sie das tat, würde sie niemals das Vertrauen der Elai gewinnen. Aus den Gedanken der Leute am Strand hatte sie erfahren, wie schrecklich die Plünderer unter ihnen gewütet hatten. Es war nicht überraschend, dass sie Landgehern mit tiefem Abscheu begegneten. Als Repräsentantin der Götter würde sie vielleicht eine Audienz beim König bekommen, aber mehr würde ihr diese Tatsache nicht einbringen. Sie würde sich als vertrauenswürdig erweisen müssen.