Emerahl verkniff sich ein Lächeln. So, wie Rozea es schilderte, war es ein wunderbares Abenteuer, einer Armee zu folgen. In Wirklichkeit bedeutete das Unternehmen viel Arbeit unter primitiven und gefährlichen Bedingungen. Gewiss ließ sich niemand unter diesen Mädchen – und Jungen – von Rozeas hübscher Ansprache täuschen.
Ihre Sinne sagten ihr jedoch, dass die Menschen im Raum das Gehörte voller Erregung überdachten. Emerahl seufzte. Diese jungen Männer und Frauen wissen nichts über Kriege, rief sie sich ins Gedächtnis. Nach allem, was ich gehört habe, hat es seit mehr als hundert Jahren keinen Krieg mehr gegeben.
Eines der Gesichter um sie herum leuchtete jedoch nicht vor Erregung. Mondschein stand mit hochmütiger Miene ein wenig abseits. Emerahl spürte einen Anflug von Neid bei der Frau. Rozeas Stimme nahm wieder einen geschäftsmäßigen Tonfall an.
»Jene von euch, die die Armee begleiten wollen, treten jetzt vor. Wer zurückbleiben möchte, geht nach hinten. Nur zu. Wie ihr euch auch entscheidet, es ist keine Schande. Ich brauche Leute, die mitkommen, und Leute, die bleiben.«
Brand machte zuversichtlich einen Schritt nach vorn, und nach kurzem Zögern folgte ihr Flut. Emerahl blieb, wo sie war, im hinteren Teil des Raums. Während sich alle Anwesen den nach und nach entschieden, ließ Rozea den Blick über die Gesichter derjenigen wandern, die ihr am nächsten standen. Sie runzelte die Stirn, dann blickte sie zur gegenüberliegenden Wand. Als sie Emerahl sah, wurden ihre Lippen schmal vor Enttäuschung. Emerahls Magen krampfte sich zusammen. Sie fragte sich, aus welchem Grund Rozea ihre Begleitung wünschen mochte, aber sie fand keine Antwort. Schließlich richtete Rozea die Aufmerksamkeit auf die kleine Gruppe derer, die direkt vor ihr standen.
»Vielen Dank. Bleibt hier, damit Blatt eure Namen aufschreiben kann. Wenn ihr wollt, dürft ihr euch alle einen Tag freinehmen, um vor unserer Abreise eure Familien zu besuchen. Und noch einmal, vielen Dank.«
Sie trat von dem Podest herunter und schritt auf eine Tür zu. Als sie sie erreichte, blieb sie stehen und blickte zu Emerahl hinüber.
»Jade. Komm mit mir. Ich möchte mit dir sprechen.«
Emerahl unterdrückte einen Seufzer und folgte Rozea in einen großen Raum, in dem ein gewaltiges Bett stand. Ein Bett, das für einen König passend gewesen wäre.
Tatsächlich, ging es ihr durch den Kopf, ist es wahrscheinlich für den König gedacht. Die Frau schloss leise die Tür, dann wandte sie sich zu ihr um.
»Warum willst du uns nicht begleiten, Emerahl?«
Emerahl wich ihrem Blick aus. »Ich bin gerade erst hier angekommen. Ich fühle mich hier wohl und sicher, und das zum ersten Mal seit... nun ja, seit einer langen Zeit.«
Rozea lächelte. »Ich verstehe. Was wäre, wenn ich dir sagte, dass ich Pläne für dich habe? Was, wenn ich dir erzählte, dass du, wenn du nach Porin zurückkehrst, das reichste und begehrteste Freudenmädchen von ganz Toren sein wirst?«
»Wie meinst du das?«
Rozeas Lächeln wurde breiter. Sie griff nach Emerahls Arm und zog sie sacht zu dem Bett hinüber, wo sie sich beide setzten. »Mondschein ist schwanger. Ich kann sie nicht mitnehmen, und außerdem werde ich ohnehin bald eine neue Favoritin benötigen. Was ich von den Freiern über dich gehört habe, hat meine Meinung über dich bestätigt. Du verstehst dich sehr gut auf deine Arbeit. Du hast etwas an dir, das die Männer fasziniert. Ich möchte, dass du die neue Favoritin wirst. Da dies jedoch eine Position ist, die man sich verdienen muss, wirst du mit den Mädchen aufbrechen und deine neue Rolle übernehmen, wenn wir...«
»Ich möchte nicht die neue Favoritin sein«, unterbrach Emerahl sie.
Rozea zog die Augenbrauen hoch. »Warum nicht? Du wirst weniger Freier haben und dann nur die besten von ihnen. Du wirst zehnmal so viel verdienen wie jetzt.«
»Aber Panilo...«
»Wenn er einen besonderen Platz in deinem Herzen einnimmt, darfst du ihn weiterhin sehen.« »Ich möchte Porin nicht verlassen.«
Rozea richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich werde dir ein paar Tage Zeit geben, um darüber nachzudenken. Aber ich muss dich warnen, Jade. Die Bequemlichkeit und die Sicherheit, die du hier hast, müssen wohlverdient sein. Ich erwarte, dass du mich begleitest, ob als Favoritin oder nicht.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Tür. »Geh jetzt.«
Emerahl verbeugte sich knapp und verließ den Raum. Der Krampf in ihrem Magen war zu einem harten Knoten der Angst geworden. Sie betrachtete die anderen Huren, die sich aufgeregt miteinander unterhielten, und seufzte. Ich dachte, ich hätte einen Ort gefunden, an dem ich mich verbergen kann. Stattdessen soll ich die bekannteste Hure der Stadt werden. So viel zur Anonymität der Prostitution! Sie dachte über ihre Möglichkeiten nach. Sie könnte das Bordell jetzt verlassen und allein und schutzlos mit einer begrenzten Menge an Geld im halbleeren Porin zurückbleiben. Falls Rozea mich überhaupt bezahlt. Emerahl biss sich auf die Unterlippe. Oder ich könnte mit Rozea und den Mädchen die Stadt verlassen.
Rozea würde wahrscheinlich ganz am Ende des Truppenzugs reisen, noch nach den Vorratswagen. Die Priester würden die Armee anführen, so dass ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen gelten würde. Aber der Priester, der nach ihr suchte, könnte durchaus erraten, dass sie diese Chance nutzte, um die Stadt zu verlassen. Er würde vielleicht zurückbleiben, um nach ihr Ausschau zu halten. Es ist wirklich zermürbend. Ich weiß nicht einmal, ob der Priester noch an den Toren nach mir suchen lässt. Es gefiel ihr nicht, auch nur die kleinsten Risiken einzugehen. Ein winziger Fehler konnte ihren Tod bedeuten. Sie hatte lange gelebt, und je länger sie lebte, umso mehr hing sie am Leben.
Entweder das, oder ich bin einfach zu einem noch größeren Feigling geworden.
Dann muss ich meine Feigheit überwinden. Manchmal muss man Risiken eingehen, oder man sitzt irgendwo erbärmlich in der Falle. Also, welches Risiko ist das schlimmere?
Es war vielleicht ungefährlicher, die Stadt mit den Huren zu verlassen als ganz allein. Wenn sie nur eine Frau unter vielen war, würden die Priester möglicherweise nicht so genau hinsehen. Andererseits würde sie vielleicht auffallen, weil sie die Einzige war, deren Gedanken sie nicht lesen konnten.
Es sei denn natürlich, sie glaubten, es gebe einen guten Grund für meinen Mangel an Gedanken.
Einen guten Grund ...Ich könnte zum Beispiel tot sein... oder bewusstlos.
Ein kalter Schauer überlief sie. Sie wollte sich nicht noch einmal tot stellen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Aber wenn sie sich in einen Zustand der Bewusstlosigkeit versetzte... Es gab viele Möglichkeiten, das zu tun, und sie waren nicht alle unangenehm. »Was ist los, Jade?«
Emerahl drehte sich um und sah Brand hinter sich stehen. »Rozea hat mir befohlen, mich der Armee anzuschließen.«
Brand schnaubte. »So viel zu ihrem Gerede, sie würde uns die Wahl lassen. Wirst du deine Familie besuchen, bevor du aufbrichst?«
»Nein, und du?«
Das Mädchen zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich. Ich mag sie nicht besonders, aber die Chance, für einen Tag aus dem Bordell fortzukommen, möchte ich mir nicht entgehen lassen.«
Emerahl runzelte die Stirn. Sie bezweifelte, dass Rozea ihr gestatten würde, fortzugehen. Wie sollte sie an die Substanzen kommen, die sie in Bewusstlosigkeit versetzen konnten?
Dann ging ihr die naheliegende Lösung auf. Sie senkte die Stimme. »Könntest du mir einen Gefallen tun, Brand?«
Das Mädchen lächelte. »Kommt darauf an, was es ist.«
»Ich werde wahrscheinlich eine Kleinigkeit brauchen, um mich auf dieser Reise zu entspannen. Könntest du, wenn du das Bordell verlässt, etwas für mich kaufen?«