Als ihr Plattan schließlich vor dem Turm Halt machte, wartete Danjin darauf, dass sein Vater als Oberhaupt ihrer Familie zuerst ausstieg, aber der alte Mann rührte sich nicht. Er sah Danjin nur mit ernster Miene an.
»Pass auf dich auf, Danjin«, sagte er leise. »Du magst nicht mein Lieblingssohn sein, aber du bist mein Sohn, und ich möchte dich nicht verlieren.«
Danjin musterte seinen Vater voller Überraschung, während der alte Mann sich nun erhob und aus dem Plattan stieg. Kopfschüttelnd folgte er ihm.
Das ist es also, womit ich seine Zuneigung erringen kann. Nun, ich habe nicht die Absicht, jedes Mal in den Krieg zu ziehen, wenn ich mir wünsche, dass er mir auch nur die kleinste Anerkennung entgegenbringt.
»Ich muss meinen Platz einnehmen«, sagte Danjin, als der Plattan davonfuhr. »Gib auf dich Acht, Vater. Und auf meine Brüder.«
»Ich werde das nächste Jahr wahrscheinlich damit zubringen, meine Verluste wettzumachen, die mir durch die fehlenden Geschäfte mit Sennon entstanden sind«, brummte Pa-Speer leise. »Wie dem auch sei, geh jetzt. Nimm deinen Platz in diesem wenig gewinn trächtigen, aber notwendigen Krieg ein.«
Danjin lächelte. Er ist wieder ganz der Alte, schroff wie eh und je. Er nickte höflich, dann wandte er sich ab, um nach den anderen Ratgebern Ausschau zu halten.
Die Ratgeber der Weißen würden gemeinsam in einem Tarn abreisen, sobald die Parade die Stadt verlassen hatte. Mari hatte Danjin nicht gesagt, wo er sie treffen würde, aber er hatte eine gute Vorstellung davon, wie er sie finden konnte. Nachdem er einige Minuten gesucht hatte, entdeckte er eine kleine Gruppe von Männern und Frauen, die die gleiche Uniform trugen wie er selbst. Sie schienen sich mit ihren neuen Kleidern ungefähr genauso wohlzufühlen wie er, stellte er fest.
Sie standen im Kreis neben dem Podest versammelt, das errichtet worden war, damit die Weißen das Wort an die Armee richten konnten. Ihre Aufmerksamkeit galt irgendetwas oder irgendjemandem in ihrer Mitte. Als Danjin sie erreichte, sah er, dass Rian zu ihnen sprach. Er trat in eine Lücke in den Kreis.
»Ratgeber Danjin Speer.« Rian sah ihn kurz an, dann wandte er sich wieder der ganzen Gruppe zu. »Jetzt, da ihr alle hier seid, möchte ich euch jemanden vorstellen.«
Rian blickte über die Schulter, dann trat er zurück. Zu Danjins Überraschung stand, ein wenig abseits von der Gruppe, eine Traumweberin. Rian winkte sie zu sich, und sie kam mit wachsamer Miene näher.
»Traumweberratgeberin Raeli. Sie tritt an die Stelle von Traumweber Leiard, der von seinem Amt zurückgetreten ist, um sich der Ausbildung seines Schülers zu widmen.«
Die Ratgeber nickten höflich, aber die Frau erwiderte die Geste nicht. Sie sah Danjin an, und ihm wurde bewusst, dass er sie überrascht angestarrt hatte.
»Dann wünsche ich ihm alles Gute«, sagte Danjin zu ihr. »Er war ein hilfreicher und verlässlicher Ratgeber.«
Die Frau reagierte auf diese Bemerkung mit einem flüchtigen Nicken, dann wandte sie den Blick ab. Danjin sah Rian an. Wusste Auraya von dieser Wendung der Ereignisse? Sie hatte gestern Abend, als sie durch den Ring zu ihm gesprochen hatte, nichts davon erwähnt. Er überlegte, ob er Rian danach fragen sollte, aber der Weiße hatte sich abrupt abgewandt und schaute jetzt zu dem Podest hinüber. Davor hatte sich eine große Gruppe Hohepriester und -priesterinnen versammelt. Hinter ihnen standen die übrigen Mitglieder der Priesterschaft und dahinter die Armee. Danjin konnte die Federbüsche auf ihren Helmen sehen – blau für die Hanianer und rot und orange für die Somreyaner.
»Ich muss euch jetzt verlassen«, erklärte Rian. »Wir werden jeden Augenblick beginnen.«
Er machte mit einer Hand das Zeichen des Kreises, eine Geste, die alle Ratgeber mit Ausnahme der Traumweberin erwiderten, dann eilte er davon, um sich zu Juran, Dyara und Mairae zu gesellen. Nach einer kurzen Unterredung stiegen die vier Weißen die Treppenstufen zum Podest hinauf.
Sofort senkte sich Stille über die Menge. Die Weißen stellten sich in einer Reihe auf. Als die Drittstärkste unter ihnen hätte Auraya normalerweise in der Mitte der Reihe gestanden, ging es Danjin durch den Kopf. Ob sie wohl zusah?
Natürlich tut sie das, dachte Danjin. Aber sie wird sich mit den anderen Weißen vernetzen. Sie haben von dort oben den besten Blick. Es muss ein beeindruckendes Bild sein.
Juran trat vor und hob die Arme. Als die letzten wenigen Stimmen zu einem Murmeln verklungen waren, ließ er die Arme wieder sinken. »Männer und Frauen von Hania und Somrey. Treue Freunde und Verbündete. Ich danke euch allen, dass ihr meinem Ruf zu den Waffen gefolgt seid. Heute werden wir uns auf den Weg zu den Goldebenen machen. Dort werden wir uns mit den Truppen aus Genria, Toren und Si vereinen, um eine einzige gewaltige Armee zu bilden. Es wird ein ehrfurchtgebietender Anblick sein. Noch nie zuvor waren so viele Völker Nordithanias für ein gemeinsames Ziel vereint. Es wird gleichfalls ein schreckliches Bild sein, denn was uns zusammenführt, ist ein Krieg – und zwar kein Krieg, den wir selbst verursacht hätten. Es ist ein Krieg, den die Pentadrianer, ein törichtes und barbarisches Volk, über uns gebracht haben.« Er hielt inne. Seine Stimme war dunkel vor Verachtung gewesen, als er den Namen des heidnischen Kults ausgesprochen hatte.
»Ich will euch erzählen, was ich über diese Pentadrianer weiß. Sie behaupten, fünf Göttern zu huldigen, genau wie wir es tun. Aber diese Götter sind falsch. Die Pentadrianer müssen Männer und Frauen versklaven und verführen, damit sie diesen Göttern huldigen, und sie haben sich auf den Weg nach Nordithania gemacht, um uns dazu zu zwingen, das Gleiche zu tun. Aber wir werden ihnen nicht nachgeben!« Seine Stimme wehte stark und wütend über den Platz.
Mehrere Menschen in der Menge bekundeten lautstark ihre Zustimmung.
»Wir werden unsere Götter nicht gegen diese verderbten Zaubererpriester eintauschen!«, fuhr Juran fort.
»Nein!«, kam die Antwort.
»Wir werden sie in ihre heidnischen Tempel zurücktreiben.«
»Ja!«
»Wir werden ihnen zeigen, was es heißt, realen Göttern mit realer Macht zu huldigen.«
Die Menge brach in Jubel aus. Juran lächelte und ließ den Menschen Zeit, ihre Begeisterung herauszuschreien, bevor er abermals das Wort ergriff.
»Die Götter haben uns, den Weißen, große Macht anvertraut, damit wir euch schützen können. Wir haben eine eigene Armee zusammengerufen. Wir Zirkler sind nicht gewalttätig. Wir finden keinen Gefallen an Blutvergießen. Aber wir werden uns verteidigen. Wir werden einander verteidigen. Wir werden unser Recht verteidigen, dem Zirkel der Götter zu huldigen. Und wir werden siegen!«
Er hob den Arm und schüttelte drohend die Faust. Die Reaktion der Menge war ohrenbetäubend. Danjin verkniff sich ein Lächeln. Im hellen Sonnenschein und mit Jurans Zuversicht, die sie alle ansteckte, war es schwer, sich vorzustellen, dass sie diese Schlacht verlieren würden. Nicht dass ich mir überhaupt vorstellen könnte, die Schlacht zu verlieren, ging es ihm durch den Kopf. Wie könnten wir auch scheitern, wenn wir die Götter auf unserer Seite haben?
»Folgt uns jetzt«, übertönte Juran die Jubelrufe. »Folgt uns in den Krieg!«
Er trat von dem Podest und stieg auf seinen Träger. Die anderen Weißen folgten seinem Beispiel. Sie trieben ihre prächtigen, weißen Reyna in die Menge. Die Hohepriester traten zurück, um ihre Anführer passieren zu lassen.
Nach und nach schlossen sich alle anderen an. Danjin bewegte sich auf das Podest zu und ging einige Stufen hinauf, um die gewaltige Menschenmenge zu beobachten, die in einer Marschkolonne den Tempel verließ. Als er fernen Jubel hörte, blickte er über die Köpfe der Menschen hinweg. Die Weißen waren soeben durch den Bogengang in die Stadt gezogen. Er stieg noch eine weitere Stufe hinauf und sah, dass die Straßen von Zuschauern gesäumt waren.