Wahrscheinlich. Es gibt nur ein Problem: Wenn die Situation die Frauen dazu zwingt, in die Schlacht zu ziehen, wird keine Zeit mehr bleiben, um sie auszubilden. Und nun such dir einen anderen Geist.
Leiard folgte Jayim. Der Junge berührte die Geister der Traumweber, die um ihr Zelt herum lagerten. Bei einer von ihnen nahmen sie jähe Angst wahr, aber der Grund dafür war nicht die Berührung. Es war etwas anderes. Eine Gestalt in der Dunkelheit jenseits des Lagers...
Warte. Geh zurück.
Jayim hielt inne, dann wandte er sich wieder dem Geist der erschrockenen Traumweberin zu. Durch ihre Augen sah er eine Gestalt aus der Dunkelheit heraustreten. Eine Priesterin. Eine Hohepriesterin. Als die Frau näher kam, erkannte die Traumweberin sie, und eine gewisse Erleichterung stieg in ihr auf. Es ist die Weiße, die uns freundlich gesinnt ist. Auraya.
Auraya. Freude und Furcht strichen gleichzeitig durch Leiards Körper. Sie ist gekommen, um nach mir zu suchen.
Sieht so aus, als würden meine Lektionen heute Abend früh enden, bemerkte Jayim selbstgefällig.
Wir werden die verlorene Zeit morgen nachholen, erwiderte Leiard.
Dann erwarte ich von dir, dass du dafür sorgst, dass sich mein Opfer auch lohnt.
Leiard seufzte. Der Junge war genauso schlimm wie Mirar.
Genug, Jayim. Versichere dich deiner Identität.
Während Jayim das Ritual vollzog, konzentrierte sich Leiard ebenfalls auf das Gefühl seiner selbst. Ich bin Leiard, Traumw...
Und ein Narr, unterbrach ihn eine Stimme in seinen Gedanken. Du wusstest, dass sie zu der Armee stoßen würde, und trotzdem bist du zusammen mit den anderen Traumwebern gereist, obwohl du eigentlich in die andere Richtung hättest laufen müssen.
Mirar. Leiard seufzte. Wann werde ich dich endlich los?
Wenn du wieder zu Verstand gekommen bist. Es ist nicht deine Identität, mit der du Probleme hast, es sind deine Lenden.
Ich bin nicht hier, um Auraya zu treffen, dachte Leiard entschieden. Ich bin ein Traumweber.
Es ist meine Pflicht, die Opfer dieses Krieges zu versorgen.
Lügner. Es ist deine Pflicht, deine Leute zu schützen, entgegnete Mirar. Wenn diese Zirkler, die du glaubst versorgen zu müssen, herausfinden, dass du ihre Hohepriesterin verführt hast, werden sie nach ihren Schwertern greifen und jeden Traumweber töten, den sie finden können. Es wird eine hübsche kleine Aufwärmübung für die Schlacht mit den Pentadrianern sein.
Ich kann nicht einfach verschwinden, protestierte Leiard. Ich muss ihrer klären, warum ich fortgehen muss.
Das weiß sie bereits.
Aber ich muss mit ihr reden, um ihr...
Und was willst du ihr sagen? Dass du einen schönen, entlegenen Ort kennst, der wie geschaffen ist für eine kleine Liebelei? Das kannst du ihr in einem Traum sagen, und bei der gleichen Gelegenheit kannst du ihr erklären, warum du... »Leiard?«
Es war Jayim. Leiard öffnete die Augen. Der Junge starrte ihn an.
»Es ist nicht besser geworden, nicht wahr?«
Leiard erhob sich. »Ich habe seit Wochen nicht mehr die Kontrolle an ihn verloren. Das ist durchaus eine Verbesserung. Ich nehme an, es wird seine Zeit dauern.«
»Falls ich irgendetwas...«
»Hallo? Leiard?«
Beim Klang dieser Stimme überlief Leiard ein Schauder. Es war Aurayas Stimme. Er hatte sie seit Monaten nicht mehr gehört, und sie brachte Erinnerungen an Träume mit sich, die sie geteilt hatten, Echos jener ersten gemeinsamen Nacht. Sein Herz begann zu rasen.
Er brauchte sie lediglich hereinzubitten. Er holte Luft, um zu sprechen, und wartete auf Mirars Protest, aber der Geist, der sich in dem seinen eingenistet hatte, blieb still. Vielleicht aus Vorsicht. Wenn Mirar sprach, würde Auraya ihn hören und...
»Leiard?«
»Ich bin hier. Komm herein, Auraya.« Die Lasche wurde geöffnet, und Auraya trat ein. Leiard wurde eng um die Brust, und als er begriff, dass er die Luft angehalten hatte, stieß er den Atem langsam wieder aus. Sie hatte sich das Haar zu einem Zopf im Nacken geflochten, aber der Wind hatte – wahrscheinlich während des Fluges -einige Strähnen gelöst, die ihr jetzt ins Gesicht fielen. So war sie noch schöner, ging es ihm durch den Kopf. Zerzaust wie nach einer Nacht voller...
»Sei mir gegrüßt, Auraya von den Weißen«, sagte Jayim.
Sie sah den Jungen an und lächelte. »Sei mir gegrüßt, Jayim Bäcker. Wie kommst du mit deiner Ausbildung voran?«
»Gut«, antwortete der Junge.
Ihr Lächeln war sehr herzlich, verblasste jedoch ein wenig, als sie sich Leiard zuwandte.
»Ich habe gehört, dass du von deinem Amt zurückgetreten bist.«
Leiard nickte.
»Es war schön, dich wiederzusehen, Auraya«, warf Jayim ein. »Aber jetzt gehe ich wohl besser.«
Sie sah ihm nach, während er das Zelt verließ, dann drehte sie sich wieder zu Leiard um. »Er weiß Bescheid.«
»Ja. Ein Nachteil unserer Methoden, die Gedankenvernetzung zu lehren. Ich vertraue ihm.«
Sie zuckte die Achseln. »Dann tue ich es auch.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich verstehe, warum du zurückgetreten bist. Zumindest glaube ich, es zu verstehen. Du musstest es tun, für den Fall, dass man unsere Beziehung entdecken und verurteilen würde.«
»Ich bin nicht nur zurückgetreten, um die Traumweber zu schützen«, erwiderte er, und der Nachdruck, mit dem er sprach, überraschte ihn selbst. »Ich habe es auch getan, damit wir... damit wir uns auch in Zukunft treffen können.«
Ihre Augen weiteten sich, dann lächelte sie, und ihre Wangen röteten sich. »Ich muss zugeben, dass ich ein wenig beunruhigt war. Die Traumvernetzungen haben aufgehört, und ich habe zwei Nächte gebraucht, um dich zu finden.«
Er ging auf sie zu und griff nach ihren Händen. Ihre Haut war so weich. Sie blickte zu ihm auf, und ein kleines, sinnliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihr Duft war verführerisch schwach und weckte in ihm den Wunsch, tief einzuatmen.
Was soll ich sagen? Er blinzelte und versuchte sich zu erinnern. Ah, ja.
»Ich musste einige Entscheidungen treffen«, erklärte er. »Entscheidungen, die man am besten allein trifft.« Er konnte durch ihre Hände ihre Anspannung spüren.
»Und wie sieht deine Entscheidung aus?«
»Ich habe mich dafür entschieden...« Er hielt inne. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht begriffen, wie nahe er daran gewesen war, Mirar nachzugeben. Das Leben wäre leichter gewesen, wenn er einfach fortgelaufen wäre. Jetzt, da er wieder mit Auraya zusammen war – sie sah, sie berührte -, wusste er, dass er nicht vor ihr davonlaufen konnte. Sie würde ihn Tag und Nacht verfolgen.
»Ich habe entschieden, dass nur eins zählt: Wir müssen sein, wer wir sind«, sagte er.
»Du bist eine der Weißen. Ich bin ein Traumweber. Wir sind Liebende. Wenn wir das leugneten, würden wir leugnen, wer wir sind. Es wäre falsch, zuzulassen, dass andere durch unsere Liebe Schaden nehmen. Das wissen wir beide. Also...«
»Also?«
»Wir können uns nur in aller Heimlichkeit treffen.«
»Wo?«
»Weit fort von Jarime. Mir schwebt da ein bestimmter Ort vor. Ich werde dir in einem Traum die Beschreibung des Weges dorthin schicken.«
Ihre Mundwinkel zuckten. »Nur die Beschreibung des Weges? Sonst nichts?«
Er lachte leise. »Du findest ein wenig zu viel Gefallen an diesen Träumen, Auraya. Ich hatte schon Angst, dass du sie mir vorziehen würdest.«
Sie umfasste seine Hände ein wenig fester. »Nein, ich ziehe die Wirklichkeit immer noch vor. Oder... zumindest glaube ich, dass ich das tue.« Sie blickte über seine Schulter hinweg zum Bett. »Vielleicht sollte ich mich davon überzeugen, dass es wirklich so ist.«