»Ja«, erwiderte Emerahl. »Und ich habe noch eine Überraschung für dich. Ich gehe fort. Ich will das Geld, das du mir schuldest.«
Rozea reagierte nicht sofort. Emerahl spürte, wie die Entrüstung der Frau sich langsam in Ärger verwandelte, als ihr klar wurde, dass sie ihre Lieblingshure nicht an einer Flucht hindern konnte. »Wenn du jetzt fortgehst, verlässt du mich ohne eine Münze.«
Emerahl zuckte die Achseln. »Also schön. Aber erwarte nicht, dass du mich jemals wiedersehen wirst.«
Rozea zögerte. »Ich nehme an, ich könnte dir etwas zu essen und einige Münzen geben. Genug für dich, um nach Porin zurückzureisen. Wenn ich wieder in der Stadt bin, reden wir über den Rest. Wie hört sich das an?«
»Vernünftig«, log Emerahl.
»Gut – aber bevor du gehst, erzähl mir, warum du glaubst, uns verlassen zu müssen. Liegt es an den unerfreulichen Ereignissen dieses Tages? Wir hatten Pech, aber wenn du mit uns zusammen reist, dürfte das immer noch sicherer sein, als sich allein durchzuschlagen. Du kennst die Huren, die ohne Schutz hinter der Armee hertrotten, und du weißt, wie krank und zerschunden sie aussehen.«
»Ich habe nicht die Absicht, meinen Körper zu verkaufen. Ich kann mir eine Arbeit als Heilerin suchen.«
»Du? Warum sollten die Leute dich bezahlen, wenn sie unentgeltlich die Dienste eines Priesters oder eines Traumwebers in Anspruch nehmen könnten?«
»Wenn die Menschen keine Wahl haben, nehmen sie jede Hilfe, die sich ihnen bietet. Zwischen hier und Porin können nicht mehr viele Traumweber oder Priester zurückgeblieben sein. Sie haben sich alle der Armee angeschlossen.«
»Da irrst du dich. Viele Heiler, die zu alt zum Reisen sind, sind zurückgeblieben.« Die Stimme der Frau wurde weicher. »Bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst, Jade? Es wäre schrecklich für mich, wenn dir etwas Schlimmes zustoßen würde. Du denkst, einige Gaben würden dir Sicherheit gewähren, aber da draußen gibt es Männer, die von Natur aus grausam sind und über stärkere Kräfte verfügen.«
Emerahl senkte den Blick.
»Wie stehen die Chancen, dass ein Mädchen von deinem Aussehen keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich lenkt, wenn es allein reist? Hier bei uns bist du sicherer. Sobald wir die Armee eingeholt haben, werde ich neue Wachen in Dienst nehmen. Was hältst du davon?«
»Ich könnte vielleicht...« Emerahl biss sich auf die Unterlippe.
Rozea beugte sich vor. »Ja? Sprich.«
»Ich möchte einen Kunden ablehnen können, wenn er mir nicht gefällt«, sagte Emerahl und sah Rozea in die Augen. »Ich will jeden dritten Abend freihaben.«
»Solange du nicht alle Kunden zurückweist, wäre das wohl eine annehmbare Regelung für eine Favoritin, aber die Forderung, jeden dritten Abend freizuhaben, ist unvernünftig. Wie wäre es mit jedem sechsten Abend?«
»Jedem vierten.«
»Jedem fünften, und ich werde dein Honorar erhöhen.« »Welchen Sinn hätte das? Du wirst mich ohnehin nicht bezahlen.«
»Ich werde dir das Geld geben, wenn du es brauchst – und ich habe genug, um neue Wachen zu bezahlen.« Die Frau hielt inne. »Also gut«, sagte sie langsam. »Ich werde deine Forderungen akzeptieren.« Sie lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und lächelte.
»Solange du mir dein Wort gibst, dass du während des nächsten Jahres bei mir bleiben wirst.«
Emerahl öffnete den Mund, um das Angebot anzunehmen, dann zögerte sie. Sie sollte nicht allzu leicht nachgeben.
»Sechs Monate.«
»Acht?«
Emerahl seufzte und nickte. Rozea beugte sich vor und tätschelte ihr das Knie.
»Wunderbar. Und jetzt bleib hier, während ich feststelle, ob es den Männern bereits gelungen ist, diesen Baum aus dem Weg zu schaffen.«
Als Rozea aus dem Wagen stieg, sah Emerahl Stern an und lächelte grimmig. Sie hatte nicht die Absicht, ihr Wort zu halten. Sobald die Karawane sich der Armee näherte und die Mädchen in Sicherheit waren, würde sie gehen. Die Bedingungen, die sie gestellt hatte, würden ihr bis dahin als Schutz dienen.
Und vielleicht kann ich es irgendwie einrichten, dass wir zu weit hinter die Armee zurückfallen, um den Adligen und Priestern die Möglichkeit zu gehen, unser Lager aufzusuchen, dachte sie. Sobald Aurayas Füße den Boden berührten, sprang Unfug von ihrer Schulter und lief in ihr Zelt. Auraya folgte ihm langsam. Als sie sich dem Lager genähert hatte, hatte sie das Licht im Innern des Zeltes gesehen. Sie konnte jedoch keinen menschlichen Geist dort wahrnehmen, daher wusste sie, dass einer der Weißen auf sie warten musste.
»Mrae! Mrae!«
»Hallo, Unfug.«
Auraya entspannte sich ein wenig, obwohl sie nicht recht wusste, warum sie lieber mit Mairae sprechen wollte als mit einem der anderen Weißen. Wahrscheinlich lag es daran, dass Mairae selbst so viele Geliebte gehabt hatte. Von allen Weißen war sie diejenige, die es am wenigsten stören würde, dass Auraya nun ebenfalls einen Geliebten hatte.
Die Zeltlasche war nicht verschlossen. Auraya spähte hinein und sah Mairae auf einem der Stühle sitzen. Im Licht der Lampen wirkte sie noch jünger und schöner als sonst. Sie blickte Auraya an und lächelte.
»Hallo, Auraya.«
Auraya trat in das Zelt. »Ist etwas passiert?«
»Nichts Neues.« Mairae zuckte die Achseln. Ihr Lächeln nahm mit einem Mal etwas Gezwungenes an. »Ich konnte nicht schlafen, daher habe ich beschlossen, dich zu besuchen. Es scheint, als hätte ich überhaupt keine Gelegenheit mehr, mit jemandem zu reden. Immer geht es nur um Krieg und Politik, und normale Gespräche zwischen zwei Menschen sind praktisch unmöglich geworden.«
Auraya vermutete jedoch, dass noch mehr hinter Mairaes Besuch steckte. Irgendetwas machte der anderen Frau zu schaffen. Auraya brauchte ihre Gedanken nicht zu lesen, um das zu begreifen. Sie ging zu der Truhe hinüber, die Danjin für sie gepackt hatte. Sie öffnete den Deckel und nahm zwei Kelche und eine Flasche Tintra heraus.
»Etwas zu trinken?«
Mairae grinste. »Sehr gern.«
Auraya füllte die Kelche. Mairae nahm den ihren entgegen und trank.
»Also, wo bist du heute Abend gewesen? Bist du nur ein wenig umhergeflogen?«
Auraya zuckte die Achseln. »Ja.«
»Juran scheint erpicht darauf zu sein, den Pentadrianern endlich gegenüberzutreten. Ist dir das auch aufgefallen?«
»Ich hätte nicht gesagt, dass er ›erpicht‹ darauf ist. Eher... nun ja, wenn er etwas tut, will er seine Sache gut machen. Wie stehst du dazu?«
»Ich... ich habe Angst davor«, gestand Mairae und zog eine Grimasse. »Und du?«
»Ich freue mich jedenfalls nicht darauf.« Auraya lächelte schief. »Allerdings habe ich keine Zweifel. Wir werden siegen. Dafür werden schon die Götter sorgen.«
Mairae seufzte und nahm noch einen Schluck Tintra. »Es ist nicht die Möglichkeit einer Niederlage, die mir zu schaffen macht. Mir graut vor dem Töten... vor dem Blutvergießen.«
Auraya nickte.
»Aber du wirkst keineswegs besorgt«, bemerkte Mairae.
»Oh, der Schein trügt. Wann immer meine Gedanken zu diesem Thema wandern, versuche ich, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Es wird schrecklich werden. Dessen können wir gewiss sein. Aber es hat keinen Sinn, mich jetzt schon damit zu quälen, dass ich mir ausmale, wie schrecklich es werden wird. Es wird schlimm genug sein, wenn es geschieht.«
Mairae musterte Auraya nachdenklich. »Ist das der Grund, warum du während der letzten Nächte umhergeflogen bist? Versuchst du, dich abzulenken?«
»Wahrscheinlich.«
Mairae zog vielsagend die Augenbrauen hoch. »Ist diese Ablenkung ein ›er‹?«
Auraya blinzelte überrascht, dann lachte sie. »Wenn es doch nur so wäre!« Sie füllte Mairaes Kelch wieder auf und beugte sich vor. »Meinst du, ich könnte Juran dazu überreden, das Gesetz zu widerrufen, das verbietet, die Dienste eines Traumwebers zu benutzen?«
Mairae sah sie fragend an. »Es überrascht mich, dass du es nicht bereits versucht hast.«