»Natürlich.« Tryss’ Wangen röteten sich. Die Lösung war offenkundig. »Auraya wird ihn retten.«
»Nein.« Sirri legte Tryss die Hand auf die Schulter. »Sie würde gegen fünf mächtige pentadrianische Zauberer und all ihre Priester und Priesterinnen kämpfen müssen. Allein würde auch sie nicht überleben. Wenn wir einen Siyee weniger haben, können wir diesen Krieg vielleicht gewinnen, aber ich bezweifle, dass wir eine Chance hätten, wenn wir auf eine Weiße verzichten müssten.«
Tryss starrte sie ungläubig an. »Dann geben wir also einfach auf?« Zorn wallte in ihm auf. »Es hätte mich treffen können. Ich wollte die Späher anführen, aber du hast gesagt, ich wäre hier, bei der Arbeit mit Liedmacher, nützlicher.«
»Tryss...«, murmelte Drilli.
»Und das ist auch richtig«, erklärte Sirri entschieden. »Ich trauere genauso wie du, Tryss, aber ich bin trotzdem froh, dass du nicht an Tireels Stelle geflogen bist. Ich brauche dich hier. Tireel hat möglicherweise viele von uns gerettet. Wir wissen jetzt über die schwarzen Vögel Bescheid. Wir haben Zeit, Dinge zu erfinden, mit denen wir sie bekämpfen können.«
Er sah sie scharf an. Etwas an der Art, wie sie das Wort »erfinden« ausgesprochen hatte, weckte in ihm den Verdacht, dass sie den Ausdruck bewusst gewählt hatte, um ihn abzulenken. Natürlich hat sie das getan, sagte er sich. Sie versucht, meine Aufmerksamkeit von Tireels Schicksal auf etwas Wichtigeres zu lenken – auf unser aller Sicherheit.
Er brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Dann sollten wir besser anfangen, Pläne zu schmieden.«
Sie klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. »Genau deshalb habe ich eine Versammlung einberufen. Die Landgeher können heute ohne uns aufbrechen. Wir werden sie später einholen, nachdem wir diese Angelegenheit unter uns besprochen haben. Heute Abend werden wir beide dem Kriegsrat unsere Pläne vorlegen.« Sie wandte sich von ihm ab und blickte mit schmalen Augen über seine Schulter. »Da ist Sprecher Vreez. Ich muss jetzt gehen. Ich hoffe, du wirst einige Ideen entwickeln, die ich meinem Stamm vorlegen kann, Tryss.« »Das werde ich«, versprach er.
Nachdem sie gegangen war, spürte Tryss Drillis Hand in seiner. »Wenn ich mich noch einmal darüber beklage, dass du die ganze Nacht hindurch mit Liedmacher geredet hast, gib mir einen Tritt«, flüsterte sie.
Als der letzte gewaltige Baumstamm über die Straße gesenkt wurde, hörte Kar Schritte hinter sich. »Die gefällt mir bisher am besten.«
Kar drehte sich zu dem Mann hinter ihm um. Fin, Lem der Tarrep-Krieger, war recht groß für einen Dunweger. Er war ein gutaussehender Bursche und trug seinen Bart kurz geschnitten. Die Tätowierungen auf seinem Gesicht betonten leicht schräg stehende Augen und einen intelligenten Blick.
»Ich sehe, dass das versteckte Pfeilbienennest das eigentliche Hindernis ist. Aber warum hast du zu beiden Seiten Feuer entzündet?«, fragte Fin.
»Rauch macht Pfeilbienen benommen«, erklärte Kar. »Bei dem Holz handelt es sich um Myttenholz. Es brennt langsam und produziert, wenn es noch grün ist, viel Rauch. Der Rauch wird die Bienen in ihrem Stock festhalten, bis man die Holzscheite bewegt.«
»Und auf diese Weise verringert sich die Gefahr, dass einige vereinzelte Pfeilbienen ihren Stamm vor der Falle warnen.« Fin nickte. »Ich verstehe.«
Er rief den Feuerkriegern und den Mitgliedern seines Clans einige Anweisungen zu, dann wandte er sich ab. Kar folgte seinem Anführer die Straße zum Pass hinauf. Die übrigen Männer schlossen sich ihnen schweigend an, wobei die letzten in einem offenen Tarn saßen, in dem das Werkzeug für ihre Fallen transportiert wurde.
Der Weg war gewunden und an manchen Stellen ziemlich steil. Kar hielt konzentriert Ausschau nach geeigneten Stellen für seine Fallen. Er hatte noch immer einige Ideen, die er ausprobieren wollte, brauchte dafür jedoch das richtige Gelände. Nachdem sie eine Stunde marschiert waren, kamen sie um eine Biegung des Passwegs, und Kar blieb stehen. »Ah.«
Fin lächelte. »Ich dachte mir schon, dass dir das gefallen würde.«
Die Straße führte steil zwischen zwei Felswänden hindurch. Die Felsen neigten sich nach innen, so dass sie einander beinahe berührten. Zwischen ihnen eingekeilt befand sich ein riesiger Felsbrocken.
Kar strich sich über den Bart, dann setzte er sich wieder in Bewegung, um die Felswände näher in Augenschein zu nehmen. Sie wiesen zahlreiche Spalten auf, die bis zur Höhe des eingekeilten Felsbrockens sichtbar waren. Er setzte die Inspektion der Wände fort; am Ende der Passage wichen sie voneinander zurück und bildeten die Flanken einer engen Schlucht, die mit Felsen und gewaltigen Steinen übersät war. Die Straße verlief dort gewunden weiter.
Schließlich drehte er sich um und ging zurück. Als er aus der Passage trat, entdeckte er, worauf er gehofft hatte.
Direkt über der Biegung, dort, von wo er den eingeklemmten Felsbrocken zuerst gesehen hatte, befand sich ein breiter Felssims. Mit einem zufriedenen Seufzen winkte er die Feuerkrieger zu sich heran und erklärte ihnen, was sie tun sollten. In weniger als einer Stunde waren sie fertig. Die Feuerkrieger wirkten müde. Ihre Aufgabe hatte stete Konzentration erfordert, und trotz der Kälte glänzten Schweißperlen auf ihren Gesichtern, und ihre goldenen Stirnbänder waren stumpf von Staub. Er hoffte, dass sie nicht zu erschöpft für ihre nächste Aufgabe sein würden. Über sich konnte er gerade noch die beiden dünnen Seile erkennen, die durch kleine, in den Fels eingelassene Eisenringe in den Spalten der Felswände nach oben führten. Sie endeten an sandgefüllten Säcken auf dem Felssims, die einen sorgfältig aufgeschichteten Haufen von Felsbrocken hielten.
Dann schnitt er die Seilzüge entlang der Felswand ab. Sein Gehilfe folgte ihm durch die enge Passage. Dem Felsblock über ihm schenkte er dabei nicht die geringste Beachtung. Am Ende der Passage traf er auf Fin, der dort auf ihn wartete.
Der Clanführer runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts, als Kar den Zaubererkriegern befahl, den nächstgelegenen der großen Steinbrocken vor den Eingang der Passage zu rollen. Fin verfolgte mit angespanntem Schweigen, wie kleine Eisenringe in die Oberfläche des Steins eingelassen und die Seilzüge hindurchgeführt und am letzten davon befestigt wurden. Erst als Kar die Arbeit an der Falle für beendet erklärte, bat er ihn um einige Erläuterungen.
»Du hast von dem eingekeilten Felsblock keinen Gebrauch gemacht.«
»Oh, doch«, versicherte ihm Kar. »Er dient zur Ablenkung.«
»Wie das?«
»Die Feinde werden sich um diesen Felsblock große Sorgen machen, weil sie fürchten, er könnte eine Falle sein. Dadurch werden sie die Seilzüge nicht bemerken.«
Fin nickte langsam. »Und wenn die Zauberer des Feindes diesen Felsblock hier unten aus dem Weg räumen, werden sie ein Stück hinter sich an der Biegung die kleine Felslawine auslösen. Diesmal ist dein Ziel nicht das Haupt, es sind die Eingeweide der feindlichen Armee.«
»Sie werden ihre Feuerkrieger an die Spitze ihrer Armee setzen, damit sie sie vor Fallen schützen und Hindernisse entfernen.«
Fin lachte leise. »Ich frage mich, was dir als Nächstes einfallen wird.«
Kar lächelte. »Wir haben die Säure noch nicht benutzt.« Er sah die Feuerkrieger an.
»Diese Aufgabe bedarf eines wachsamen, ausgeruhten Geistes, sonst bringen wir uns in Gefahr.«
»Ja. Wir alle brauchen Ruhe. Lasst uns einen Lagerplatz suchen.« Fin gab dem Mann, der den Tarn fuhr, ein Zeichen. »Bring uns etwas zu essen und Wasser.«
Während die Männer sich auf den Steinen niederließen, um zu rasten, betrachtete Kar die vor ihnen liegende Straße. Der Pass und Hania waren noch immer einen mehrstündigen Fußmarsch entfernt. Er, Fin und ihre Gehilfen waren weit hinter den Rest der dunwegischen Armee zurückgefallen, würden sie jedoch bald einholen. In ein oder zwei Tagen würden sie den Pass erreichen und sich der zirklischen Armee anschließen.