Er hielt inne und schluckte hörbar. Danjin bemerkte, dass Sirri den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen hatte. Bewunderung für die Anführerin der Siyee stieg in ihm auf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der torenische König auch nur eine Träne um einen toten Späher vergießen würde.
»Man hat mich ausgewählt, an seiner statt den Spähtrupp anzuführen«, fuhr Zeeriz fort. »Ich habe vier Männer zurückgelassen, um Tireel zu begraben, während ich mich mit den übrigen Spähern an die Verfolgung der Armee machte. Wir konnten sie nicht finden. Sie waren nicht länger der Straße gefolgt, und wir konnten sie auch in dem umliegenden Land nirgends entdecken.«
Juran runzelte die Stirn. »Keine Spuren?«
»Keine, die wir hätten finden können, aber wir sind ein Volk des Himmels und der Luft und verfügen nur über geringe Fähigkeiten als Fährtensucher. Das Land dort ist steinig und hart, so dass kaum Fußabdrücke zurückbleiben.«
»Vielleicht sind sie schneller marschiert, als ihr erwartet hattet«, sagte Dyara. Zeeriz schüttelte den Kopf. »Wir sind über einem großen Gebiet gekreist. Weiter können sie unmöglich binnen eines einzigen Tages gekommen sein. Als wir sie nicht finden konnten, habe ich beschlossen, bei Anbruch der Dämmerung zurückzukehren.«
König Berro beugte sich vor. »Es war Nacht, als ihr gesucht habt, nicht wahr?«
Nachdem diese Frage übersetzt worden war, sah der Siyee den Monarchen an und nickte.
»Dann ist offenkundig, was geschehen sein muss. Sie wussten, dass ihr nach ihnen suchen würdet, daher sind sie ohne Fackeln marschiert. Wahrscheinlich hattet ihr sie direkt unter eurer Nase, ohne sie zu sehen.«
»Große Gruppen von Landgehern machen eine Menge Lärm«, warf Sprecherin Sirri ein.
»Selbst wenn meine Späher sie nicht gesehen hätten, hätten sie sie doch gehört.«
»Es sei denn, die Truppen hatten den Befehl, leise zu sein«, konterte Berro. Zeeriz straffte sich. »Ich bin davon überzeugt, dass ich sie gehört hätte, wenn sie dort gewesen wären. Eine Armee dieser Größe kann sich nicht leise fortbewegen.«
»Ach?« Berro zog ungläubig die Augenbrauen hoch. »Woher willst du das wissen? Wie vielen Armeen dieser Größe bist du bisher begegnet?«
»Deine Armee haben wir schon einen halben Tag vor ihrer Ankunft gehört«, entgegnete Sirri spitz. »Selbst wenn deine Männer den Mund gehalten hätten, hätten wir sie trotzdem hören können.«
König Berro wollte gerade etwas erwidern, als ein anderer der Anwesenden das Wort ergriff.
»Es ist möglich, dass die Pentadrianer während der Nacht Zuflucht in den alten Minen gesucht haben«, sagte Jen von Rommel, der dunwegische Botschafter, mit sanftem Tonfall.
Danjin hörte, wie jemand ganz in seiner Nähe den Atem einsog. Als er sich umdrehte, sah er, dass Lanren Liedmacher die Augen weit aufgerissen hatte; offensichtlich war ihm die Bedeutung von Jens Worten klar.
»Minen?« Juran runzelte die Stirn. »Du sprichst von den alten Minen von Rejurik?«
Jen zuckte die Achseln. »Vielleicht. Ich vermute allerdings, dass es auch Minen jüngeren Datums gibt. Sie sind genauso weit verzweigt wie ihre berühmten Vorläufer, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie einstürzen, ist geringer. Manche Höhlen sind groß genug, um eine Armee darin zu verbergen. Aber warum jemand das tun sollte...« Er breitete die Hände aus. »Die Belüftung ist schlecht, so dass man auf Feuer und warmes Essen verzichten müsste. Wenn sie sich in den Minen versteckt haben, haben sie eine kalte Nacht hinter sich.«
»Wäre es möglich, dass sie durch die Berge nach Hania marschiert sind?«, wollte Lanren Liedmacher wissen.
Jen schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. So weit haben die Minen niemals gereicht.«
»Die Pentadrianer verfügen über eine große Zahl von Zauberern. Sie könnten die Minen mit Magie ausdehnen.«
»Nein«, widersprach Juran. »Es würde Monate, wenn nicht gar Jahre dauern, um einen Tunnel von solcher Größe auszuheben. Die Trümmer und das Geröll müssten abtransportiert werden. Außerdem müsste man Belüftungsschächte anlegen und Zauberer postieren, die Luft in die Höhlen ziehen, denn die natürliche Zirkulation würde für die Versorgung so vieler Menschen und Tiere nicht ausreichen.«
Als Zeeriz das hörte, wirkte er erleichtert. Danjin hatte Mitgefühl mit dem jungen Mann, der eilends von seiner Mission zurückgekehrt war, nur um erleben zu müssen, dass der torenische König seine Fähigkeiten auf derart geringschätzige Weise in Zweifel zog.
»Es klingt tatsächlich so, als hätten sie für die Nacht in den Minen Zuflucht gesucht«, sagte Berro und deutete dabei mit der Hand auf Zeeriz. »Vielleicht haben sie einen Angriff von unseren kleinen Spionen befürchtet.«
Kleine Spione. Danjin unterdrückte einen Seufzer. Berro war bekannt für seine Neigung, die Genrianer gegen sich aufzubringen. Es sah so aus, als sei er fest entschlossen, auch die Siyee zu beleidigen.
»Wenn die Armee morgen wieder auftaucht, werden wir davon erfahren, sobald unsere Späher zurückkehren«, erklärte Sirri.
»Falls sie sie gesehen haben.«
»Eine Armee dieser Größe ist aus der Luft schwer zu verfehlen«, warf Auraya ein.
»Selbst wenn sie nicht der Straße folgen, werden sie zu guter Letzt auf diesen Weg zurückkehren müssen, um sich dem Pass zu nähern. Es gibt nur eine einzige Straße, die durch die Berge führt.«
Berro nickte respektvoll. »Das ist wahr, Auraya von den Weißen.«
Die Tatsache, dass er ihre Worte ohne Widerspruch hinnahm, hob seine verletzende Haltung den Siyee gegenüber nur umso deutlicher hervor, fand Danjin. Auraya sah Juran an, der ihren Blick auffing und nickte.
»Hat jemand noch weitere Fragen an Sveel vom Schlangenflussstamm und Zeeriz vom Stamm des gegabelten Flusses?«, erkundigte sich Juran.
Schweigen folgte. Auraya wandte sich zu den beiden Spähern um. »Vielen Dank, dass ihr hergekommen seid und uns Bericht erstattet habt. Ihr seid müde und hungrig. Erlaubt mir, euch zu eurem Volk zurückzubegleiten.«
Als Auraya ging, wurde Danjin bewusst, dass Mairae ihn beobachtete. Er lächelte und neigte den Kopf. Ihre Mundwinkel zuckten, und in ihren Zügen lag ein unverkennbar nachdenklicher Ausdruck. Dann drehte sie sich um, um Auraya nachzuschauen. Sofort fiel ihm wieder das Gespräch ein, das er am vergangenen Tag mit der Weißen geführt hatte. Als sie ihn das nächste Mal mit fragend hochgezogenen Augenbrauen ansah, war ihm klar, was sie von ihm wissen wollte. Ich habe keine Ahnung, ob sie einen Geliebten hat, dachte er. Du vielleicht?
Sie lächelte und nickte.
Er blinzelte überrascht.
Wer ist es?
Sie zuckte die Achseln.
Er wandte, gleichzeitig beunruhigt und neugierig, den Blick ab. Ihm war unbehaglich bei dem Gedanken daran, dass Auraya das Bett mit einem Mann teilte – genauso erging es ihm jedes Mal, wenn er sich seine Töchter mit ihren Ehemännern vorstellte. Andererseits wollte er auch wissen, wer Aurayas Aufmerksamkeit erregt hatte. Er betrachtete die Männer im Zelt, aber von ihnen konnte es keiner sein. Mairae konnte ihre Gedanken lesen, daher würde sie es wissen, wenn einer von ihnen Aurayas Geliebter war. Also konnte es nur jemand sein, dessen Gedanken sie nicht zu lesen vermochte – oder jemand, dem sie noch nicht begegnet war.
Soweit er wusste, konnte kein Weißer die Gedanken eines anderen Weißen lesen. Er sah Mairae an. Also war es möglich...
Mairaes Augen weiteten sich entsetzt. Sie schüttelte den Kopf, und ein leichter Schauder schien sie zu überlaufen. Er lächelte. Offensichtlich fand sie die Idee, mit einem anderen Weißen das Bett zu teilen, abstoßend, was jedoch nicht bedeutete, dass Auraya der gleichen Meinung war. Da er Mairae nicht in Verlegenheit bringen wollte, verbannte er diese Möglichkeit aus seinen Gedanken.
Wenn Aurayas Geliebter keiner der Weißen war und sie ihn dennoch regelmäßig besuchte, musste er in der Armee sein.