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Er musterte sie eindringlich. »Meine Meinung steht hier nicht zur Debatte, Auraya. Du bist eine der Weißen. Deine erste Pflicht besteht darin, das Volk zu leiten und zu schützen. Du darfst Geliebte haben, aber sie dürfen nicht zwischen dir und dem Volk stehen. Wenn das doch einmal geschieht, musst du den Betreffenden aufgeben.«

»Er wird nicht...«

»Er wird. Er hat es bereits getan. Ich habe es in seinen Gedanken gesehen. Du hast das Gesetz gegen die Traumvernetzung gebrochen. Was kommt als Nächstes?«

»Ich hatte die Heilkünste der Traumweber schon vorher akzeptiert, Juran. Auch dagegen gibt es ein gleichermaßen lächerliches Gesetz. Du bist nicht töricht genug, um dies als Hinweis zu werten, dass ich die Gesetze im Allgemeinen nicht achte.«

»Du musst nach außen hin absolut gesetzestreu erscheinen«, erwiderte er. »Sonst wirst du den Respekt der Menschen verlieren. Du würdest in ihren Augen an Ansehen verlieren, sobald sie von deiner Affäre erfahren.«

»Nicht in dem Maße, wie du es glaubst. Nicht alle Menschen verabscheuen die Traumweber.«

»Die Mehrheit misstraut ihnen.« Er seufzte. »Auraya, ich wünschte, ich müsste das nicht von dir verlangen. Ich möchte dir nicht wehtun. Aber du musst Leiard aufgeben.«

Auraya schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht, Juran.«

»Oh, doch«, sagte er mit Nachdruck. »Irgendwann wirst du zurückblicken und erkennen, dass du richtig gehandelt hast, auch wenn es jetzt schmerzhaft sein mag. Du musst mir in dieser Sache vertrauen.«

Vertrauen? Dies hier hat nichts mit Vertrauen zu tun. Alles, was er gesagt hat, entspringt der Furcht. Furcht, dass ein Traumweber einen zu großen Einfluss auf mich gewinnen könnte.

Furcht, dass ich, wenn ich auch nur einen einzigen voreingenommenen Zirkler vor den Kopf stoße, alle anderen gegen uns aufbringen könnte. Vor allem aber fürchtet er jede Veränderung. Sie brachte ein Lächeln zustande. »Ich vertraue dir, Juran. Und ich gehe davon aus, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Ich werde nicht zulassen, dass sich Leiard zwischen mich und das Volk stellt. Die Menschen werden kaum von seiner Existenz Notiz nehmen.«

Sie wandte sich ab und ging auf die Türlasche zu.

»Auraya.«

Als sie den Eingang erreichte, drehte sie sich noch einmal um.

»Er kann nicht zurückkommen«, erklärte Juran. »Ich habe ihm einen Befehl gegeben, und ich traue es nicht einmal ihm zu, sich mir zu widersetzen.«

Sie lächelte. »Nein. Das würde er nicht tun. Sagt dir das denn gar nichts, Juran? Sagt dir das nicht, dass man ihn nicht zu fürchten braucht?«

Ohne auf eine Antwort zu warten, trat sie hinaus und schwang sich in die Luft.

40

Von Norden her zogen langsam Wolken über den Himmel und verdeckten nach und nach die Sterne. Bellin gähnte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Gauts zu. Die meisten hatten ihre langen, spindeldürren Beine unter den Körper geschoben und dösten vor sich hin. Einige wenige Tiere waren hellwach geblieben und bewegten die schlanken Köpfe hin und her, um die Herde gegen Räuber zu sichern.

Es waren kluge Tiere. Sie duldeten ihn als eine zusätzliche Art von Schutz, und sie gestatteten ihm im Gegenzug, ihre Milch zu nehmen. Dennoch verloren sie niemals etwas von ihrer natürlichen Wachsamkeit. Trotz seiner Anwesenheit wechselten sie sich des Nachts als Wachen ab.

Was nur gut ist, dachte er. Ich kann es nicht verhindern, dass ich ab und zu einschlafe oder meine Aufmerksamkeit durch irgendetwas anderes abgelenkt wird.

Er lehnte sich wieder an die Felswand und zog ein wenig Magie in sich hinein, die er in Licht umwandelte und zu verschiedenen Gestalten formte.

Als Erstes schuf er eine Gaut. Das war einfach; er verbrachte all seine Zeit mit den Tieren, daher wusste er, wie sie aussahen. Schwieriger war es dagegen, die Gaut zu bewegen. Er brachte sie dazu, zu gehen, zu laufen und schließlich von Felsen zu Felsen zu springen.

Als ihn das zu langweilen begann, fügte er seine Magie zu einer anderen vertrauten Gestalt zusammen. Der alte Lim. Das runzelige Gesicht kam ihm richtig vor, aber der Körper war zu gerade. Der alte Lim war gebeugt wie ein vom Wind verkrümmter Baum.

Ah. So ist es besser. Bellin ließ die Figur sich am Hintern kratzen – etwas, das der alte Lim ständig tat. Er kicherte, dann hatte er plötzlich ein schlechtes Gewissen. Er sollte sich nicht über den alten Lim lustig machen. Der Mann hatte ihn als Säugling in den Bergen gefunden und großgezogen. Lim wusste nicht, wer Berlins leibliche Eltern waren. Bellin sah nicht einmal so aus wie die meisten Menschen, die in dieser Gegend lebten. Der einzige Hinweis, den er auf seine Vergangenheit hatte, war ein Stück Stoff mit einem darauf gestickten Symbol. Der Stoff stammte von der Decke, in die er eingehüllt gewesen war, als der alte Lim ihn gefunden hatte. Es war auch ein goldenes Amulett bei seinen Sachen gewesen, aber das hatte Lim verkauft, um Essen und Kleider für Bellin bezahlen zu können.

Bellin fragte sich bisweilen, woher er kam, und spielte sogar mit dem Gedanken, sich auf eine aufregende Reise zu begeben, um nach seinen Eltern zu suchen. Aber es gefiel ihm hier. Er brauchte nicht hart zu arbeiten, sondern musste lediglich die Gauts bewachen und ihre Wolle sammeln, wenn sie in die Mauser kamen. Wenn Lim starb, würde er für die Sicherheit dieser Tiere verantwortlich sein. Er konnte sie nicht schutzlos zurücklassen.

Bellin seufzte und überlegte, was er als Nächstes machen könnte. Der alte Lim hatte ihm beigebracht, wie man aus dem Licht Bilder formte. Diese Bilder dienten zum einen dem Zweck, Raubtiere fernzuhalten, zum anderen hielten sie Bellin wach. Die Bilder waren nicht die einzige Gabe, die der alte Mann Bellin gelehrt hatte. Wenn Fanrin oder Leramer kühn oder verzweifelt genug waren, um sich den Gauts zu nähern, verjagte er sie mit kleinen Feuerbällen.

»Ihr habt Glück, dass ihr mich habt«, erklärte Beilin den Gauts. Beim Klang seiner Stimme schreckten mehrere Gauts aus dem Schlaf hoch. Was recht eigenartig war. Sie waren an seine Stimme gewöhnt.

»Der alte Lim kann ihnen kaum mehr als einen leichten Schlag versetzen, aber ich könnte Fanrin oder Leramer töten, wenn ich es wollte«, sagte er in besänftigendem Tonfall, um sie zu beruhigen. »Ich könnte...«

Er hielt inne, dann runzelte er die Stirn. Sein Rücken fühlte sich seltsam an. Die Felswand, an der er lehnte, bebte.

Als er sich vorbeugte, stellte er fest, dass er die gleichen Vibrationen unter seinen Schenkeln und Füßen spüren konnte. Die Gauts rappelten sich hoch. Ihre schmalen Ohren zuckten angstvoll.

Beilin stand langsam auf, drehte sich um und legte die Hände auf die Felswand. Die Vibrationen schienen jetzt stärker zu sein. Irgendetwas traf ihn am Kopf. Er schrie überrascht auf und blickte empor. Erde und kleine Steine prasselten herunter. Er trat hastig von dem Felsen weg.

Nachdem er sich einige Schritte entfernt hatte, konnte er einen Riss weiter oben in der Wand erkennen, und dieser Riss wurde zusehends breiter. Langsam dämmerte ihm, dass der Felsen nicht barst; die Erde, die sich in dem Riss angesammelt hatte, quoll heraus und bildete an der Stelle, an der er soeben noch gesessen hatte, einen wachsenden Hügel.

Die Vibrationen unter seinen Füßen wurden stärker. Dann nahm auch er Erschütterungen in der Luft wahr. Eine Wolke von Staub und Steinen ergoss sich aus dem Spalt. Er duckte sich und schützte den Kopf mit den Armen, während überall ringsum Steine niederprasselten.

Das Prasseln erstarb, dann erklang ein Pfeifen. Er sah, wie das Gras auf dem Felsen sich dem Spalt zuneigte. Luft schien in die Öffnung zu strömen.