Выбрать главу

»Was kannst du sehen, Jade?«

Sie blickte Stern an, dann zuckte sie die Achseln. »Felsen. Und Bäume. Und noch mehr Felsen. Oh, schau nur, da ist noch ein Baum«, fügte sie trocken hinzu.

Die Mädchen lächelten. Rozea hatte am vergangenen Abend erklärt, dass Stern nun hinreichend genesen sei, um mit den anderen zu reisen, obwohl Emerahl davon überzeugt war, dass die Entscheidung mehr mit dem Wunsch zu tun hatte, sich nicht noch einen Tag ihr unablässiges Geplapper anhören zu müssen. Emerahl hatte darauf bestanden, Stern zu begleiten, für den Fall, dass die Anstrengung doch zu viel für sie sein würde. Dies gab ihr zumindest die Möglichkeit, mit Brand und Flut zu reden.

Inzwischen hatten alle Mädchen ihr anscheinend verziehen, dass Rozea sie zu ihrer Favoritin gemacht hatte. Möglicherweise hatten sie begriffen, dass ihr Groll lächerlich war, aber Emerahl bezweifelte das. Sie vermutete, dass es die Heilung Sterns war, die hinter ihrem veränderten Verhalten steckte.

»Ich habe eine ausgesprochen erstaunliche Nacht hinter mir«, bemerkte Barmherzigkeit.

Brand, Flut und Vogel stöhnten. »Müssen wir das jetzt alles noch einmal durchkauen?«, jammerte Brand.

Barmherzigkeit deutete auf Stern. »Sie hat es noch nicht gehört.«

Brand seufzte. »Na schön, dann erzähl.«

Barmherzigkeits Augen leuchteten, als sie sich zu Stern vorbeugte. »Letzte Nacht ist ein Traumweber vorbeigekommen. Es war schon spät, und die meisten Mädchen haben ihn gar nicht bemerkt. Er sah nicht schlecht aus, daher habe ich mich gefreut, als er sich für mich entschied.« Sie hielt inne und grinste breit. »Wenn alle Traumweber im Bett so sind wie er, werde ich nie wieder einen verschmähen.«

Stern zog die Augenbrauen hoch. »So gut war er?«

»Oh, du würdest es mir nicht glauben, wenn ich es dir erzählte.«

Stern grinste. »Erzähl es trotzdem.«

Emerahl war so fasziniert, dass sie in Barmherzigkeits Gedanken nach einem Anflug von Betrug forschte. Sie konnte jedoch nicht mehr entdecken als Sehnsucht, Dankbarkeit und -vor allem – Selbstgefälligkeit. Es war selten, kam aber bisweilen durchaus vor, dass ein Kunde sich nicht nur zum Schein bemühte, auch einer Hure Vergnügen zu bereiten. Während Barmherzigkeit weitersprach, stieg eine leichte Traurigkeit in Emerahl auf. Die Freuden dieser Nacht erinnerten sie an einige Nächte, die sie selbst erlebt hatte, vor langer Zeit und mit einem anderen Traumweber. Mit dem Traumweber. Lächelnd stellte sie sich vor, was die Mädchen sagen würden, wenn sie ihnen von dieser Affäre erzählte.

»Wann immer er sich in mein Zelt schleichen möchte, kann er die Nacht umsonst haben«, erzählte Barmherzigkeit ihnen.

»Man nennt sie schließlich nicht umsonst Barmherzigkeit«, sagte Brand und verdrehte die Augen.

»Wie hat er denn ausgesehen?«, fragte Stern.

»Groß. Mager. Zuerst dachte ich ja, er sei ein wenig knochig. Sehr helles, blondes Haar. Fast weiß. Er hatte einen Bart, aber den hat er sich am nächsten Tag abrasiert. Und er sah viel besser aus ohne ihn.«

Emerahl wandte ihren Geist von dem Geplapper des Mädchens ab. Die Gedanken an Mirar führten sie zurück zu den Plänen, die sie geschmiedet hatte: Sie wollte die Quelle des Turmtraums finden. Es schien ein kurioses Unterfangen zu sein, Jagd nach einem Träumer zu machen, und das aus keinem anderen Grund als Neugier. Andererseits – was sollte sie sonst tun, um sich zu beschäftigen? Während der letzten hundert Jahre hatte sich die Zahl der Priester und Priesterinnen in Nordithania um ein Vielfaches vermehrt. Was bedeutete, dass es praktisch nichts gab, was sie tun konnte. Sie war zunehmend davon überzeugt, dass sich der Träumer auf der anderen Seite der Berge befinden musste. Je näher sie dem Gebirge kam, umso stärker und lebhafter wurde der Traum. Wenn das hieß, dass er oder sie unter den Pentadrianern zu finden war, dann sollte es eben so sein.

»Du hattest recht, was die Geheimfächer betrifft«, flüsterte Flut Emerahl ins Ohr, so dass sie heftig zusammenzuckte.

Sie drehte sich zu der jungen Frau um. »Fächer?«

»Unter den Sitzen«, sagte Flut und tippte mit der Ferse leicht gegen die Unterseite ihrer Bank. »Ich habe vor einer Woche Rozea etwas hineinlegen sehen. Sie tut das immer frühmorgens, wenn wir alle noch schlafen. Aber neulich bin ich aufgewacht und habe sie durch ein Loch in unserem Zelt beobachtet.«

Emerahl lächelte. »Du bist wirklich ein kluges Mädchen.« Flut grinste. »Ich bin nicht dumm genug, etwas wegzunehmen.«

»Nein, das wäre töricht«, stimmte Emerahl ihr zu.

Töricht für jeden, der im Bordell bleiben musste oder in der Welt draußen nicht allein zurechtkäme,überlegte sie weiter. In wenigen Tagen würden die Zirkler auf die Pentadrianer stoßen. Sie würde warten und die Augen offen halten, und wenn der richtige Moment kam, würde sie ihr Geld nehmen und sich auf den Weg zum Pass machen.

Und sie würde die Hurerei, die Priester und Nordithania hinter sich lassen. Als die letzte Verstrebung sich an ihren Platz fügte, stand Tryss auf und unterzog die Laube einer letzten kritischen Musterung.

»Sie ist gut«, sagte Drilli. Sie stand vom Boden auf und reichte Tryss die Keule einer gerösteten Gaut. »Also, wer waren diese neuen Soldaten?«

Er sah sie überrascht an. Es war leicht zu vergessen, dass die Informationen über das Geschehen nicht zu allen durchsickerten. Sie waren gemeinsam geflogen, als die Soldaten, die vom Pass kamen, entdeckt wurden. Sirri hatte ihn zu den Weißen geschickt, und obwohl er schon einige Stunden zuvor zurückgekehrt war, war er erst seit kurzem wieder bei Drilli.

»Es sind Dunweger«, antwortete er. »Sie leben auf der anderen Seite der Berge, aber weiter oben im Norden. Die Männer, die zu uns gestoßen sind, sind Stammesführer, Kriegsplaner und Priester. Der größte Teil ihrer Armee erwartet uns auf dem Pass.«

Sie nickte und kaute mit nachdenklicher Miene langsam einen Bissen Fleisch. »Hast du Auraya gesehen?«

Er schüttelte den Kopf. »Liedmacher sagt, sie sei den größten Teil des Tages damit beschäftigt, sich mit Dyara in magischen Kampftechniken zu üben.«

»Normalerweise verbringt sie trotzdem jeden Tag einige Zeit mit uns. Aber seit gestern hat niemand sie mehr gesehen.«

Tryss nahm einen Bissen Gaut-Fleisch. Es war interessant, aber nicht überraschend, dass sich die Informationen über die Dunweger unter den Siyee nicht allzu schnell verbreitet hatten, während sie jeden von Aurayas Schritten wahrnahmen.

»Sie ist sicher mit etwas Wichtigem beschäftigt. Vielleicht werde ich heute Abend erfahren, was es ist.«

Drilli schnalzte widerwillig mit der Zunge. »Noch ein Kriegsrat? Werde ich dich jemals eine ganze Nacht für mich haben – ohne dass du sie verschläfst?«

Er grinste. »Schon bald.«

»Das sagst du immer.«

»Ich dachte, du wärst müde.«

»Ja, das bin ich auch.« Sie seufzte und hockte sich neben das Feuer. »Ich bin vollkommen erschöpft. Das ist auch der Grund für meine schlechte Laune.« Das Licht des Feuers tauchte ihre Haut in einen warmen, orangefarbenen Schimmer und betonte ihre Wangenknochen und ihren schlanken Körper.

Sie ist so schön, dachte er. Ich bin der glücklichste Siyee auf Erden.

»Vater weigert sich noch immer, mit mir zu reden«, sagte sie düster.

Er trat hinter sie und massierte ihr die Schultern. »Hast du es wieder versucht?«