»Eigentlich nicht«, sagte er und war sich dabei der missbilligenden Blicke der anderen Sprecher überdeutlich bewusst. »Ich werde mich beeilen.«
Sie nickte kurz. »Dann komm herein.«
Tryss’ Herz setzte einen Schlag aus. Er war noch nie zuvor in der Sprecherlaube gewesen. Mit zitternden Beinen ging er an Sirri vorbei. Es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Das Innere der Laube war schlicht und schmucklos, und in der Mitte befand sich ein Ring aus Hockern. Zu seiner Erleichterung hielten sich keine weiteren Siyee in dem Raum auf.
»Also, was gibt es, Tryss?«
Er drehte sich zu Sprecherin Sirri um und brachte zunächst einmal keinen Laut über die Lippen. Sie lächelte, bis die Haut um ihre Augen sich kräuselte, und ihm fiel plötzlich wieder ein, dass sie nur ein Mitglied seines eigenen Stammes war, gewählt von seinen eigenen Leuten, und dass er keinen Grund hatte, sie zu fürchten.
»Ich habe etwas gebaut«, erklärte er. »Heute Abend möchte ich es allen zeigen.«
»Dein Jagdgeschirr?«
Er sah sie überrascht an. Ihr Lächeln wurde breiter. »Sreil hat mir davon erzählt. Er meinte, es sei durchaus ausbaufähig.«
»Das hat er gesagt?«, platzte Tryss heraus. Er dachte an den Tag vor einigen Monaten zurück, an dem er ein Yern mit in eine Droge getauchten Dornen erlegt hatte. Sreil hatte etwas dazu bemerkt... »Netter Versuch.« Tryss war davon ausgegangen, dass der Junge ihn verspottet hatte. Aber vielleicht hatte er seine Worte tatsächlich ernst gemeint.
»Ja«, antwortete Sirri. Ihr Lächeln verblasste. »Ich muss dich allerdings warnen. Es wird nicht leicht sein, die Leute zu überzeugen. Niemandem gefällt die Vorstellung, etwas Schweres tragen zu müssen oder...«
»Es ist nicht schwer«, unterbrach Tryss sie.
»...oder von irgendetwas behindert zu werden«, fuhr sie fort. »Bist du dir sicher, dass deine Erfindung funktioniert?«
Er schluckte heftig, dann nickte er.
»Also schön, ich werde dir zu Beginn der Versammlung Zeit geben, uns das Gerät vorzuführen. Das bedeutet, dass du noch eine Stunde Zeit hast, dich vorzubereiten. Ist das genug?«
Er nickte abermals.
»Dann geh jetzt.« Sie zeigte auf die Tür. Tryss eilte hinaus. Als die anderen Sprecher sich zu ihm umwandten, wurde ihm bewusst, dass ein törichtes Grinsen auf seinen Zügen lag. Er zwang sich zu einer ausdruckslosen Miene und ging davon.
Eine Stunde!, ging es ihm durch den Kopf. Ich dachte, ich würde bis zum Ende der Versammlung warten müssen. Ich sollte Drilli Bescheid sagen und dann das Geschirr holen.
Sobald er den dichten Wald, der die Sprecherlaube umgab, hinter sich hatte, sprang er in die Höhe, um über das Dorf zu Drillis Familienlaube zu fliegen. Als er vor ihrem Haus landete, rief er ihren Namen. Sofort hörte er ärgerliche Stimmen aus dem Innern der Behausung. Kurz darauf trat sie durch den Türbehang, griff nach Tryss’ Arm und zog ihn hastig davon. Als er sich umdrehte, sah er, dass ihre Mutter sie vom Eingang aus stirnrunzelnd beobachtete.
»Nun? Haben sie dir erlaubt, das Geschirr vorzuführen?«, fragte Drilli.
Tryss grinste. »Ja. Aber ich soll es gleich zu Anfang tun, nicht erst am Ende, wie wir gedacht hatten. Wir haben weniger als eine Stunde Zeit.«
Ihre Augen weiteten sich. »So bald schon?«
»Ja. Du kümmerst dich am besten um die Brems, während ich das Geschirr hole.«
»Nein, ich werde deine Hilfe brauchen, um sie zu transportieren. Wir holen zuerst das Geschirr.«
Sie eilten zu seiner Familienlaube. Zu Tryss’ Überraschung war die Laube leer.
»Meine Eltern müssen frühzeitig aufgebrochen sein«, bemerkte er. »Sie haben gesagt, dass sie...«
Die Worte, die er hatte sprechen wollen, blieben ihm im Hals stecken, als er sah, was in der Mitte der Laube lag.
Überall auf dem Boden waren leuchtend bunte Holzstücke verstreut. Die Lederriemen und Därme, mit denen er das Geschirr zusammengehalten hatte, waren aufgeschlitzt worden. Das Blasrohr, das Drilli so sorgfältig bemalt hatte, war zerschmettert. Auch der Beutel, in dem die Pfeile gesteckt hatten, war zerstört worden, und selbst die Pfeile waren allesamt entzweigebrochen.
Tryss starrte die Überreste seiner Erfindung an und hatte das Gefühl, als breche auch sein Herz in Stücke.
»Wer hat das getan?«, hörte er sich mit einer erstaunten, ungläubigen Stimme sagen.
»Wer tut so etwas?«
»Deine Vettern«, antwortete Drilli leise. Sie schüttelte den Kopf. »Es ist alles meine Schuld. Sie sind neidisch auf dich. Meinetwegen.«
Sie stieß einen erstickten Laut aus, und ihm wurde bewusst, dass sie weinte. Voller Staunen darüber, dass sie um seinetwillen so bekümmert war, machte er einen Schritt auf sie zu, dann legte er ihr zögernd einen Arm um die Schultern. Mit Tränen in den Augen wandte sie sich zu ihm um. »Es tut mir leid.«
Er zog sie an sich. »Es ist nicht deine Schuld«, sagte er und strich ihr übers Haar. »Wenn du das glaubst, haben die beiden gewonnen.«
Sie schniefte leise, dann richtete sie sich auf und nickte. »Noch haben sie nicht gewonnen«, erklärte sie energisch und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Wir werden es ihnen zeigen. Wir werden es ihnen allen zeigen. Nur... nicht heute Abend.«
Er betrachtete die Trümmer auf dem Boden, und seine Enttäuschung krampfte sich zu einem Knoten des Zorns tief in seinem Innern zusammen. »Nächstes Mal werde ich zwei Geschirre machen. Vielleicht sogar drei.«
»Und wir werden meine Vettern bitten, ein Auge auf Ziss und Trinn zu haben.«
»Ich habe eine noch bessere Idee; wir werden sie für den Abend irgendwo anbinden.«
Drilli brachte ein Lächeln zustande. »Sie an den Knöcheln aufhängen.«
»Neben einem Schwärm Tiwi-Bienen.«
»Mit Rebi-Saft beschmiert.«
»Nachdem wir ihnen die Kleider weggenommen haben.« »Und ihnen die Haut abgezogen haben. Mit einem Flachsmesser.«
»Jetzt machst du mir wirklich Angst.«
Drillis Lächeln hatte etwas Wildes. Sie bückte sich und griff nach dem zersplitterten Blasrohr. »Brauchst du das noch, um ein anderes Rohr zu machen?«
»Nein.«
»Gut.« Sie nahm einen Korb von einem Haken, ging in die Hocke und machte sich daran, die Einzelteile einzusammeln.
»Was hast du damit vor?«
Sie verzog das Gesicht. »Einer von uns muss den Sprechern mitteilen, dass du dein Geschirr nicht vorführen kannst. Wenn ich zu ihnen gehe, werden sie wissen, dass jemand an dich glaubt. Außerdem kann ich sie mit diesen Beweisen davon überzeugen, dass du sie nicht zum Narren gehalten hast.«
Erst jetzt wurde Tryss die volle Bedeutung dessen bewusst, was seine Vettern getan hatten, und das Herz wurde ihm schwer. Die Sprecher wussten, woran er gearbeitet hatte. Die Leute würden argwöhnen, dass er anderen die Schuld am Misserfolg seiner Erfindung zugeschoben hatte – oder dass ihm der Mut fehlte, sie vorzuführen. Er würde...
»Du solltest jetzt besser nach deinen Eltern suchen und es ihnen erzählen.« Drilli richtete sich auf. »Mach kein großes Aufhebens darum und tu so, als sei alles normal.«
Sie zögerte kurz, dann trat sie vor ihn hin. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und sie beugte sich vor, um ihn zu küssen. Er blinzelte überrascht, aber als er ihren Kuss erwiderte, zog sie sich zurück. Mit einem Zwinkern schob sie den Türbehang beiseite.
»Wir sehen uns später.«
Und dann war sie auch schon fort.
17
Auraya sah sich die Botschafter genau an und erkannte die Zeichen von Erschöpfung. Da sie klein von Wuchs waren, vertrugen sie Rauschgetränke nicht allzu gut. Wie Kinder bewegten sie sich energisch, ermüdeten aber schnell.
Dyara unterhielt sich leise mit Tireel. Auraya bekam Bruchstücke ihres Gespräches mit.
»...Mut, ein so großes, von Landgehern besiedeltes Gebiet zu überqueren, obwohl euer Volk allen Grund hat, uns zu fürchten.«
»Wir sind hoch geflogen und meistens bei Nacht«, erwiderte er. »Landgeher blicken nicht oft nach oben. Und wenn sie es doch einmal getan haben, glaubten sie wahrscheinlich, große Vögel zu sehen.«