Ein Diener brachte gewärmten somreyanischen Ahm. Während Danjin den ersten Schluck nahm, dachte er über seine Familie nach. Theran wohnte zweifellos in der Villa und war bereits mit seinem Vater zusammen; Theran war der Liebling der Familie, und sein Besuch hier war der Anlass, warum sie alle eingeladen worden waren. Alle Söhne von Pa-Speer waren mit unterschiedlichem Erfolg in die Handelsgeschäfte der Familie eingestiegen. Theran, der zweite Sohn, war ein geborener Kaufmann. Zwei der jüngeren Brüder waren vor zwanzig Jahren bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen. Ma-Speer, die sich nie ganz von Danjins Geburt erholt hatte, war kurze Zeit später krank geworden und gestorben. Vor einem Jahr war das Herz des ältesten Bruders stehen geblieben, so dass jetzt nur noch vier Söhne übrig waren: Theran, Nirem, Gohren und er selbst.
Von den sieben Söhnen war erwartet worden, dass sie das Speersche Handelsimperium weiter vergrößerten. Danjin hatte es versucht, es aber schon nach seiner ersten Seereise im Alter von sechzehn Jahren wieder aufgegeben. Zwei Tage nach seiner Ankunft in Genria hatte er sich mit einem entfernten Neffen des Königs befreundet und sich inmitten politischer Geschehnisse wiedergefunden, die ihm weit aufregender und bedeutungsvoller erschienen waren als die langen Reisen und die endlosen Rechnereien des Kaufmannsgewerbes. Solchermaßen abgelenkt, war er nicht zugegen gewesen, um das Getreide zu untersuchen, mit dem das Schiff beladen wurde, und als er nach Jarime zurückkehrte, war die Hälfte der Ladung von Ungeziefer verseucht gewesen.
Sein Vater hatte mit blankem Zorn reagiert.
»Danjin?«
Die leise Stimme seiner Frau ließ Danjin aufblicken. Zwei Männer kamen den Flur herunter, der zum Gemeinschaftsraum führte. Forin trat vor.
»Pa-Speer und Theran Speer«, verkündete er.
Das Gesicht des alten Mannes war von Runzeln bedeckt, und er bewegte sich mithilfe eines Gehstocks. Seine Augen waren scharf und kalt, während sein Blick von einem Gesicht zum anderen flackerte. Zu seiner Rechten ging Theran. Der ältere Bruder lächelte Nirem und Gohren zu, aber als er Danjin ansah, wurde seine Miene starr. Statt seinen jüngsten Bruder zu ignorieren, wie er es für gewöhnlich tat, zog Theran die Augenbrauen hoch.
»Danjin. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du kommen würdest. Vater sagt, dass du aufgrund deiner Verpflichtungen im Tempel an den meisten Familienzusammenkünften nicht teilnehmen würdest.«
»Heute Abend ist das anders«, erwiderte Danjin. Und wie könnte ich mir die Gelegenheit entgehen lassen, geringschätzig ignoriert oder zur Zielscheibe deiner Scherze gemacht zu werden?
Der alte Mann ging zu einer langen Bank und setzte sich. Die übrigen Familienmitglieder warteten, bis sie aufgefordert wurden, Platz zu nehmen. Pa-Speer machte eine knappe Handbewegung.
»Setzt euch. Setzt euch«, sagte er, als bringe ihre Förmlichkeit ihn in Verlegenheit. Aber Danjin wusste, dass jede Abweichung von dieser rituellen Zurschaustellung guten Benehmens seinen Vater stets in Wut brachte. Sie nahmen die Plätze ein, die die Familientradition schon vor langer Zeit festgelegt hatte: Theran zu Pa-Speers Rechter, Nirem und seine Frau zu seiner Linken, Gohren neben Theran und Danjin neben Nirems Frau, den Platz, der von dem seines Vaters am weitesten entfernt war. Während die Dienerinnen eine Abfolge von Köstlichkeiten auftrugen, wandte sich das Gespräch dem Handel zu. Danjin zwang sich, zuzuhören, und bewahrte klugerweise Stillschweigen. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, eine Teilnahme an diesen Erörterungen zu vermeiden. Jede Bemerkung oder Frage von seiner Seite zu diesem Thema wurde genau beleuchtet, um festzustellen, ob er damit einmal mehr seine Unkenntnis in diesen Dingen unter Beweis gestellt hatte.
Doch wie still er sich auch verhalten mochte, sein Vater versäumte es niemals, die Rede auf Danjins Arbeit zu bringen. Nachdem Theran eine ausführliche Beschreibung eines erfolgreichen Geschäfts beendet hatte, wandte Pa-Speer sich seinem jüngsten Sohn zu.
»Ich habe bisher nicht bemerkt, dass unser Ratgeber bei den Weißen großen Nutzen aus seinem Dienst im Tempel gezogen hätte.« Pa-Speer deutete auf die Wände. »Wenn du für die Zirkler so wichtig bist, wie kommt es dann, dass ein bloßer Kaufmann besser lebt als du? Du musst um eine Erhöhung deines Lohns bitten, wenn du deine Arbeitgeberin das nächste Mal siehst. Wann wird das sein?«
»Auraya ist nach Si aufgebrochen, Vater«, antwortete Danjin. »Um eine Allianz auszuhandeln.«
Sein Vater zog die Augenbrauen hoch. »Du hast sie nicht begleitet?«
»Es ist für Landgeher nicht so einfach, die Berge von Si zu überqueren.« »Landgeher?«
»So nennen die Siyee gewöhnliche Menschen.«
Sein Vater rümpfte die Nase. »Wie ungehobelt. Vielleicht ist es ein Glück, dass sie dich zurückgelassen hat. Wer weiß, welche unsauberen Gewohnheiten diese Leute haben?«
Er schob sich einen Bissen von seinem Essen in den Mund, dann wischte er sich die Hände an einem Tuch ab, das eine junge Dienerin ihm hinhielt.
»Wenn die Siyee sich mit Hania verbünden, wird man mehr von ihnen hier sehen. Sie werden einen Botschafter einsetzen, und andere werden herkommen, um sich ausbilden zu lassen, der Priesterschaft beizutreten oder Handel zu treiben.«
Der Blick seines Vaters wurde schärfer. Er kaute, schluckte und nippte dann an seinem Wasserglas.
»Welche Handelsgüter haben sie denn anzubieten?«
Danjin lächelte. »Das ist eine der Fragen, die Auraya zu klären beabsichtigt.«
Pa-Speers Augen wurden schmal. »Das ist eine echte Chance, Sohn. Du magst zwar kein anständiges Einkommen haben, aber wenn du Chancen wie diese zu deinem Vorteil nutzt, wird dieser Umstand vielleicht nicht ins Gewicht fallen.«
Entrüstung stieg in Danjin auf. »Ich kann meine Stellung nicht benutzen, um mir Vorteile zu verschaffen, was den Handel betrifft.«
Sein Vater schnaubte. »Sei nicht so ein selbstgerechter Narr. Du wirst nicht für immer Ratgeber sein.«
»Nicht, wenn ich meine Privilegien missbrauche.« Oder wenn ich in deine Fußstapfen trete, fügte Danjin bei sich hinzu und dachte an die Feinde, die sein Vater sich im Laufe der Jahre geschaffen hatte. Mächtige Feinde, die ihn an gewissen Orten vom Handel ausschlossen.
Warum erinnerst du ihn nicht daran?
Als die Stimme in seinen Gedanken aufblitzte, zuckte Danjin zusammen.
Auraya?
Ja, ich bin es. Tut mir leid, ich wollte nicht stören. Die Siyee schlafen, und ich... nun ja... ich langweile mich.
Er wollte lächeln, besann sich jedoch hastig eines Besseren und bewahrte eine ernste Miene.
»... Ruhm und Ansehen werden vergehen«, sagte sein Vater gerade, »und dann wird man dich bald vergessen.«
Danjin öffnete den Mund zu einer Erwiderung.
In einem Punkt hat dein Vater recht. Wir sollten dir mehr bezahlen.
Er gab einen erstickten Laut von sich. Wie lange hörst du schon zu? Es folgte eine Pause.
Ich habe vor einiger Zeit einmal hineingeschaut. Hineingeschaut?
Um festzustellen, ob du beschäftigt bist.
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Pa-Speer.
Danjin blickte auf und überlegte hastig, ob er erklären sollte, mit wem er soeben in Verbindung getreten war. Nur weiter, drängte ihn Auraya.
Ich will nicht respektlos sein, erklärte ihr Danjin, aber du kennst meine Familie nicht. Manche Töpfe lohnen nicht, dass man darin rührt.
»Ich habe über deinen Rat nachgedacht, Vater«, antwortete Danjin.
Pa-Speer kniff die Augen zusammen, dann wandte er sich an Nirem. »Hast du Kapitän Raerig in letzter Zeit einmal gesehen?«
Nirem nickte und begann, von einer durchzechten Nacht in einer weit entfernten Stadt zu erzählen. Erleichtert, dass er endlich nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, ließ Danjin seine Gedanken schweifen, bis eine Bemerkung über den südlichen Kult ihn in die Gegenwart zurückholte.