»Er hat gesagt, diese Pentadrianer seien gute Kunden«, bemerkte Nirem. »Die Hälfte ihrer Priester sind Krieger. Er kauft dunwegische Waffen und verkauft sie auf dem südlichen Kontinent weiter. Er kann gar nicht genug davon beschaffen. Meinst du, wir sollten...?«
Zu Danjins Überraschung runzelte sein Vater die Stirn. »Vielleicht. Ich habe gehört, dass sie dort unten eine Armee aufstellen. Dein Urgroßvater sagte immer, der Krieg sei gut für den Handel, das Ganze hänge aber davon ab, wer gegen wen zu kämpfen plane.«
»Gegen wen planen sie denn zu kämpfen?«, fragte Danjin.
Sein Vater lächelte dünn. »Ich hätte doch gedacht, du würdest das wissen, Ratgeber der Weißen.«
»Vielleicht weiß ich es«, sagte Danjin leichthin. »Vielleicht auch nicht. Was glaubst du, gegen wen sie kämpfen werden?«
Sein Vater zuckte die Achseln und wandte den Blick ab. »Fürs Erste würde ich lieber für mich behalten, was ich weiß- Falls sich ein Vorteil aus diesen Ereignissen ziehen lässt, möchte ich nicht, dass ein unbedachtes Wort am falschen Ort unsere Chancen verdirbt.«
Ein Stich des Ärgers durchzuckte Danjin. Was ihn erbitterte, war nicht die verschleierte Kränkung, mit der sein Vater andeutete, er könnte Informationen durchsickern lassen, sondern der Umstand, dass sein Vater über Informationen verfügte, die Danjin benötigte. Informationen, die die Weißen benötigten.
Dann verflog sein Ärger. Wenn sein Vater nicht gewollt hätte, dass Danjin von der Armee der Pentadrianer erfuhr, weil er befürchtete, sein Sohn könnte ihm ein Geschäft verderben, hätte er das Thema erst gar nicht zur Sprache gebracht. Vielleicht wollte sein Vater ihm eine Warnung zukommen lassen, auch wenn er nicht bereit war, all sein Wissen an seinen jüngsten Sohn weiterzugeben.
Hörst du zu, Auraya?
Es kam keine Antwort. Danjin drehte den Ring an seinem Finger und überlegte, was er tun sollte. Ich muss mehr über diese Dinge in Erfahrung bringen, befand er. Meine eigenen Nachforschungen anstellen. Wenn er das nächste Mal durch den Ring mit Auraya sprach, würde er ihr Genaueres erzählen können.
19
Ein Gefühl, als schnüre ihm etwas den Atem ab, weckte Leiard. Er richtete sich nach Luft ringend auf und sah sich um. Es war dunkel im Raum, und er spürte, dass die Morgendämmerung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. An den Traum, der ihn geweckt hatte, konnte er sich nicht erinnern.
Er stand auf, wusch sich, zog sich an und schlüpfte aus seinem Zimmer. Er schuf einen winzigen Lichtfunken, durchquerte den Gemeinschaftsraum und stieg zum Dachgarten empor. Dort trat er in die kühle Nachtluft hinaus und nahm auf einer der Gartenbänke Platz, auf denen er Jayim seinen Unterricht erteilte.
Als er über seinen Traum nachdachte, stieß er nur auf ein Gefühl der Furcht. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf eine Übung, die eigens dazu ersonnen war, verlorene Träume wiederzugewinnen, aber nichts regte sich. Nur die Furcht blieb. Die Träume, an die er sich erinnern konnte, drehten sich um Auraya. Einige waren angenehm, voller Glück und Leidenschaft. Er hatte keine derartig erregenden Träume mehr gehabt, seit... Es war so lange her, dass er sich nicht mehr darauf besinnen konnte. Unglücklicherweise waren einige der Träume jedoch voller unerfreulicher Konsequenzen, voller Anschuldigungen und Vergeltungsmaßnahmen und furchtbarer Strafen.
Du hättest fortgehen sollen. Du hättest nicht vergessen dürfen, was sie ist, sagte eine Stimme in seinem Innern.
Ich habe es nicht vergessen.
Du hättest es dir noch viel deutlicher ins Gedächtnis rufen müssen.
Diese andere Stimme in seinem Geist – die Gedanken, von denen Arleej glaubte, sie seien eine Manifestation von Mirars Netzerinnerungen – sprach jetzt immer häufiger zu Leiard. Wenn er mit sich rang, was Auraya betraf, war es nur folgerichtig, dass dieser illusionäre Mirar ihm davon abriet, sich mit den Weißen einzulassen. Schließlich hatte einer von ihnen Mirar getötet.
Er hatte sich flüchtig gefragt, ob Mirar ihn in jener Nacht in Aurayas Zimmer irgendwie beeinflusst haben könnte. Leiard war es jedoch müde, dieser zweiten Identität in seinem Wesen die Verantwortung für seine eigenen Taten zuzuschieben. Da war keine Stimme gewesen, die ihn ermuntert hatte, Auraya zu verführen. Mirar hatte bis zum nächsten Morgen geschwiegen und erst wieder zu sprechen begonnen, nachdem Leiard den Turm verlassen hatte.
Auraya hatte ihn zum Abschied geküsst und ihn dann gebeten, ihre Liebelei geheim zu halten. Eine vernünftige Bitte, wenn man bedachte, was er war. Was sie war. Hatte ihn jemand fortgehen sehen? Er hatte keine Diener bemerkt, sich jedoch trotzdem so benommen, als wäre sein Beisammensein mit Auraya nichts anderes gewesen als eine nächtliche Beratung.
Diener stellten sich gern vor, dass spät in der Nacht hinter geschlossenen Türen aufregendere Dinge vor sich gingen als politische Erörterungen, vor allem wenn eine solche Erörterung bis zum frühen Morgen dauerte. Und wenn die Diener tatsächlich argwöhnten, dass Auraya seine Geliebte geworden war, würden die anderen Weißen es aus ihren Gedanken gelesen haben. Wenn einer der Auserwählten der Götter dies bestätigen wollte, brauchte er lediglich Leiard rufen zu lassen und seine Gedanken zu lesen.
Aber es war kein solcher Ruf gekommen. Das, so hoffte er, bedeutete, dass sein Besuch bei Auraya unbemerkt geblieben war oder zumindest keinen Verdacht erregt hatte. Wenn er an die Konsequenzen für seine Leute dachte, sollte ein solcher Skandal bekannt werden, schauderte es ihn vor Angst. Doch wann immer er sich nicht mit solchen Dingen quälte, ertappte er sich dabei, dass er über Möglichkeiten nachsann, wie er sie nach ihrer Rückkehr heimlich würde besuchen können.
Falls sie das überhaupt will. Vielleicht sieht sie in mir nicht mehr als ein nächtliches Vergnügen.
Einen Geliebten, den sie beiseite stoßen wird, wenn ihr klar wird, wie unbequem es wäre, ihn weiter um sich zu haben. Wenn ich doch nur herausfinden könnte, was sie will.
Eine Möglichkeit gab es, aber sie war gefährlich. Er konnte eine Traumvernetzung mit ihr durchführen.
Sei kein Narr. Wenn sie dich meldet, wird man dich steinigen lassen.
Sie wird es niemandem erzählen. »Leiard?«
Er zuckte zusammen und blickte auf. Zu seiner Überraschung stand Jayim vor ihm. Über dem Garten lag jetzt das erste schwache Licht der Morgendämmerung. Er war so in seine Gedanken vertieft gewesen, dass er es nicht bemerkt hatte.
Der Junge nahm gähnend Leiard gegenüber Platz. Er hatte sich in eine Decke gehüllt.
Der Winter kommt, ging es Leiard durch den Kopf. Ich sollte ihn Mittel und Wege lehren, sich warm zu halten.
»Werden wir noch einmal die Gedankenvernetzung üben?«, fragte Jayim.
Leiard betrachtete den Jungen. Seit dem Tag, an dem Jayim Leiards Zuneigung zu Auraya bemerkt hatte, hatten sie sich nicht mehr miteinander vernetzt. Der Vorfall hatte Leiard so sehr verstört, dass er weitere Lektionen in dieser Richtung aufgeschoben hatte. Jetzt erfüllte ihn der Gedanke, sich mit seinem Schüler zu vernetzen, mit Furcht. Wenn er es tat, würde Jayim von Leiards Nacht mit Auraya erfahren. Außerdem würde er sehen, dass Leiard hoffte, die Affäre fortsetzen zu können. Wenn Jayim das wusste, würde es zwei Menschen in Jarime geben, in deren Gedanken die Weißen Leiards Geheimnis finden konnten.
»Nein«, erwiderte Leiard. »Es ist sehr kühl heute Morgen. Ich werde dir erklären, auf welche Weise der Körper unter der Kälte leidet, und dir Möglichkeiten zeigen, dem entgegenzuwirken.«
Der Hohepriester Ikaro blieb vor König Berros Audienzgemach stehen. Er holte tief Luft und betrat den Raum. Um den Thron versammelt standen Gefolgsleute, Ratgeber und Repräsentanten der größeren Handelshäuser. Der Thron selbst jedoch war leer. Der König stand vor einer riesigen Vase.