Выбрать главу

Auraya war sich ihrer fortgesetzten Verbindung zu Juran vollauf bewusst. Inzwischen hatten sich auch die anderen Weißen dieser Verbindung angeschlossen, und Auraya ließ sie sehen, was sie selbst sah. Die steile Felsfläche, die das Offene Dorf genannt wurde, war wie eine riesige Narbe in der Flanke des Berges. Das Dorf, das von Wäldern umgeben war, erstreckte sich über eine beträchtliche Länge. Die Bäume waren riesig und würden, vom Boden aus betrachtet, gewiss noch beeindruckender sein.

Der Felshang war unebenmäßig und wurde von drei Terrassen geteilt. Auf der mittleren standen in Reih und Glied einige erwachsene Siyee. Dies waren, wie Auraya vermutete, die Stammesführer: die Sprecher.

Unter ihr wurde ein Dröhnen laut, das ihre Aufmerksamkeit auf mehrere, zu beiden Seiten des Dorfes stehende Trommeln lenkte. Plötzlich schössen Siyee vor ihr durch die Luft. Als sie sah, dass sie alle noch jung waren und überdies gleich gekleidet, wurde ihr klar, dass es sich um eine akrobatische Vorführung handelte, mit der die Geflügelten sie beeindrucken wollten.

Ihre Bewegungen genau aufeinander abgestimmt, vollführten sie kunstvolle Drehungen in der Luft. Die Muster, die sie bildeten, waren kompliziert, und doch gelang es ihnen, parallel zu Auraya auf den Boden zuzuhalten, während sie und Zeeriz sich zu den wartenden Sprechern hinuntergleiten ließen.

Die Trommeln verstummten, und die Flieger entfernten sich in verschiedene Richtungen. Zeeriz landete leichtfüßig vor den Sprechern, und Auraya ließ sich neben ihm zu Boden sinken. Eine Frau trat vor; in einer Hand hielt sie einen hölzernen Becher und in der anderen etwas, das aussah wie ein kleiner Kuchen.

»Ich bin Sprecherin Sirri«, sagte die Siyee.

»Ich bin Auraya von den Weißen.«

Die Siyee bot Auraya den Becher und den Kuchen dar. Der Becher war gefüllt mit klarem, sauberem Wasser. Zeeriz hatte ihr von diesem Willkommensritual erzählt. Auraya aß den Kuchen, der süß und fest war, dann trank sie das Wasser, bevor sie der Sprecherin den Becher zurückgab. Worte des Dankes waren nicht vonnöten, wie Zeeriz ihr erklärt hatte. Die Siyee aller Stämme begrüßten Besucher mit Essen und Wasser, da kein Siyee viel Proviant transportieren konnte. Selbst Feinde mussten einander Erfrischungen anbieten, aber das gebotene Schweigen im Anschluss an diese Geste verhinderte, dass jemandem die Dankesworte im Hals stecken blieben.

Sirri trat zurück und breitete die Arme aus, so dass die Membranen ihrer Flügel sichtbar wurden. Dies, das las Auraya in den Gedanken der Frau, war ein Willkommen, das nur jene empfingen, denen die Siyee vertrauten. Die Siyee vertrauten den Göttern und übertrugen dieses Vertrauen auf die Auserwählten der Götter.

»Willkommen in Si, Auraya von den Weißen.«

Auraya lächelte und ahmte die Geste nach. »Ich freue mich, dass du und dein Volk mich so herzlich begrüßt habt.«

Sirris Miene wurde weicher. »Es ist uns eine Ehre, eine der Auserwählten der Götter empfangen zu dürfen.«

Auraya machte das Zeichen des Kreises. »Und mir ist es eine Ehre, von der wunderbarsten und schönsten Schöpfung der Götter willkommen geheißen zu werden.«

Sirris Augen weiteten sich, und eine leichte Röte trat in ihre Wangen. Auraya bemerkte, dass die anderen Sprecher Blicke tauschten. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Sie konnte keine Kränkung bei den Siyee wahrnehmen, nur eine Mischung verschiedener Gedanken, und langsam begriff sie, dass ihre Gastgeber sich fragten, welchen Platz sie in der Welt bekleideten. Hatte ihre Existenz einen bestimmten Sinn? Oder war ihre Erschaffung nur einer vorübergehenden Laune entsprungen, ein Unterfangen, mit dem die Göttin Huan sich für eine Weile vergnügt hatte? Ihre Worte legten den Verdacht nahe, dass die Siyee lediglich zu dem Zweck erschaffen worden waren, Schönheit und Staunen zum Ausdruck zu bringen.

Was das betraf, würde sie große Vorsicht walten lassen müssen. Diese Leute konnten Bedeutungen in ihre Worte hineininterpretieren, die sie nicht beabsichtigte. Sie musste ihnen unbedingt klarmachen, dass sie, was die Ziele der Götter betraf, ebenso unwissend war wie die Siyee. Schließlich hatten die Götter seit der Auserwählungszeremonie nicht mehr zu ihr gesprochen.

»Wir haben eine Versammlung einberufen, um über die vorgeschlagene Allianz zu sprechen«, erklärte Sprecherin Sirri. »Es sind Boten zu allen Stämmen geschickt worden, um sie aufzufordern, ihre Sprecher oder Repräsentanten zu uns zu senden. Es wird zwei oder drei Tage dauern, bis sie alle angekommen sind. In der Zwischenzeit haben wir ein kleines Willkommensfest vorbereitet, das heute Abend bei Sonnenuntergang in der Sprecherlaube stattfinden soll.« Auraya nickte. »Ich freue mich schon darauf.« »Es bleiben noch viele Stunden, bevor die Sonne untergeht. Möchtest du dich ein wenig ausruhen oder dir das Offene Dorf ansehen?«

»Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir mehr von eurer Heimat zeigen würdet.«

Sirri lächelte und deutete mit einer anmutigen Geste auf die Bäume neben ihr. »Es wäre mir eine Ehre, dich herumzuführen.«

20

Als das Wasser in der Schale ruhiger wurde, betrachtete Emerahl ihr Spiegelbild und neigte den Kopf, so dass sie ihren Schädel sehen konnte. Die natürliche Haarfarbe ihrer Jugend begann langsam wieder zutage zu treten, wenn auch nur bei genauem Hinsehen. Es war ein weniger lebhafter Rotton als die Farbe, die sie vor einigen Tagen angewandt hatte, aber wenn ihr Haar länger wurde, würde sie die Veränderung mit Hilfe einer schwächeren Farblösung kaschieren können.

Sie richtete sich auf und unterzog sich einer eingehenden Musterung. Eine junge Frau mit betörenden, grünen Augen, einer hellen, leicht sommersprossigen Haut und Haaren von der Farbe eines Sonnenuntergangs blickte ihr entgegen. Ihre lange Tunika war von einem verblichenen Grün, das früher einmal zu ihren Augen gepasst haben mochte, aber der Ausschnitt war aufreizend – und würde es erst recht sein, sobald sie ein wenig zugenommen hatte.

Das schwache Lächeln, das das Mädchen im Spiegel zeigte, verschwand und wurde durch ein Stirnrunzeln ersetzt.

Ja, ich muss eindeutig etwas tun, um meine Kurven wiederzugewinnen, dachte sie. Ich bin ein mageres kleines Ding.

Unglücklicherweise hatte sie den geringen Lohn von ihren ersten Kunden fast zur Gänze ausgegeben, um für einige Nächte ein Zimmer zu mieten. Der Preis für ein Quartier war in den letzten hundert Jahren ein wenig gestiegen. Geradeso, wie auch andere Dinge teurer geworden waren. Zu spät hatte sie erkannt, warum die Fischer nicht allzu inbrünstig gefeilscht hatten. Sie hatte vermutet, dass das Verlangen der Männer sie milde gestimmt hatte, obwohl sie sich in Wahrheit zu einem äußerst niedrigen Preis verkauft hatte.

Das Wichtigste war jedoch zuerst ihre Kleidung gewesen. Ein Teil des Lohns, den sie von den Fischern verlangt hatte, war ein schmutziges altes Kapas gewesen, das sie in der Hütte gesehen hatte. Der Umhang hatte sie bedeckt, bis sie sich eine Tunika kaufen konnte und ein Zimmer gefunden hatte. In dieser Nacht hatte sie sich gründlich gewaschen und sich dann auf den Weg gemacht, um ihre Börse wieder aufzufüllen. An jenem Abend hatten die Freier keinen allzu großen Gefallen an ihr gefunden, und sie hatte kaum genug Geld verdient, um Essen zu kaufen und die Miete für eine weitere Nacht bezahlen zu können. Am dritten Abend hatte der Mann, den sie in ihr Zimmer mitgenommen hatte, ihr weißes Haar angestarrt und sie mit äußerster Grobheit behandelt. Als er fortgegangen war, hatte er förmlich nach rachsüchtiger Befriedigung gestunken. Sie fragte sich, ob die Frau, die er hatte verletzen wollen, wohl wusste, wie sehr er sie hasste.

Sie hatte eine Mahlzeit ausfallen lassen, um sich das Färbemittel für ihr Haar zu kaufen. Am nächsten Abend hatte sie keine Mühe mehr gehabt, Kunden zu finden. Es gab nicht allzu viele rothaarige Frauen, die in den Straßen von Porin arbeiteten. Sie war etwas Neues.

Emerahl fuhr sich noch einmal mit dem Kamm durchs Haar und wandte sich der Tür zu. Im Stillen verfluchte sie den Priester, der sie aus ihrem Heim vertrieben hatte, dann drückte sie den Rücken durch und verließ den Raum.