Genza verzog das Gesicht. »Nein.« Sie zögerte kurz, dann sah sie Yzzi hoffnungsvoll an. »Du kennst nicht zufällig einen leichteren Rückweg zur Küste?«
Yzzi grinste. »So weit fort bin ich noch nie gewesen, aber ich werde dir helfen, so gut ich kann.«
Genza schenkte ihr ein warmes, dankbares Lächeln. »Das ist sehr nett von dir, Yzzi. Ich hoffe, dass wir uns eines Tages wiedersehen werden und ich auch etwas für dich werde tun können.«
Als Danjin Aurayas Räume betrat, hörte er einen schrillen Freudenschrei. »Daaaanin!«
Sofort zog er den Kopf ein und blickte auf. An der Decke war nichts zu sehen. Er hielt Ausschau nach dem Besitzer der Stimme. Ein grauer Nebel schoss durch den Raum und sprang ihm in die Arme.
»Hallo, Unfug«, sagte er.
Der Veez schaute zu Danjin auf und blinzelte ihn hingebungsvoll an. Unfug hatte inzwischen eine große Vorliebe für Danjin entwickelt, da er und Aurayas Diener die einzige Gesellschaft waren, abgesehen von den seltenen Besuchen von Mairae und Sternenstaub. Außerdem fand er es komisch, sich von der Decke auf Danjins Kopf fallen zu lassen, ein Kunststück, das für den Ratgeber kaum weniger beunruhigend war als die Aussicht aus den Fenstern.
Danjin kraulte den Veez am Kopf und unterhielt sich eine Weile mit ihm, aber schon bald kehrten seine Gedanken zu den Entdeckungen zurück, die er während der letzten Tage gemacht hatte. Er hatte Freunde und Bekannte überall in der Stadt besucht, in vornehmen und weniger vornehmen Bezirken. Was er gehört hatte, hatte seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Die Pentadrianer des südlichen Kontinents stellten eine Armee auf.
Die militärische Ausbildung war ein Teil ihres Kults, und er hatte gehofft, dass sein Bruder und sein Vater zu den falschen Schlüssen gekommen waren, was den Handel mit Waffen betraf. Doch sowohl der alte Seemann, mit dem Danjin sich während seiner frühen Jahre auf Reisen angefreundet hatte, als auch der dunwegische Botschafter hatten ihm von einer aktiven Rekrutierung von Soldaten und Schmieden in Mur, Avven und Dekkar erzählt, den Ländern des südlichen Kontinents.
Unfug entwand sich Danjins Armen, offenkundig unzufrieden mit der geringen Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Er sprang auf einen Stuhl und beobachtete Danjin, der jetzt rastlos im Raum auf und ab ging.
War Nordithania das Ziel der Pentadrianer? Natürlich war es das. Im Nordosten und im Westen lagen weitere Landmassen, aber sie waren so weit entfernt, dass sie beinahe in das Reich der Legenden gehörten. Wenn die Pentadrianer ein anderes Land erobern wollten, war der Kontinent nördlich von ihnen das nächstgelegene Ziel. Was ist los, Danjin? Er keuchte vor Erleichterung. Auraya! Endlich!
Es ist schön, vermisst zu werden, aber das ist offenkundig nicht der Grund für deine Sorgen. Was ist das für eine Geschichte, dass die Pentadrianer Ithania erobern wollen?
Er berichtete schnell, was er in Erfahrung gebracht hatte.
Ich verstehe. Das ist es also, was die Leute reden. Ich glaube nicht, dass die Möglichkeit eines Krieges noch sehr lange ein Geheimnis bleiben wird.
Du wusstest von alledem?
Ja und nein. Wir bekommenerst seit kurzem verlässliche Berichte darüber, was sich im Süden zuträgt. Es handelt sich dabei um Beobachtungen von Menschen, die sich große Mühe geben, nicht entdeckt zu werden. Die Art von Informationen, die du aufgetan hast – Ankäufe von Materialien und eine Veränderung in ihrer militärischen Strategie -, ist mir neu. Erzähl Juran, was du herausgefunden hast. Es wird ihm helfen, das größere Bild zu sehen.
Das werde ich tun. Wie entwickelt sich deine Arbeit in Si?
Es ist ein faszinierendes Land. Ich kann es gar nicht erwarten, dir davon zu erzählen. Diese Leute sind von so sanftem Wesen. Ich hatte eine Art innerer Zerrissenheit erwartet – wie die uralten Fehden zwischen den dunwegischen Clans -, aber hier herrscht lediglich eine sanfte Rivalität zwischen den Stämmen, die sie in fliegerischen Wettbewerben ausleben. Sie streben Verbindungenzwischen jungen Männern und Frauen verschiedener Stämme an, und sie heiraten ziemlich jung, was bedeutet, dass die Siyee schnell heranwachsen. Hast du in der Zwischenzeit etwas von Leiard gehört?
Der plötzliche Themenwechsel überraschte Danjin.
Nein. Nicht mehr, seit du abgereist bist. Könntest du... könntest du ihn besuchen? Nur um ihn wissen zu lassen, dass ich ihn nicht vollkommen vergessen habe. Ich werde gleich morgen zu ihm gehen.
Danke. Und wie geht es... ah,da kommt Sprecherin Sirri. Ich werde mich bald wieder bei dir melden.
Das Gefühl ihrer Anwesenheit verblasste, dann kehrte es plötzlich zurück.
Und streichle Unfug von mir. Das werde ich.
Dann war sie fort. Danjin ging zu dem Stuhl hinüber, hockte sich hin und kraulte den Veez am Kopf. »So, das ist von deiner Herrin.«
Unfug schloss die Augen, und sein spitzes Gesicht war ein Bild der Wonne. Danjin seufzte. Wenn man mich doch nur auch so leicht beruhigen könnte, dachte er. Auraya weiß von der Armee der Pentadrianer, aber das macht die Angelegenheit nicht weniger erschreckend. Ich kann nur hoffen, dass die Weißen alles in ihren Kräften Stehende tun werden, um einen Krieg zu verhindern – oder ihn zumindest zu gewinnen, falls er unvermeidlich sein sollte.
»Tut mir leid, Unfug«, sagte er zu dem Veez. »Ich muss dich allein lassen. Ich muss Juran berichten, was ich weiß.«
Er kraulte Unfug ein letztes Mal, dann erhob er sich und eilte aus dem Raum. Nachdem Sprecherin Sirri wieder gegangen war, schlenderte Auraya langsam durch die Laube, die die Siyee für sie gebaut hatten. Es war eine prächtige Behausung, so schlicht und gleichzeitig so schön. Ihre Laube war doppelt so groß wie eine gewöhnliche Laube, denn die Siyee hatten sie nach der Größe Gremmers bemessen, des Botschafters, der ihnen das Angebot einer Allianz überbracht hatte.
Sie legte ihren weißen Zirk ab und schlüpfte in die schlichte Tunika, in der sie schlief. Seit ihrer Abreise aus Jarime hatte sie sich nicht mehr die Mühe gemacht, ihr Haar nach der kunstvollen Mode Hanias zu frisieren, da das Fliegen all die harte Arbeit ohnehin schnell zunichte gemacht hätte. Stattdessen flocht sie ihr Haar zu einem einzigen Zopf, den sie nun löste.
Es gelang ihr, ohne allzu große Mühe in ihr bequemes Bett zu steigen. Nachdem sie sich die Kissen und Decken behaglich zurechtgelegt hatte, entspannte sie sich und ließ ihre Gedanken schweifen. Die Zeit verstrich, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Sie hatte früher am Tag zu Juran Verbindung gehabt, und vor diesem Hintergrund beunruhigten Danjins Neuigkeiten sie umso mehr. Es wurde von Tag zu Tag wahrscheinlicher, dass Nordithania tatsächlich ein Krieg mit den Pentadrianern drohte. Und Juran hatte Mairae aus Somrey zurückgerufen, weil er befürchtete, dass sie dort von einem der schwarzen Zauberer angegriffen werden könnte.
Und ich bin hier und versuche, die Siyee zu einer Allianz mit uns zu überreden. Wenn sie zustimmen und es zum Krieg kommt, werden sie an unserer Seite kämpfen müssen. Sie sind kein starkes oder robustes Volk. Wie kann ich sie darum bitten, zu kämpfen, wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass viele von ihnen dabei ums Leben kommen werden?
Sie seufzte und veränderte ihre Position ein wenig. Es wäre den Siyee gegenüber nicht recht, ihnen die Möglichkeit eines Krieges vorzuenthalten, bis sie ihre Entscheidung getroffen hatten. Wenn sie ihnen jetzt jedoch davon erzählte, würde sie das vielleicht von einer Allianz mit den Weißen abhalten. Sie würde ihnen klarmachen müssen, dass eine Ablehnung der Allianz und die Vermeidung einer Beteiligung an einem Krieg sie nicht vor den Pentadrianern retten würden. Wenn die torenischen Siedler eine Bedrohung für sie darstellten, galt das Gleiche für andere Eindringlinge. Die Siyee würden sich vielleicht dazu entscheiden, dieses Risiko einzugehen. Schließlich würden die Pentadrianer am Ende vielleicht doch nicht in Nordithania einfallen. Andererseits konnte sie nicht darauf setzen, dass es nicht zu einem Krieg kommen würde und sie die Siyee daher nicht zu warnen brauchte. Es würde sie erbittern, wenn sie erfuhren, dass sie ihnen auch nur die Möglichkeit eines Krieges vorenthalten hatte.