Doch selbst dann noch hätte er die Willenskraft haben müssen, aufzuhören, aber Auraya hatte die Traumvernetzung auf völlig natürliche Weise angenommen. Es war unmöglich, sie zurückzuweisen, und die Freuden der Nacht waren zu schön gewesen, um zu widerstehen.
Sie hat eine ausgeprägte Fantasie, diese junge Frau, murmelte eine Stimme in seinen Gedanken. Es ist ein Jammer, dass sie ein Werkzeug der Götter ist.
Leiard runzelte die Stirn. Sie ist mehr als nur ein Werkzeug.
Ach ja? Glaubst du, dass sie sich weigern würde, wenn die Götter ihr den Befehl gäben, dich zu töten?
Ja.
Du bist ein Narr.
Leiard blieb stehen und blickte auf das Wasser hinaus.
Schiffe, die im Nebel seltsam geisterhaft wirkten, wiegten sich sanft an ihren Anlegestellen.
Ich bin ein Narr, pflichtete er der Stimme in seinem Innern bei.
Ich hätte es nicht tun dürfen, dachte Leiard. Wir haben das Gesetz gebrochen. Ein dummes Gesetz.
Trotzdem ein Gesetz. Und wer dagegen verstößt, wird mit dem Tod bestraft.
Ich bezweifle, dass sie bestraft würde. Was dich betrifft ...Du warst klug genug, sicherzustellen, dass es ihre Entscheidung war. Wenn sie ein Gewissen hat, wird sie sich selbst dafür verantwortlich machen, dich ermutigt zu haben, dieses Gesetz zu brechen.
Es war nicht ihre Schuld.
Nein? Dann hältst du dich also für so unwiderstehlich, dass sie jeden eigenen Willen verloren und sich dir hingegeben hat?
Oh, sei still Leiard runzelte finster die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Ganze war einfach lächerlich. Er stritt mit einer Erinnerung Mirars. Was in letzter Zeit immer häufiger geschah. Er hatte die Vernetzung mit Jayim abgelehnt, weil er fürchtete, der Junge könnte von seiner Nacht mit Auraya erfahren, aber Arleej hatte gesagt, dass er sich bisweilen vernetzen müsse, um das Gefühl für seine Identität zurückzuerlangen. War das der Grund, warum Mirars Persönlichkeit sich so entwickelt hatte, warum es sich so anfühlte, als wolle er... als wolle...
Dich beschützen? Weil ich weiß, dass ihr beiden, du und Auraya, euch gleich nach ihrer Rückkehr an verborgenen Ortenin der Stadt treffen wollt, um euch bis zur Besinnungslosigkeit eurer Leidenschaft hinzugeben. Weil du ein Traumweber bist, und wenn deine Affäre entdeckt wird, werden meine Leute den Preis dafür zahlen.
Das wird nicht geschehen, erwiderte Leiard. Nicht wenn die anderen Weißen niemals die Gelegenheit bekommen, meine Gedanken zu lesen. Ich werde die Rolle des Ratgebers aufgeben müssen.
Womit du nur ihren Argwohn wecken wirst. Sie werden dich befragen wollen. Sie werden wissen wollen, warum du so handelst.
Ich werde ihnen eine Nachricht schicken und ihnen mitteilen, dass ich mehr Zeit brauche, um Jayim auszubilden.
Das klingt wirklich sehr glaubwürdig.
Sie werden keinen weiteren Gedanken auf mich verschwenden. Ich bin nur ein gewöhnlicher Traumweber. Wahrscheinlich werden sie erleichtert sein, mich loszuwerden. Sie werden...
»Leiard?«
Die Stimme erklang ganz in seiner Nähe. Blinzelnd stellte Leiard fest, dass er sich am Ende eines Piers befand. Als er sich umwandte, stand Jayim hinter ihm.
»Jayim?«, fragte er. »Was tust du hier?«
Der Junge legte die Stirn in Falten. »Nach dir suchen.« Er sah sich um. »Mit wem hast du geredet?«
Leiard sah seinen Schüler an. Geredet? Er schluckte und stellte dabei fest, dass sich seine Kehle genauso anfühlte, als habe er eine ganze Weile gesprochen.
»Mit niemandem«, sagte er und hoffte, dass man ihm seine Beunruhigung nicht ansehen konnte. Er zuckte die Achseln. »Ich habe lediglich einige Formeln laut aufgesagt.«
Jayim akzeptierte Leiards Erklärung mit einem Nicken. »Wirst du mir heute Unterricht geben?«
Leiard schaute zu den Schiffen hinüber. Der Nebel war inzwischen schwächer geworden. Er konnte unmöglich feststellen, wie lange er hier gestanden hatte. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, seit einigen Stunden.
»Ja. Ich denke, wir werden uns weitere Heilmittel vornehmen. Man kann nie genug davon kennen.«
Jayim verzog das Gesicht. »Keine Vernetzung?«
Leiard schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
Ein beharrliches Hämmern zog Emerahl trotz ihres Widerstands aus den Tiefen des Schlafs empor. Benommen erkannte sie, worum es sich bei dem Geräusch handelte:
Jemand schlug mit der Faust gegen die Tür. Sie öffnete die Augen und murmelte einen Fluch. Einen Vorteil hatte es, bis spät in die Nacht aufzubleiben und den ganzen Morgen zu verschlafen: Sie wurde auf diese Weise nicht von dem Turmtraum gequält. Allerdings kam gelegentlich die Vermieterin zu früher Stunde vorbei, um die Miete einzufordern.
»Ich höre dich«, rief sie. »Ich komme.«
Mit einiger Mühe richtete sie sich auf. Sofort spürte sie, wie die letzten Überreste des Schlafs ihren Halt verloren. Sie blinzelte und rieb sich die Augen, bis sie sie offen halten konnte, dann gähnte sie mehrmals, warf sich ihr schmutziges, altes Kapas über und ging zur Tür.
Sobald sich der Riegel mit einem Klicken geöffnet hatte, schwang die Tür nach innen auf. Emerahl taumelte rückwärts und sammelte hastig Magie, um einen unsichtbaren Schild zu formen. Der Eindringling war eine hochgewachsene Frau in mittleren Jahren, die vornehme Kleidung trug. Hinter ihr standen zwei breitschultrige Männer, die sie offensichtlich zu ihrem Schutz in Dienst genommen hatte.
Weder von der reichen Fremden noch von ihren Wachen schlug Emerahl etwas Böses oder Gewalttätiges entgegen, nur Neugier und die Arroganz von Menschen, die über Wohlstand oder Macht verfügten. Emerahl starrte die Frau an.
»Wer bist du?«, verlangte sie zu erfahren.
Die Frau ignorierte die Frage. Sie sah sich im Raum um, zog angewidert die Augenbrauen hoch und bedachte Emerahl dann mit einem abschätzenden Blick. »Du bist also die Hure, die Panilo entdeckt hat.« Sie schürzte die Lippen. »Zieh das Kapas aus.«
Emerahl machte keine Anstalten zu gehorchen. Sie sah ihr fest in die Augen. »Wer bist du?«, wiederholte sie.
Die Fremde verschränkte die Arme vor der Brust und schob ihren üppigen Busen vor.
»Ich bin Rozea Peporan.«
Sie erwartete offensichtlich, dass der Name Emerahl etwas sagen würde. Nach einem kurzen Schweigen runzelte die Frau die Stirn, ließ die Arme sinken und stemmte stattdessen die Hände in die Hüften.
»Ich besitze und betreibe das reichste Bordell in Porin.«
Ein Bordell? In Toren klopften – beziehungsweise hämmerten -die Chancen sehr schnell an die Tür.
»Ist das so?«, erwiderte Emerahl.
»Ja.«
Emerahl legte einen Finger an die Lippen. »Panilo ist der Kaufmann, der während der letzten Nächte meine Dienste in Anspruch genommen hat.«
»Das ist richtig. Er ist ein Stammkunde. Zumindest war er das bis vor kurzer Zeit. Er hat einen Blick für Qualität, daher macht es mich immer misstrauisch, wenn meine Spione mir berichten, dass er die Hauptstraße besucht hat.«
»Dann bist du also hier, um mich meiner Wege zu schicken?«
Rozea lächelte, aber ihre Augen blieben kalt. »Das kommt darauf an. Zieh dein Kapas aus. Und dein Hemd.«
Emerahl schlüpfte aus ihren Kleidern und warf sie auf das Bett, dann straffte sie die Schulter und drehte sich um, um ihren nackten Körper zur Schau zu stellen. Sie brauchte sich nicht allzu sehr anzustrengen, um das Interesse der Wachen wahrzunehmen. Die Art, wie die Frau ihren Körper begutachtete, war unpersönlich und berechnend. Emerahl drehte sich einmal um die eigene Achse und warf den Kopf zurück.