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Alle Traumweber lernten geistige Übungen, die den Übergang in den Traumzustand beschleunigten. Trotzdem dauerte es eine ganze Stunde, bis die Traumweberälteste auf seinen Ruf antwortete. Er vermutete, dass sie gerade erst eingeschlafen war.

Leiard?

Ja. Erinnerst du dich an mich?

Natürlich. Man vergisst keinen Traumweber, der so viele von Mirars Erinnerungen in sich trägt.

Nein, das tut man wohl nicht. Ich wünschte mir allerdings langsam, es wäre anders.

Warum?

Er erklärte ihr, was geschehen war, und spürte ihre wachsende Sorge.

Wie oft hast du dich mit deinem Schüler vernetzt?

Ein- oder zweimal, antwortete er ausweichend. Es ist noch ein wenig zu früh dafür.

Du vermeidest es bewusst, dich mit ihm zu vernetzen, erklärte sie. Er hatte sie mit seiner Ausrede nicht täuschen können.

Ja, gab er zu. Ich habe... ich habe Kenntnis von einem Geheimnis erhalten, das ich ihm nicht zu enthüllen wage.

Ich verstehe. Dann musst du jemand anderen finden, dem du das Geheimnis enthüllen kannst, jemanden, dem du vertraust. Wenn du es nicht tust, befürchte ich, dass du deine Identität verlieren wirst. Du wirst weder du selbst sein noch diese Manifestation Mirars, sondern eine halb wahnsinnige Mischung von beidem.

Ich kenne niemanden...

Es gibt noch andere Traumweberin Jarime. Würde einer von ihnen deinen Zwecken genügen?

Vielleicht. Er hielt einen Moment lang inne. Da wäre noch etwas, von dem ich dir erzählen sollte. Ich habe heute Abend mit Danjin Speer gesprochen. Er hat mir eine Warnung zukommen lassen, dass die Traumweber in Sennon vielleicht nicht mehr sicher sein werden.

Er spricht von der Allianz zwischen Sennon und den Pentadrianern. Ah!

Ja. Wir haben von den Pentadrianern nichts zu befürchten. Sie haben die Traumweber immer gut behandelt. Wenn du das nächste Mal mit diesem Ratgeber sprichst, bitte ihn, die Weißen daran zu erinnern, dass wir Traumweber in einem Krieg neutral zu bleiben pflegen. Falls es zu Kämpfen kommen sollte, werden wir uns um die Verwundeten aller Nationen kümmern, wie wir es immer getan haben.

Ich werde es ausrichten. Wird es denn einen Krieg geben?

Je mehr ich von diesen Pentadrianern erfahre, umso mehr befürchte ich, dass ein Krieg unvermeidlich ist. Sie zögerte kurz, dann fügte sie hinzu: Was weißt du über sie?

Ich habe keine Netzerinnerungen, was dieses Thema betrifft, antwortete Leiard. Was ich weiß, beruht auf Bemerkungen von Auraya und den Gerüchten, die in Jarime die Runde machen. Sind ihre Götter real?

Das weiß niemand. Die Zirkler streiten es natürlich ab. Selbst wenn sie recht haben sollten, wären die Pentadrianer deswegen kaum ungefährlicher.

Das ist zumindest etwas.

Ja. Ich muss jetzt Schluss machen. Es warten noch andere Traumweber darauf, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Gib auf dich Acht, Leiard. Denk darüber nach, was ich gesagt habe.

Die Vernetzung endete, als Arleej ihren Geist anderen Dingen zuwandte. Nachdem die Verbindung abgebrochen war, trieb Leiard im Nichts, wohl wissend, dass sie ihm einen klugen Rat gegeben hatte. Aber er fürchtete die Konsequenzen: Wenn er einen anderen Traumweber in sein Geheimnis einweihte, dann würde der nächste Traumweber, mit dem er oder sie sich verband, die Wahrheit entdecken. Schon bald würden alle Traumweber davon wissen...

Leiard?

Sein Herz tat einen Freudensprung, als er Aurayas Gedankenstimme hörte, und er eilte ihr voller Eifer entgegen.

Was wir getan haben, lässt sich nicht mehr ungeschehen machen, dachte er. Wir können es genauso gut genießen, solange es uns möglich ist.

Als Emerahl in ihr Zimmer zurückkehrte, warm und entspannt nach einem langen Bad in heißem Wasser, ging ihr durch den Kopf, dass ihre Situation sich um einiges verbessert hatte. Sie war nach wie vor eine Hure, aber zumindest eine wohlgenährte, und sie hatte weit bessere Kunden als zuvor. Außerdem verdiente sie mehr Geld, obwohl Rozea darauf bestand, den größten Teil davon für sie zu verwalten.

Obwohl sie bereits zweimal in ihrem langen Leben eine Prostituierte gespielt hatte, war es keine Rolle, die ihr besonders gefiel. Sie erinnerte sich an das erste Mal vor mehr als fünfhundert Jahren und verzog das Gesicht. Eine Triade mächtiger Zauberer hatte sie kreuz und quer durch Ithania gejagt, entschlossen, ihr das Geheimnis der Unsterblichkeit abzupressen, auch wenn die Zauberer selbst zu schwach waren, um dieses Wissen nutzen zu können. Einzeln hatten sie ihr keine Mühe bereitet, aber vereint waren sie ein mächtiger Feind. In ihrer Verzweiflung hatte sie ihr Äußeres verändert und eine Rolle angenommen, die die Zauberer ihr niemals zugetraut hatten, weil sie glaubten, sie sei zu stolz, um eine derartige Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen.

Sie hatten recht gehabt. Ihr Stolz hatte unter der Berührung eines jeden Freiers gelitten. Wie konnte sie, eine der Unsterblichen, ihren Körper an Männer verkaufen, die in ihr nur ein flüchtiges Vergnügen sahen?

Die drei Zauberer hatten sich schließlich zerstritten, und einer von ihnen hatte die beiden anderen getötet. Es waren zwei Jahre vergangen, bis sie davon erfahren hatte. Zwei Jahre selbst auferlegter Demütigung, die sie nicht hätte zu ertragen brauchen. Was hätte ich anderes tun können? Die Menschen auf den Straßen interessieren sich nicht für fremdländische Zauberer. Diese Art von Neuigkeiten verbreitet sich nur langsam.

Sie seufzte. Die Menschen glaubten oft, sie müsse über ein großes Wissen verfügen, nur weil sie unsterblich war. Sie erwarteten von ihr, dass sie umwälzende historische Ereignisse beschreiben konnte, als sei sie dabei zugegen gewesen. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie sich von jedweden Machtspielen und den Menschen, die sie spielten, ferngehalten.

Und genauso wollte sie leben. Ruhm und Macht hatten während der ersten hundert Jahre ihrer Existenz ihren Reiz für sie verloren. Sie hatte sich zum zweiten Mal der Prostitution zugewandt, um beiden zu entkommen. Sie war in ein entlegenes Dorf gezogen und hatte dort die Menschen geheilt, wie sie es immer getan hatte. Anfangs waren nur wenige Menschen zu ihr gekommen, bis die Heilerzauberin eine wahre Flut von Kranken anzog und das Dorf reich wurde. Zuerst hatte ihr die Aufmerksamkeit geschmeichelt, und sie hatte sich eingeredet, dass sie auf diese Weise mehr Menschen Gutes tun konnte. Ihre Behauptung, lediglich ein altes Weib zu sein, hatte ihr einen liebevollen Spitznamen eingetragen: das Weib.

Einige Menschen hatten ihr angeboten, Unterkünfte für ihre Besucher bereitzustellen. Schon bald hatten sie Geld von den Kranken verlangt. Emerahl war ihrer Habgier und ihres Fanatismus überdrüssig geworden und hatte sich davongestohlen. Allerdings hatte sie den Ruhm, den sie erworben hatte, unterschätzt. Selbst an den entlegensten Orten hatten die Menschen von dem Weib gehört. Ihre Anhänger hatten überall nach ihr Ausschau gehalten, und wann immer sie irgendwo entdeckt worden war, hatte sich die Neuigkeit in Windeseile verbreitet.

Es war die Anonymität der Prostitution, die sie ein zweites Mal zu dem Gewerbe hingezogen hatte, aber sie war nicht lange Hure geblieben. Mirar hatte sie gefunden. Sie lächelte bei der Erinnerung, wie beliebt er bei den Mädchen gewesen war und wie sehr es ihn überrascht hatte, sie, Emerahl, dort zu finden. Obwohl er verstanden hatte, warum sie sich auf diese Art und Weise von der Menschheit zurückgezogen hatte, ließ er sich nicht von dem Gedanken abbringen, dass diese Arbeit ihr nicht guttue. Er brachte sie in die Wilden Territorien, lange bevor das Gebiet von den Siyee besiedelt wurde. Sie waren sowohl Liebende als auch Freunde gewesen, aber sie war seinem Zauber niemals wirklich erlegen... »Jade«, erklang eine atemlose Stimme. Sie blickte auf. Am Ende des Flurs standen zwei Frauen. Eine war Blatt, eine freundliche Frau in mittleren Jahren, die den Betrieb für Rozea regelte; sie war es auch, die Emerahl nach ihrer Ankunft durch das Bordell geführt hatte. Die andere Frau war die Favoritin des Bordells, Mondschein, eine kurvenreiche Schönheit mit dunklem Haar, blasser Haut und klaren, violetten Augen. Sie musterte Emerahl von Kopf bis Fuß, die fein gemeißelte Nase angewidert gerümpft.