»Also, was hat die Stadt in solchen Aufruhr versetzt?«, fragte sie leichthin. Er sah sie erschrocken an, und sie begann sich zu entschuldigen, aber er brachte sie mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen.
»Ich bin nicht verärgert über deine Frage, aber...« Er seufzte. »Es ist kein angenehmes Thema. Diese letzte Woche...« Er sah plötzlich müde aus.
»Es tut mir leid«, murmelte Emerahl. »Ich habe dir den Abend verdorben – indem ich dich an die Dinge erinnert habe, die dir Sorgen machen. Hier.« Sie trat hinter ihn und machte sich daran, seine Schultern zu massieren.
»Du hast mir nicht den Abend verdorben«, erwiderte er. »Das wird erst geschehen, wenn ich dich verlassen habe.« Er hielt inne, dann zuckte er die Achseln. »Ich nehme an, du wirst es ohnehin irgendwann erfahren. Versprichst du mir, das hier für dich zu behalten?«
»Natürlich – aber du brauchst es mir nicht zu erzählen, wenn du nicht willst«, sagte sie.
»Ich möchte darüber sprechen. Ich muss es irgendjemandem erzählen, und meine Gemahlin ist nicht die Art Frau, die zuhört.«
Eine Gemahlin, wie? »Dann sollte ich dich vielleicht warnen.«
»Weshalb?«, fragte er scharf.
»Ich denke, die Hälfte der Mädchen hier musste schwören, dasselbe Geheimnis zu wahren.«
Er lachte. »Das bezweifle ich nicht.« Er stieß einen wohligen Seufzer aus. »Das tut gut.«
Es folgte eine lange Pause, dann spürte sie, dass sich die Muskeln in seinen Schultern verspannten.
»Die Weißen haben uns gebeten, unsere Armee für einen Krieg zu rüsten«, erklärte er schließlich.
»Für einen Krieg?« Eine Mischung aus Entsetzen und Hoffnung stieg in ihr auf. Kriege brachten Gefahren mit sich, aber auch Chancen. Vielleicht würde sich auf diese Weise eine Möglichkeit für sie bieten, aus der Stadt zu fliehen. »Mit wem?«
»Mit den Pentadrianern.«
Sie zögerte. Es hatte ihn erstaunt, dass sie nicht wusste, wer die Weißen waren. Sollte sie zugeben, dass sie auch keine Ahnung hatte, wer diese Pentadrianer waren?
»Du fragst dich, wer sie sind, nicht wahr?«, bemerkte er. »Nun, genau kann ich es dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass sie einem Kult angehören, dessen Wurzeln auf dem südlichen Kontinent liegen. Es ist ihnen gelungen, Sennon zu einem Bündnis zu überreden.«
»Sie haben vor, in Toren einzufallen?«, fragte sie.
»Sie haben vor, in ganz Nordithania einzufallen. Um sich aller Zirkler zu entledigen. Sie hassen die Zirkler.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass irgendjemand es weiß.«
Mir würden ein paar Gründe einfallen, dachte Emerahl. Sie haben den so genannten »Heiden« allen Grund gegeben, sie zu hassen. Wer weiß, was sie diesen Pentadrianern angetan haben.
»Es sieht also so aus, als würde ich in einigen Wochen in einen Krieg ziehen«, fuhr Panilo fort. »Mit einem Trupp meiner eigenen Männer, über die ich das Kommando führen muss. Was ich über Kriege weiß? Nichts.«
Du weißt alles, was man wissen muss, dachte sie traurig. Armer Panilo. Es sieht so aus, als würde mein bester Kunde für eine Weile fort sein – und vielleicht nie mehr zurückkehren.
»Du wirst wahrscheinlich nicht mehr tun müssen, als Befehle an deine Männer weiterzugeben«, sagte Emerahl beruhigend. »Der König wird alle Entscheidungen für Toren treffen.«
Panilo nickte. »Und er wird die Anweisungen der Weißen befolgen.«
Die Weißen. Natürlich. Alle Priester und Priesterinnen werden den Befehl erhalten, in den Kampf zu ziehen. Die Wache bei den Toren wird abberufen werden. Es wird mir freistehen, die Stadt zu verlassen. Nur noch ein paar Wochen.
Panilo richtete sich auf. »Wie können wir scheitern, wenn wir die Götter auf unserer Seite haben? Diese Pentadrianer sind schließlich nur Heiden.«
»Das ist wahr.« Sie lächelte, dann schlang sie die Arme um seine Brust. »Wenn du zurückkommst, kannst du mir davon erzählen.«
26
Seit der Vorführung seines Geschirrs war Tryss jeden Morgen früh erwacht. Manchmal stand er leise auf und stahl sich davon, um zu jagen; dann wieder blieb er einfach im Bett und lauschte, während seine Familie langsam ihr Tagewerk begann. Heute hatte er beschlossen, im Bett zu bleiben. Er war erst spät zur Ruhe gekommen, und er wollte einfach noch ein wenig dösen.
Seine Gedanken wanderten zu den Gesprächen des vergangenen Abends. Sreil, Sprecherin Sirris Sohn, hatte Tryss erzählt, dass die jungen Männer anderer Stämme begierig darauf warteten, seine Erfindung ausprobieren zu können, aber ihre Sprecher hatten ihnen befohlen, Tryss in Ruhe zu lassen. Sie wollten sicherstellen, dass kein Stamm einem anderen vorgezogen wurde. Sprecherin Sirri hatte den Vorschlag gemacht, dass ein Mann aus jedem Stamm ausgewählt werden sollte, um eine erste Gruppe zu bilden, die Tryss unterrichten sollte. Diese Männer würden dann das Gelernte an ihren Stamm weitergeben.
Tryss war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Es war gewiss nicht die schnellste Methode, andere zu unterrichten, und wahrscheinlich auch nicht die verlässlichste. Wenn einer dieser Männer ihn nicht richtig verstand, würde er seine Irrtümer vielleicht weitergeben.
Aber es würde ohnehin nichts passieren, bevor die Allianz mit den Weißen unterzeichnet war. Am vergangenen Abend hatten die Siyee eine zweite Versammlung abgehalten. Diesmal hatten alle Stämme sich für eine Allianz mit den Weißen ausgesprochen. Die Stimmung war eher düster gewesen als begeistert. Obwohl die meisten Siyee mit der Entscheidung zufrieden waren, hatten einige offenkundig das Gefühl, dazu gezwungen worden zu sein, zwischen den Weißen und den Feinden der Weißen zu wählen, um sich vor den Siedlern zu schützen. Als trüge die Priesterin die Schuld an der Situation der Siyee.
So ist es nicht, hatte Tryss befunden. Die Weißen tragen ebenso wenig die Verantwortung dafür, dass sie einen Feind haben, wie man den Siyee die Schuld daran geben kann, dass Eindringlinge ihnen ihr Land stehlen. Es erschien ihm richtig, dass die Weißen und die Siyee einander jetzt halfen.
Ein leises Geräusch erregte Tryss’ Aufmerksamkeit. Er lauschte kurz, dann wurde ihm klar, dass es seine Mutter war, die im Hauptraum wahrscheinlich gerade das Morgenmahl vorbereitete.
Ich könnte aufstehen und ihr helfen, dachte er. Es sieht nicht so aus, als würde ich wieder einschlafen.
Er schwang sich aus dem Bett und wusch sich, bevor er sich ankleidete. Schließlich ging er in den Hauptraum und begrüßte seine Mutter mit einem fröhlichen Grinsen. Sie lächelte ihn an, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder einer steinernen Schale zu.
»Du bist spät dran.«
Er zuckte die Achseln. »Es war eine lange Nacht.« »Ich habe dich mit Sreil reden sehen«, sagte sie anerkennend. »Er ist ein kluger Junge.« »Ja.«
Das Wasser in der Schale begann zu dampfen. Seine Mutter warf Nusspaste und getrocknete Früchte hinein, und die Flüssigkeit hörte auf zu kochen. Tryss beobachtete seine Mutter, während sie in dem Brei rührte, bis die Flüssigkeit von neuem zu kochen begann. Wenn die Siyee über größere Gaben verfügten, hätten wir das Geschirr vielleicht nie benötigt, ging es ihm durch den Kopf. Die meisten Siyee konnten Speisen erhitzen, wie seine Mutter es tat, aber darüber hinaus waren ihre magischen Fähigkeiten sehr begrenzt. Nach allem, was er gehört hatte, besaßen auch die Landgeher kleine Gaben.
»Ich habe Ziss und Trinn in letzter Zeit kaum gesehen.«
»Ich auch nicht«, erwiderte er. »Dank sei Huan.«
Sie blickte ihn an. »Du solltest nicht zulassen, dass dieser kleine Streich eure Freundschaft zerstört.«
»Es war kein kleiner Streich«, gab er zurück. »Und die beiden waren niemals meine Freunde.«