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Die Weiße Priesterin hielt zwei Schriftrollen hoch. Tryss bemerkte, dass die hölzernen Stäbe an den Enden der Pergamentrolle mit Siyee-Schnitzereien verziert waren.

»Jetzt muss nur noch ein jeder von uns im Namen seines Stammes unterzeichnen«, beendete Sirri ihre Erklärungen.

Sie griff hinter ihren Hocker und holte ein flaches Brett hervor. Ein kleiner Behälter mit schwarzer Farbe stand in einer Vertiefung auf dem Brett, und in einer anderen lag ein Pinsel. Sirri legte sich das Brett auf die Knie.

Die Weiße Priesterin hielt die Schriftrollen vor sie hin. Dann schloss sie die Augen.

»Chaia, Huan, Lore, Yranna, Saru. Heute kommt euer Wunsch, Nordithania in Frieden geeint zu sehen, seiner Verwirklichung einen Schritt näher. Wisset, dass das Volk, das Huan schuf, die Siyee, sich mit den Menschen verbünden will, die ihr zu euren Repräsentanten in dieser Welt auserwählt habt, den Weißen. Wir tun dies mit Freude und mit großen Hoffnungen für die Zukunft.«

Ein leiser Schauder strich über Tryss’ Rücken. Er hatte jedoch keine Zeit, sich darüber zu wundern, denn Auraya schlug bereits wieder die Augen auf und reichte Sirri eine der Schriftrollen. Die Sprecherin entrollte das Pergament, griff nach dem Pinsel und tauchte ihn in die Farbe.

Während sich die Pinselspitze über die Schriftrolle bewegte, herrschte tiefes Schweigen in der Laube. Tryss beobachtete, wie Sirri auf die zweite Rolle ihr Namenszeichen und ihr Stammeszeichen malte, dann gab sie das Brett an den nächsten Sprecher weiter. Tryss wurde bewusst, dass dies kein Ritual war, das sich in langen Jahrhunderten durch stete Wiederholung gebildet hatte. Die Siyee kannten keine Zeremonie für ein solches Ereignis: Sie hatten noch nie zuvor eine Allianz unterzeichnet. Dies war ein neues Ritual, begonnen am heutigen Tag.

Die Stille hielt weiter an, während die Schriftrolle von einem Sprecher zum nächsten weitergereicht wurde. Die Weiße Priesterin beobachtete sie alle mit großer Geduld. Tryss bemerkte, dass bisweilen ein geistesabwesender Ausdruck in ihre Augen trat, als lausche sie auf etwas, das er nicht hören konnte. Einmal lächelte sie schwach, aber er konnte nichts im Raum entdecken, das ihre Erheiterung hätte erklären können. Schließlich gab der letzte Sprecher ihr die Schriftrolle zurück. Sie unterzeichnete langsam; sie war es offensichtlich nicht gewohnt, mit einem Pinsel zu schreiben. Als sie fertig war, gab sie das Brett und eine der Schriftrollen Sirri zurück. Die Sprecherin legte das Brett beiseite, behielt die Schriftrolle jedoch in der Hand.

»Heute haben unsere Völker sich in Freundschaft und zur gegenseitigen Unterstützung an Händen und Herzen verbunden«, sagte Sirri. »Mögen alle Siyee, gegenwärtige wie kommende, diese Allianz respektieren.« Sie sah Auraya an.

»Heute haben die Weißen einen Verbündeten gewonnen, den wir bis in alle Ewigkeit schätzen werden«, erwiderte Auraya. »In Übereinstimmung mit der Vereinbarung, die wir soeben getroffen haben, wird unsere erste Tat darin bestehen, die torenischen Siedler in ihr Heimatland zurückzuführen. Dies wird einige Zeit benötigen, wenn es ohne Blutvergießen geschehen soll, aber wir sind entschlossen, unser Ziel innerhalb der nächsten zwei Jahre zu erreichen.«

Ein triumphierendes Lächeln erschien auf den Gesichtern der Sprecher. Die förmliche Atmosphäre war durchbrochen, als einer der Sprecher Auraya fragte, wie sich dies bewältigen ließe, ohne zukünftige Handelsbeziehungen zu Toren zu beeinträchtigen. Die Sprecher begannen, miteinander zu reden, und einige von ihnen standen auf und traten neben Sirri, um die Schriftrolle zu betrachten.

Tryss beobachtete das Geschehen schweigend, aber es dauerte nicht lange, bis einer der Sprecher ihn bemerkte. Als der alte Mann begann, ihm Fragen nach seinem Geschirr zu stellen, fielen andere ein, und schon bald war Tryss nicht mehr in der Lage, eine Frage zu beantworten, bevor die nächste laut wurde.

»Meine lieben Freunde, habt ein wenig Mitleid mit dem armen Jungen.« Sirris Stimme erhob sich über die anderen. Sie schob sich in den Kreis von Männern und Frauen, die Tryss umringten. »Ihr wollt im Grunde alle dasselbe wissen: Wann werden eure Stämme ihre eigenen Geschirre bekommen und wann werden sie in ihrer Benutzung unterwiesen.« Sie sah Tryss an. »Was meinst du, Tryss?«

Er ließ seinen Blick über die Sprecher wandern, dann holte er tief Luft und sagte:

»Zuerst werden die Geschirre angefertigt werden müssen. Ich kann zwei Männer von jedem Stamm unterrichten, so dass einer den anderen korrigieren kann, falls es zu Fehlern kommen sollte. Ich werde mit dem Unterricht anfangen, sobald die Männer hier sind.«

»Wie hört sich das an?« Sirri drehte sich zu den Sprechern um.

Die Männer und Frauen nickten.

»Gut.« Sirri klopfte Tryss auf die Schulter. »Und nun erzähl uns, was sie mitbringen sollen.«

Während Tryss die Werkzeuge und Materialien auflistete, die er zur Fertigung seines Geschirrs benötigt hatte, machte sich ein Gefühl des Staunens in ihm breit. Er hatte es geschafft. Dank Sirri war es ihm gelungen, sie zu überzeugen. Sie hatte ihm zugehört, als er das Geschirr zum ersten Mal hatte vorführen wollen. Sie hatte die Möglichkeiten seiner Erfindung gesehen. Sie hatte ihm eine Chance gegeben. Er blickte die Sprecherin an, und eine Woge der Dankbarkeit stieg in ihm auf. Sie hatte sich sogar mitfühlend gezeigt, was Drilli betraf und ihm einen Weg gewesen, wie sie wieder zusammen sein konnten.

Er schuldete ihr eine Menge. Eines Tages, so hoffte er, würde er diese Schuld begleichen können. Für den Augenblick konnte er ihr seinen Dank am besten zeigen, indem er andern Siyee zeigte, wie sie jagen und kämpfen konnten. Obwohl er, wie ihm jetzt einfiel, das Geschirr noch nie im Kampf benutzt hatte. Einzig seine Fantasie sagte ihm, dass es eine wirkungsvolle Waffe sein würde. Es ist noch nicht vorbei, dachte er. Selbst ich habe noch viel zu lernen.

Seit sie davon gehört hatte, dass sie vor einigen Wochen direkt über die pentadrianische Zauberin hinweg geflogen war, schenkte Auraya dem Wald unter ihr größere Beachtung, wann immer sie flog. Glücklicherweise hatte sie keine schwarzgekleideten Landgeher gesehen, nur eine Fülle wilder Tiere und viele Bäume.

Die Zauberin war längst fort – zumindest glaubten das die iyee. Auraya blickte zu den Bergen empor. Große, verschneite Felstürme erhoben sich zu allen Seiten. Ihre steilen Hänge waren mit Wäldern überzogen. In den Tälern und Schluchten unter ihr glitzerten Wasserläufe, die sich in Richtung Meer schlängelten. Prachtvoll, dachte sie. Sie fühlte sich durch und durch lebendig. Leichter als Luft, s war nicht nur ihre eigenartige Gabe, es war eine Stimmung, die sich seit ihrer Ankunft in Si eingestellt und ihren Gipfel an diesem Morgen erreicht hatte, als es ihr gelungen war, ihre Aufgabe zu erfüllen und die Siyee und die Weißen zu einen.

Aber das war noch nicht alles. An diesem Morgen war sie aus Träumen von Leiard aufgewacht, die so voller Liebe und Leidenschaft gewesen waren, dass sie eigentlich überhaupt nicht hatte aufwachen wollen. Sie sehnte sich danach, nach Jarime zurückzukehren, und doch fragte sie sich manchmal, ob sich die Wirklichkeit im Vergleich zu ihren geteilten Träumen nicht vielleicht als enttäuschend erweisen würde.

Nein, es wird noch besser sein, sagte sie sich.

Sirri veränderte ihre Flugrichtung ein wenig, und Auraya passte sich ihr entsprechend an. Die Sprecherin hatte während der letzten Stunde allmählich an Höhe gewonnen, und die Luft war inzwischen eiskalt. Auraya zog beständig Magie in sich hinein, um sich warm zu halten. Den Siyee schien die Kälte nichts auszumachen.

Sie waren den größten Teil des Tages geflogen, und die Sonne neigte sich bereits dem Horizont zu. Auraya sah, dass sie auf einen Berggipfel zuflogen, der etwas niedriger war als die anderen. Sie hatte in den Gedanken der Frau flüchtige Bilder von ihrem Bestimmungsort gesehen und daraus entnommen, dass sie auf diesem Gipfel einen Tempel vorfinden würden.